Erinnern als Überlebenstechnik, Archive als Ort der Transformation: Die „Gedächtnisarbeit“ der Künstler*innen dieser Ausstellung offenbart den Umgang mit Vergangenem als Grundvoraussetzung für das Gestalten von Zukunft. Sie drückt eine Dringlichkeit der Fragen danach aus, was eine Gesellschaft erinnert, vergisst oder verdrängt; wie Geschichte verfügbar gemacht wird und wie kollektive Erinnerung eingeübt und organisiert ist. Die Kunst greift in die Archive ein und legt selbst Archive an. Sie holt Aufbewahrtes ans Tageslicht, fragt nach Auswahl- und Ausschlussprozessen, und sie wählt selbst aus, dokumentiert, hält Bilder und Stimmen fest, damit sie gesehen und gehört werden.
Einzelpositionen zeitgenössischer Künstler*innen
Mit den Methoden der bildenden und der darstellenden Kunst, der Literatur, des Films und der Musik eröffnen die 13 Auftragswerke jede für sich einen eigenen Erzählraum, aber knüpfen auch auffallende Querverbindungen untereinander. Inszeniert in großformatigen Rauminstallationen, in Video- und Klang- Arbeiten machen die künstlerischen Positionen die Grammatik von Erinnern und Vergessen sichtbar, sie gehen auf Spurensuche, leisten Trauer- und Traumaarbeit, setzen sich ein für archivische Fürsorge und demonstrieren die Macht der Erzählung.
Mit Arbeiten von Mirosław Bałka, Candice Breitz, Ulrike Draesner, Arnold Dreyblatt, Thomas Heise, Susann Maria Hempel, Alexander Kluge, Eduardo Molinari, Matana Roberts, Cemile Sahin, Cécile Wajsbrot, Jennifer Walshe, Robert Wilson.
Künstlerische Positionen aus dem Archiv der AdK
In der künstlerischen Erinnerungsarbeit erweist sich das Archiv zugleich als Ressource und als Methode. Es gibt der Materialfülle des Erinnerten einen Ort und Struktur, und es fordert die Auseinandersetzung mit dem Gedächtnis, das Lesen zwischen den Zeilen heraus. Ausgewählte Objekte, Entwürfe und Kunstwerke von 15 Künstler*innen aus dem Archiv der Akademie laden ein, Erinnerungen im Werk aufzuspüren, Speichermedien zu erkunden, archivische Methoden nachzuvollziehen und der Frage nach der Erinnerungspolitik und dem Verhältnis von individuellem und kollektivem Gedächtnis nachzugehen. Sie werden buchstäblich ins Licht gerückt. Es sind keine Erinnerungsgegenstände, doch sie zeugen von der Erinnerung als Triebfeder künstlerischen Schaffens.
Walter Benjamins programmatischer Text Ausgraben und Erinnern gibt den Denkrahmen vor: Das Gedächtnis als Medium zur Erkundung der Gegenwart. Einar Schleefs Tagebuchbilder, die Arbeitskurven von Käthe Kollwitz, Modelle zum Echolot von Walter Kempowski, die Bildvorlagen von George Grosz, Edgar Reitzʼ Produktionstagebücher oder Inge Deutschkrons Brief an ihren Vater sind einige der Positionen, die sich zu einer Konstellation künstlerischer Verfahrensweisen fügen: „Erinnern ist Arbeit.“ (Einar Schleef)
Diskussionsrunden statt, mit den Künstler*innen der Ausstellung und Gästen wie Aleida Assmann, Sharon Macdonald, Max Czollek und Julian Heynen.
Zum Gesamtprogramm von „Arbeit am Gedächtnis – Transforming Archives“
Veranstaltungsaufzeichnungen
Resonating Struggles: Paul and Eslanda Robeson in East Berlin
Gespräch | Livestream vom 1.6.2021
Zwischen antirassistischer Bewegung, Postkolonialismus und Kaltem Krieg: Der Musiker und Schauspieler Paul Robeson und die Anthropologin Eslanda Robeson waren US-Bürgerrechtsaktivist*innen, für die die Akademie der Künste der DDR ein Archiv gründete. Über den Nachklang ihres Freiheitskampfs und dekoloniale Perspektiven auf den Sozialismus sprechen Matana Roberts (Komponistin, Künstlerin), Doreen Mende (Kuratorin, Theoretikerin), Kira Thurman (Historikerin, University of Michigan) und George E. Lewis (Komponist, Prof. of American Music, Columbia University).
Durch das Herz hindurchgehen. Eine Einführung
Gespräch | Livestream vom 2.6.2021
Cécile Wajsbrots dystopischer Roman Zerstörung beleuchtet die Angst vor der Wiederholung der Geschichte und die Folgen, die die Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses und privater Erinnerung für die menschliche Existenz haben kann. Für den Akademie-Schwerpunkt „Arbeit am Gedächtnis – Transforming Archives“ hat sie sich mit dem Nachlass von Imre Kertész im Archiv der Akademie der Künste auseinandergesetzt. Die Filme von Jeanine Meerapfel können als eine Archäologie der sozialen und emotionalen Bindungen gelesen werden. In ihnen überlagern sich biographische und gesellschaftspolitische Erzählungen. Mit kurzen Auszügen aus Im Land meiner Eltern (1981) und ihrem aktuellen Filmprojekt Eine Frau lädt sie Cécile Wajsbrot zu einem interdisziplinären Dialog über die Rolle ein, die Erinnerung und Vergessen in ihrer künstlerischen Arbeit spielen, und wie der Blick auf die Vergangenheit die Zukunft bestimmt.
Vorher führen Johannes Odenthal und Werner Heegewaldt in das große Ausstellungsprojekt ein, das der künstlerischen Auseinandersetzung mit Gedächtnis und Archiven gewidmet ist.
Räumliche und zeitliche Bilder des Erinnerns und Vergessens
Vortrag und Gespräch | Livestream vom 8.6.2021
Das menschliche Gedächtnis ist selbst-reflexiv. Es ist also in der Lage, sich bei laufendem Betrieb selbst zuzusehen und diese Vorgänge zu analysieren. Eine besondere Rolle spielt hier die Kunst. Sie ist ein besonderer Monitor und Spiegel der Selbstreflexion und entwickelt in diesem Fall einen wichtigen Metadiskurs für die Dynamik von Erinnern und Vergessen.
Aleida Assmann ist eine der führenden Forscher*innen zum kulturellen Gedächtnis. In ihrem Vortrag widmet sie sich den räumlichen und zeitlichen Bildern des Erinnerns und Vergessens. In ihren Antwortbeiträgen gehen Sharon Macdonald, Direktorin des Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage, und Cristina Baldacci, Kunsthistorikerin an der Università Ca' Foscari Venedig und ehemalige Fellow am ICI Berlin, auf die Beziehung von Kunst zu umstrittener Erinnerung und das Archiv als künstlerische Strategie ein.