Im Gespräch Der grüne Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler über die Proteste gegen schwarz-gelbe Rotstiftpolitik, das rot-grüne Erbe und den Vorschlag für einen „Sanierungsplan“
Der Freitag: Herr Kindler, die Opposition im Bundestag hat „Riesenproteste“ gegen das „historische Sparpaket“ angekündigt. Am Samstag gingen zwar mehrere Zehntausend gegen Sozialkürzungen auf die Straße. Aber gemessen an den Dimensionen der schwarz-gelben Pläne war das ein doch eher verhaltener Auftakt. Kommt da noch was?
Sven-Christian Kindler: Erstens ist dieses Sparpaket nicht historisch, sondern kraftlos und von einer zerstrittenen Koalition ohne Mut aufgestellt worden. Es kürzt bei den Schwächsten der Gesellschaft und verschont die Vermögenden, statt einen sozial-ökologischen Kurswechsel einzuleiten. Und deshalb ist es, zweitens, dringend erforderlich, dass sich jetzt weitere, größere Proteste gegen diese unsozia
eitere, größere Proteste gegen diese unsoziale Politik der schwarz-gelben Bundesregierung anschließen. Da sind alle gefragt, Gewerkschaften, Parteien, aber auch Basisinitiativen und Betroffene.2010 fand eine der größten Anti-Atom-Aktionen seit Jahren statt, 120.000 Demonstranten reihten sich im April in eine Menschenkette durch Norddeutschland ein. Sozialpolitischer Widerstand hingegen hat schon länger nicht mehr solche Dimensionen erreicht. Woran liegt das?Es gibt ein Mobilisierungsproblem der Unterprivilegierten und Ausgegrenzten. Es gehen eher jene auf die Straße, die Angst vor sozialem Abstieg haben – nicht die, die schon ganz unten sind. Deshalb ist es so wichtig, dass jetzt die Mittelschicht und die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer protestieren: aus Solidarität, und weil niemand sagen kann, welche Kürzungen bei Leistungen oder Eingriffe in Arbeitnehmerrechte von Schwarz-Gelb als nächstes auf die Tagesordnung gesetzt werden.Apropos Kürzungen: Welche Rolle spielen die Grünen noch in der außerparlamentarischen Protestbewegung? In Stuttgart wurde bei der Krisen-Demonstration die baden-württembergische Landesvorsitzende Silke Krebs ausgepfiffen.Das Bündnis, das zu den Demonstrationen vom Samstag aufgerufen hat, repräsentiert den linken Rand derjenigen Kräfte, die in Opposition zu Schwarz-Gelb stehen. Das ist ein Problem, weil Protestaktionen dann zu wenig in die gesellschaftliche Mitte hinein wirken. Und das bekommen wir als ehemalige Regierungspartei natürlich auch über vereinzelte Kritik zu spüren.Es dürften in Wahrheit mehr Menschen sein, welche die rot-grünen Regierungsjahre nicht vergessen haben.Dazu besteht auch kein Anlass. Rot-Grün hat in der Bundesregierung viele richtige Projekte auf den Weg gebracht – von der Förderung erneuerbaren Energien über die Homoehe bis zum Atomkonsens. Richtig ist allerdings auch: Wir brauchen eine kritische Bilanz, vor allem was die Steuer-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik angeht. Die Grünen haben seit 2005 wichtige Korrekturen vorgenommen und sich politisch in der Opposition weiterentwickelt. Denken Sie an den Green New Deal oder die Forderung nach einer grünen Grundsicherung und dem Ausbau öffentlicher Infrastruktur. Da sind wir auf einem guten Weg. Und auch der Kontakt zur außerparlamentarischen Bewegung, zu Gewerkschaften und Sozialverbänden ist deutlich besser geworden.„Viele Menschen wissen“, sagt Angela Merkel, „dass wir sparen und Schulden abbauen müssen.