„Hoetger ist früh seinen eigenen Weggegangen“

Interview Dr. Dagmar Kronenberger-Hüffer (Barkenhoff), Cornelia Hagenah (Worpsweder Kunsthalle) und Dr. Stefan Borchardt (Große Kunstschau) nähern sich im Gespräch mit Matthias Jäger (Worpsweder Museumsverbund) dem Künstler Bernhard Hoetger an
Ein Blick in die Ausstellungssektion ›Hoetger und Vogeler‹ mit Werken von Bernhard Hoetger (1917)
Ein Blick in die Ausstellungssektion ›Hoetger und Vogeler‹ mit Werken von Bernhard Hoetger (1917)

Foto: © Worpsweder Museumsverbund/Joerg Sarbach

Wie würdet ihr Bernhard Hoetger als Künstler und als Mensch beschreiben?

Dagmar Kronenberger-Hüffer: Hoetger war konsequent in seinem Handeln. Sei es in den frühen Jahren, als ihm Paris bei seinem ersten Besuch so zusagte, dass er ohne zu zögern dort blieb und Jahre des Hungers und der Not in Kauf nahm. Oder sei es in späteren Jahren, als ihm sein erst wenige Jahre zuvor gebautes Haus nicht mehr gefiel und er kurzerhand ein neues baute. Als Künstler folgte er allein seiner Intuition. Noch im Entstehungsprozess konnte er seine Idee eines Kunstwerks anpassen und tat dies auch häufiger. Sein Freund und Förderer Ludwig Roselius brachte es auf den Punkt: »Sollte man Hoetger Aufträge geben? Beileibe nicht! […] Man will einen stehenden Mann, und er möchte daraus eine kniend Mutter machen, die ein Kind säugt.«

Cornelia Hagenah: Ja, das stimmt. Bernhard Hoetger hatte ein sehr gutes Gespür für die künstlerischen Entwicklungen seiner Zeit. Er ist ein wenig wie ein Chamäleon, das sich an sein Umfeld und die sozialen und politischen Gegebenheiten anpasst und versucht, seine Ideen und Visionen bestmöglich zu realisieren. Das macht ihn einerseits zu einer starken Künstlerpersönlichkeit und andererseits zu einem schwer greifbaren Künstler.

Bernhard Hoetger lebte – wie auch wir heute – in herausfordernden und unsicheren Umbruchzeiten. Wie ist er damit umgegangen?

Dagmar Kronenberger-Hüffer: Heinrich Vogeler beschrieb in seinen ›Erinnerungen‹ die Fähigkeit Hoetgers, »in den schwankenden Zeiten stets der jeweilig herrschenden politischen Strömung gerecht zu werden; er konnte revolutionär-kommunistisch, reformierend- sozialdemokratisch, demokratisch, feudal und faschistisch denken, so wie seine Kunst allen zeitweiligen Richtungen gerecht werden konnte.« Dies scheint jedoch nur die halbe Wahrheit zu sein, denn Hoetger war ein Freigeist, ein Mensch und Künstler auf der Suche nach individueller Freiheit, Kreativität und Selbstentfaltung. Während der Erste Weltkrieg bei Heinrich Vogeler zu einer tiefgreifenden Veränderung seiner Weltanschauung führte, reagierte Hoetger auf die Umbrüche nur insoweit, als sie ihn persönlich betrafen. In seltenen Werkphasen nutzte er seine künstlerische Sprache auch, um Kritik an den sozialen Zuständen der Zeit zu üben, wie beispielsweise in den acht Plastiken, die er 1928 für die Backsteinfassade des Bremer Volkshauses schuf. Diese Plastiken mit dem Titel ›Zyklus des Lebens unter dem Stigma der Arbeit‹ visualisieren die Wirkung der Arbeit auf den menschlichen Körper in verschiedenen Lebensaltern. Sie wurden 1933 von den Nationalsozialisten vom Gebäude entfernt und eingeschmolzen.

Was hat Bernhard Hoetger uns heute zu sagen?

Cornelia Hagenah: Heute kann die Kunst von Bernhard Hoetger aus historischer Distanz betrachtet werden und Einblicke in die kulturellen und sozialen Umbrüche und Krisen seiner Zeit geben. Seine Werke bieten die Möglichkeit, über Vergangenes nachzudenken und Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen zu ziehen.

Dagmar Kronenberger-Hüffer: Hoetger ist früh seinen eigenen Weggegangen, und der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Seine Offenheit und sein handwerkliches Können haben zu einem spannenden, vielschichtigen, mutigen wie ungewöhnlichen Lebenswerk geführt, und seine Bauten prägen bis heute Worpswede und Bremen. Aber es gibt in Hoetgers Leben neben dem Licht auch Schatten. Dieser wird vor allem in seiner Bereitschaft sichtbar, sich den Nationalsozialisten mit seiner Kunst anzudienen, im irrigen Glauben, dass seine Kunstauffassung und das Wollen der NSDAP den gleichen Zielen folgen. Damals wie heute können wir daraus lernen, genau hinzuschauen und nicht nur das wahrzunehmen, was unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht

Stefan Borchardt: ›Licht und Schatten‹ ist der Titel der Ausstellungssektion in der Großen Kunstschau. Er ist Hoetgers Zyklus ›Licht- und Schattenseiten‹ entlehnt. Tatsächlich kann dieser Titel wie ein Motto über das Leben und Werk von Hoetger gestellt werden. Wie in einem Brennglas kulminieren die Gegensätze und Spannungen von Hoetgers Leben und Wirken in diesem Zyklus, in dem er eindringlich das Ringen menschlicher Haltungen und extremer Gefühle schildert. Diese Werkgruppe über die Wesenszüge des Menschlichen ist für uns heute von akutem Interesse, denn auch unsere Gegenwart ist in jeder Hinsicht emotional geladen, bis zur Begründung extremer politischer Haltungen. Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie die Menschen in Hoetgers Zeit. Daher geht es in unserer Ausstellung um die doppelte Frage: »Wie gehen wir mit Hoetgers Licht- und Schattenseiten um?« – und gleichzeitig: »Was hat das mit unserer eigenen Wirklichkeit, mit den Konflikten in unserer Gesellschaft und mit unseren eigenen hellen und dunklen Seiten zu tun?«

23.04.2024, 11:54

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