Geschärfte Sinne

Zur Ausstellung „NOTHINGTOSEENESS“ lädt ein, präziser und intensiver wahrzunehmen: Gemälde, Foto-, Film-, Soundarbeiten, Videos und Skulpturen sind nach pandemiebedingter Verlagerung in den virtuellen Raum nun im Erfahrungsraum der Ausstellungshallen zu entdecken
Ausstellungsansicht | „NOTHINGTOSEENESS“
Ausstellungsansicht | „NOTHINGTOSEENESS“

Foto: Andreas [FranzXaver] Süß

In der Ausstellung „NOTHINGTOSEENESS – Leere/Weiß/Stille“ zeigt die Akademie der Künste Werke von 75 internationalen Künstler*innen, die Monochromie, Materialminimalismus und Reduktion in den Mittelpunkt stellen. Der Titel referiert auf eine Wortschöpfung von John Cage; mit „nothingtoseeness“ bezeichnete er die Entsprechung der Stille in den visuellen Künsten. Inszeniert werden Gemälde, Fotoarbeiten, Videos, Film- und Soundarbeiten, Skulpturen und ortsspezifische Installationen. Die Ausstellung eröffnet am 15. September 2021 und ist Teil der Berlin Art Week.

Ausgangspunkt ist die weiße Monochromie und die damit einhergehende neue Bedeutung der materiellen Oberfläche, die die Kunstszenen in den USA und Europa in den 1950er- und 1960er-Jahren in Aufruhr versetzte. Zu sehen sind Gemälde dieser Zeit von u. a. Lucio Fontana, Raimund Girke, Jan Schoonhoven, Günther Uecker und Ellsworth Kelly; von Yves Klein eines der raren Exemplare der Untitled White Monochrome (M 33, 1958) sowie die Filmdokumentation seiner legendären Ausstellung „Le Vide“ 1958, in der statt Kunstwerken ausschließlich die weißen Wände der Pariser Galerie von Iris Clert zu sehen waren. Diese frühen radikalen künstlerischen Statements werden zu Arbeiten der Gegenwart in Bezug gesetzt. Direkt im Eingangsbereich reagiert Karin Sander mit einem eigens für die Ausstellung realisierten Wandstück auf das weiße Monochrome.

In Isaac Juliens audiovisueller Installation „True North“ (2007) setzt sich das Thema Weiß in der einsamen arktischen Landschaft fort. Das Bewegtbild bis zur Präsentation des leeren Filmstreifens zu reduzieren, ist die Idee hinter Nam June Paiks Zen for Film von 1964: Paik lässt in einer Endlosschleife einen unbelichteten Film durch den Projektor laufen. In Rosa Barbas neuer Arbeit für die Akademie-Ausstellung aus der Serie „White Museum“ wirft ein Filmprojektor einen weißen Lichtkegel in den Außenraum und integriert so die Landschaft in die Installation. Von Maria Eichhorn, Yoko Ono („Invisible Flags“), Thomas Rentmeister, Ulrike Draesner und Sara Masüger sind weitere ortsspezifische Installationen ausgestellt, Reiner Maria Matysik zeigt seine Wolkenmaschine im Außenbereich der Akademie.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist der Bezug zur Musik und der Umgang mit der Stille. Auf John Cages epochales tonloses Musikstück 4’33‘‘ und dessen erste Aufführung mit dem Pianisten David Tudor im Jahr 1952 rekurrieren die Videodokumentation der 4‘33‘‘-Performance mit Henning Lohner und Cage in Berlin (1990) und Pierre Huyghes vierteilige Partitur „Silence“ (1997). In der Installation „We Buy White Albums“ zeigt Rutherford Chang weit über 2000 Exemplare des von Richard Hamilton als weiße Projektionsfläche gestalteten White Album der Beatles, kontrastiert mit dem schwarzen Quadrat des Black Album von Prince.