“ Müssen wir wirklich?Ja. Wir müssen die Verschuldung begrenzen und sparen. Daran führt kein Weg vorbei.Sie stimmen der Kanzlerin zu?Nein. Denn es macht einen Unterschied, ob man einseitig zu Lasten der Beschäftigten und Leistungsbezieher spart und Vermögende weiter bevorzugt. Und damit die Fundamente neuer Finanzkrisen schafft, weil sich Vermögenszuwächse bei einer Minderheit konzentrieren, die ihren Reichtum nicht konsumiert, sondern auf den Finanzmärkten anlegt. Oder ob man gerecht saniert und gleichzeitig in zentrale Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Bildung oder öffentliche Infrastruktur investiert.Das zu tun, behauptet die Koalition auch.Trotzdem ist es die Unwahrheit. Wir Grüne wollen anders sparen. Der Staat setzt an zu vielen Stellen Geld nicht effizient ein. Er bedient Lobbyinteressen, schützt Elitenprivilegien, subventioniert ökologisch schädliches Verhalten. Das ist nicht im Interesse der Allgemeinheit, im Gegenteil. Der neoliberale Kaputtsparkurs allerdings, der jetzt nicht nur in Deutschland gefahren wird, sondern auch in anderen Ländern, könnte die Konjunktur abwürgen, zu einer schweren Rezession in Europa führen, und am Ende müssten die Staaten sich noch weiter verschulden, um das Schlimmste zu verhindern.Machen Sie einen Gegenvorschlag.Ich habe das Konzept für einen „Grünen Sanierungsplan“ vorgelegt und will darüber auch mit den Bürgern ins Gespräch kommen. Viele sind nämlich bereit, sich an der Sanierung der Staatsfinanzen zu beteiligten – wenn es gerecht dabei zugeht, wenn Geld richtig eingesetzt wird, wenn öffentliche Strukturen verbessert und hohe Einkommen und Vermögen wieder stärker besteuert werden.Zum Beispiel?Die Wohnungsbauprämie. Da werden jährlich 500 bis 600 Millionen an die obere Mittelschicht und Besserverdienende verteilt, die mit dem Geld auch noch zur Zersiedelung der Landschaft beitragen. Dabei brauchen wir in Zukunft weniger Wohnraum! Oder die Pendlerpauschale, die Berufstätige mit höheren Einkommen bevorzugt und aus ökologischen Gründen zunächst abgesenkt, perspektivisch sogar abgeschafft gehört. Und noch ein drittes Beispiel: die Förderung der privaten Altersvorsorge.Die Rot-Grün erst eingeführt hat.Trotzdem muss das auf den Prüfstand. Die Förderung wird vor allem von Beziehern höherer Einkommen genutzt, es wird aber nicht wesentlich mehr gespart als vorher. Außerdem fließt das staatlich geförderte Anlagevermögen in Spekulationsblasen, statt sozial und ökologisch sinnvolle Investitionen von öffentlicher Hand und Mittelstand zu finanzieren. Das kann man und das muss man korrigieren.Wie hat denn der Grüne Parteirat am Montag auf Ihre Vorschläge reagiert?Wir haben eine sachliche, konstruktive Debatte über die Lage der öffentlichen Finanzen geführt. Es ist klar, dass wir sinnvoll sparen, Strukturen verändern und mehr Einnahmen erzielen wollen. Allerdings müssen wir über einige kontroverse Forderungen noch weiter diskutieren.Die Medien haben aus ihrem Konzept vor allem jene Punkte hervorgehoben, die von Parteien ungern vertreten werden, weil sie bei Wahlen Stimmen kosten könnten. Etwa die Kürzung der Beamtenpensionen oder die Anhebung der Einkommen- und Mineralölsteuer.Ich glaube, der Kurs ist dennoch richtig und notwendig. Wenn es uns nicht gelingt, alte Strukturen aufzubrechen, wird es auch kein ökologisch sinnvolles und gerechtes Sparen geben. Nehmen Sie die Beamtenpensionen: Wodurch ist gerechtfertigt, dass Staatsdiener bei der Altersvorsorge übermäßig privilegiert werden? Statt die Pensionszahlungen nach dem letzten Einkommen zu bemessen, sollten sie, wie es bei Arbeitern und Angestellten üblich ist, nach dem durchschnittlichen Lebenseinkommen berechnet werden. Das müssen wir jetzt prüfen. Sonst wird das vor allem für die Länderkassen eine tickende Zeitbombe.Und die Mineralölsteuer-Frage? Da haben die Grünen bereits leidvolle Erfahrungen machen müssen – so sinnvoll eine solche Lenkungssteuer auch sein mag.Natürlich wird es bei einigen einen Aufschrei geben, wenn das Benzin an der Tankstelle um 7,3 Cent pro Liter teurer wird. Damit würde man allerdings lediglich zum tatsächlichen Niveau der Belastung von 2005 zurückkehren. Die Ökosteuer ist seither nicht an die Inflation angepasst worden. Eine Steuerindexierung in Höhe der Teuerungsrate wäre übrigens noch ein kostengünstiger Schritt – verglichen mit den möglichen Folgekosten der Klimakrise. Wir müssen bei den Umweltsteuern dringend nachlegen.Da werden Sie Gegenwind von Ihrem Lieblingskoalitionspartner SPD und den Gewerkschaften ernten.Und trotzdem müssen wir uns dieser Diskussion stellen. Ich glaube auch, dass es in vielen Punkten gar nicht so schwer sein wird, sich zu einigen. Auch SPD und DGB etwa fordern eine deutlich höhere Vermögensbesteuerung.Und die Linkspartei?Die natürlich auch. Wir brauchen 2013 eine Alternative zu Schwarz-Gelb. Eine solche Machtoption entsteht nicht von selbst, es muss endlich mehr Diskussionen über konkrete Projekte geben, die mit Rot-Grün-Rot verbunden werden. Das erwarten auch die Menschen von uns: Die Krise ist eine große Chance, den Neoliberalismus in Theorie und Praxis zu beerdigen.Eine radikale Steuerreform, wenngleich unter anderen Vorzeichen, hat sich auch die FDP auf die Fahnen geschrieben. Lobbyinteressen, der Wahlkalender, der Zwang zum Kompromiss in Koalitionen - es scheint eine radikale politische Wende angesichts der Vielfalt institutionalisierter und vermachteter Interessen kaum möglich.Es sagt ja auch niemand, dass das einfach wird. Wir müssen politisch darum kämpfen und uns Mitstreiter außerhalb des Parlaments suchen. Es bedarf zudem einer breiten öffentlichen Debatte über Haushalt, Finanzen und Steuerpolitik. Anders wird man die verkrusteten Strukturen und die neoliberale Sachzwangpropaganda nicht brechen.Was glauben Sie, wie viele Bürger sich jemals einen Entwurf für einen Bundeshaushalt angeschaut haben?Wahrscheinlich nicht so viele.Haushaltspolitik wird gern als „Königsdisziplin des Parlaments“ bezeichnet. Zugleich aber ist sie am wenigsten transparent und damit auch am geringsten demokratisch durchdrungen. Wie kann man das ändern?Es geht nicht darum, jeden Einzelposten einer großen Diskussion zu unterwerfen und die Bürger an allen Entscheidung zu jedem Haushaltstitel zu beteiligen. Es geht vor allem um die Grundlinien, um das Sichtbarmachen von grundlegenden Alternativen. Dabei können wir die großen Potenziale des Internet nutzen, Menschen wieder stärker am demokratischen Prozess zu beteiligen. Der Haushalt ist „in Zahlen gegossene Politik“ und deshalb viel zu wichtig, ihn allein den Haushaltspolitikern zu überlassen.Sie schlagen ein „Budget Office“ vor. Was könnte das leisten?Eine solche, beim Parlament angesiedelte Institution hätte die Aufgabe, von Regierungseinfluss unabhängige Informationen über Haushalt und Steuern zur Verfügung zu stellen. Das ist wichtig, um die Interpretationshoheit über die Zahlen dem Finanzministerium zu entreißen und für mehr parlamentarische Kontrolle und Transparenz zu sorgen.
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