„NOTHINGTOSEENESS“ lädt ein, genauer, präziser und intensiver zu sehen und wahrzunehmen. Nach der pandemiebedingten Verlagerung der Kunstrezeption in den virtuellen Raum ist nunmehr vor dem Original das Kunstwerk wieder live zu erleben. Die Website www.nothingtoseeness.de erschließt die Schau und ihre Themen mit Texten und Informationen. Gespräche, Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen finden begleitend statt.

Mit Arbeiten von: Peter Ablinger, Absalon, Frank Badur, Mirosław Bałka, Rosa Barba, Gerhard Bohner, George Brecht, Trisha Brown, Klaus vom Bruch, Günter Brus, John Cage, Enrico Castellani, Rutherford Chang, Max Dax, Ulrike Draesner, Maria Eichhorn, Ólafur Elíasson, Ulrich Erben, Ceal Floyer, Lucio Fontana, Sam Francis, Katharina Fritsch, Heinz Gappmayr, Jochen Gerz, Raimund Girke, Eugen Gomringer, Gotthard Graubner, Katharina Grosse, Hans Haacke, Marcia Hafif, David Hammons, Oskar Holweck, Stephan Huber, Alfonso Hüppi, Pierre Huyghe, Ray Johnson, Isaac Julien, Ellsworth Kelly, Per Kesselmar, Astrid Klein, Yves Klein, Harald Klingelhöller, Bernd Koberling, Christina Kubisch, Raimund Kummer, Mark Lammert, Barry Le Va, Henning Lohner, Inge Mahn, Piero Manzoni, Joseph Marioni, Sara Masüger, Reiner Maria Matysik, Bruce Nauman, Yoko Ono, Roman Opałka, David Ostrowski, Nam June Paik, Otto Piene, Thomas Rentmeister, Bridget Riley, Robert Ryman, Karin Sander, Hanns Schimansky, Michael Schirner, Gregor Schneider, Jan J. Schoonhoven, Nina Schuiki, George Segal, Qiu Shihua, Strawalde, Mark Tobey, James Turrell, Günther Uecker, Timm Ulrichs, Lothar Wolleh

06.10.2021, 14:42

Ausstellung: Weitere Artikel


„Weißheiten“

„Weißheiten“

Kommentar Der Kunsttheoretiker Robert Kudielka ist seit 1997 Mitglied der Akademie der Künste. In seinem für das Journal der Künste verfassten Text „Weißheiten“ untersucht er „Weiß“ hinsichtlich gesellschaftlicher, politischer und kunsthistorischer Merkmale
Facettenreiches Programm

Facettenreiches Programm

Programm Die Ausstellung „NOTHINGTOSEENESS – Leere/Weiß/Stille“ begleitend finden am Standort Hanseatenweg in Berlin zahlreiche Veranstaltungen, wie Künstler*innengespräche, Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen statt
Mehr als Nichts

Mehr als Nichts

Netzschau Stimmen aus dem Netz: „Die Leere, das Weiß, die Stille klären den Blick und weiten die Sinne. Die weißen Werke fordern aber auch eine erhöhte Achtsamkeit.“

John Cage: 4'33'' | Berliner Philarmoniker

Video Die Berliner Philarmoniker spielen am 31. Oktober 2020, einen Tag bevor die Philarmonie wegen der Corona-Pandemie für mehrere Monate schließen muss, unter der Leitung von Chefdirigent Kirill Petrenko John Cages 4‘33‘‘


Katharina Grosse | Interview

Video Katharina Grosse verbindet Malerei & Bildhauerei in ihren Werken, bei denen es sich meist um großformatige Installationen handelt. Sie besuchte die Kunstakademien in Düsseldorf & Münster. In den letzten Jahren wuchs ihr internationales Renomee stetig


Poesie der Destruktion | Günther Ücker

Video Günther Uecker ist einer der bedeutendsten deutschen Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Filmemacher Michael Kluth hat den Künstler im Atelier in Düsseldorf beobachtet und erzählt gleichzeitig Ueckers Werk- und Lebensgeschichte


Licht - Bewegung - Farbe | Heinz Mack

Video Heinz Mack wurde als Künstler und Mitbegründer der international einflussreichen Künstlergruppe ZERO vor allem durch seine Lichtreliefs und kinetischen Installationen berühmt