Kunst mal anders

Detail Stefan Panhans und Andrea Winkler arbeiten virtuos mit einer sehr großen Bandbreite künstlerischer Formate und Medien. Die Materialien, die dabei zum Einsatz kommen, sind total alltäglich, aber doch auch immer fremd
Stefan Panhans, Andrea Winkler, „HOSTEL", 2018, video still #04, Performer*innen: Serge Fouha, Lisa-Marie Janke, Olivia Hyunsin Kim, Koffi Emile Odoubou, Anne Tismer.
Stefan Panhans, Andrea Winkler, „HOSTEL", 2018, video still #04, Performer*innen: Serge Fouha, Lisa-Marie Janke, Olivia Hyunsin Kim, Koffi Emile Odoubou, Anne Tismer.

Foto: Stefan Panhans/Andrea Winkler/HMKV

Der Titel der Ausstellung des Künstler*innenduos Stefan Panhans (DE) und Andrea Winkler (CH) nimmt Bezug auf die Rhetorik US-amerikanischer evangelikal- protestantischer Megachurches, in denen – als christliche Lebenshilfe getarnt – eine marktkonforme, neoliberale Ideologie individueller Selbstoptimierung gepredigt wird. Es geht in den Arbeiten der Künstler*innen um Elektro-SUVs, Kommunikation mit Künstlichen Intelligenzen, Alltagsrassismus, Celebrity-Kult und Rollenklischees, Computergames, das 'Uncanny Valley‘ und weitere postdigitale Feedbackschlaufen zwischen Menschen und virtuellen Welten, und nicht zuletzt um den prekären Status von Kulturarbeiter*innen.

In der Ausstellung sind sechs Videoinstallationen und verschiedene skulpturale und fotografische Arbeiten zu sehen. Bei den Videoinstallationen handelt es sich um die drei Neuproduktionen Border Control (2021, Premiere), Defender (2021, Premiere) und If You Tell Me When Your Birthday Is (Machinima Version) (2020) sowie HOSTEL (2018), Freeroam À Rebours, Mod#I.1 (2017/2021) und Noch ein Sportstück (2014).

Ein Auszug aus den ausgestellten Werken:

DEFENDER – Installation Version

Stefan Panhans und Andrea Winkler

4k Video, Farbe/Ton, 30:00 Min., Einkanal-Projektion, Gaming-Stühle, Crashpads,

Maße variabel Defender ist ein postindustrielles (Anti-)Musical. Drei Frauen bilden eine Art Arbeitsteam, das auf eine ihnen unbekannte Mission in eine Tiefgarage geschickt wurde. Hier steht einzig ein S.U.V., der mit einer Art ‚Erlkönig10-Camouflage‘ versehen ist. Ohne genau zu wissen, was sie tun sollen, entwickelt sich zwischen ihnen ein atemloser Trilog mit Gesangseinlagen, die u.a. aus modifiziertem verinnerlichtem Selbst-Coaching, Versatzstücken aus S.U.V.-Werbeclips, Predigten von amerikanischen ‚Mega-Church‘-Priestern sowie kurzen Burn-Out-Symptomen bestehen. In ständiger Bewegung, durchsetzt mit Work-Out-Elementen, Tanz- und Aerobic-Übungen, kreisen die drei Frauen ergebnislos um das rätselhafte Objekt, bis sie am Ende singend, langsam von allem befreit, ihre Sprache verlassen und in animalische Laute verfallen. In dem musikalischen Kurzfilm werden Momente der Energie- und Ressourcenverschwendung und deren soziale Folgen thematisch mit unserer heutigen Arbeits- und Lebenswelt verknüpft. Diese durchdringen wie eine Art Rückkopplungsschleife unsere individuellen Ängste, Wünsche und Sehnsüchte und werden vom Erscheinungsbild und den Werbewelten um das immer noch boomende Phänomen S.U.V. nahezu perfekt bedient.

Border Control

Stefan Panhans und Andrea Winkler

4K Zwei-Kanal-Video-Projektion, Farbe/Ton, 24:00 Min., Umkleidebank, Discounter-
Werbeprospekte, etc., Maße variabel

Die Verteidigung der europäischen Außengrenze als sportliche Trainingseinheit und als Workout Exercise – darum geht es in Border Control. Das Video, das sich durch eine traumartige Struktur auszeichnet, ist inspiriert von einer medienwirksamen Übung, die die österreichische Regierung im Sommer 2018 an der Grenze zu Slowenien stattfinden ließ. Im Rahmen dieser Übung probten Hunderte hochgerüsteter Polizisten und Soldaten der neuen Polizei-Grenzschutzeinheit „Puma“ die Bekämpfung massenhafter Grenzübertritte – medial begleitet von zahlreichen Journalist*innen und Fernsehkameras. Border Control führt Bilder der sogenannten „Migrationskrise“ wieder auf und konfrontiert sie mit Bild- und Gamingwelten aus unserer digital und kulturindustriell durchwirkten spätkapitalistischen Lebenswelt. In Zusammenarbeit mit einer Choreografin und mit dramaturgischer Beratung von Menschen mit Fluchterfahrung, einem in den Entwicklungsprozess einbezogenen Kamera-Team sowie einer Gruppe von Tänzer*innen und Schauspieler*innen wurde ein experimentell performatives Kurzfilmprojekt realisiert, das das gegenwärtige Klima von mentaler und physischer Mobilmachung befragt sowie gängige Ordnungen und eingeschliffene Rollenzuschreibungen irritiert.

Bringing the WoW Home

Stefan Panhans

Fotoserie, s/w, 8 Fotografien, je 45 x 30 cm / 30 x 45 cm, gerahmt

World of Warcraft (WoW) ist ein „Massive Multiplayer Online Role-Playing Game“ (MMORPG) und ist heute mit vielen Millionen Nutzer*innen das beliebteste Multiplayer- Online-Rollenspiel weltweit. Der Künstler Stefan Panhans und die Schauspielerin Lisa-Marie Janke waren schon lange fasziniert von den bombastischen Werbe-Trailern und den Bildern, mit denen das Spiel beworben wird – so sehr, dass sie im Herbst 2020 begannen, die aggressiven Kampfposen und Kabuki-artigen Grimassen der monströsen Superhelden aus WoW nachzustellen. Lisa-Marie Janke ahmt auf den schwarz-weiß-Fotos die Posen der Superhelden aus WoW nach – ganz ohne Kostümierung, nur mit Mimik und Körperstellungen, und das in einer alltäglichen Umgebung – nämlich bei ihr zu Hause. Durch diese Dekontextualisierung kommt die groteske, fast unmenschliche Aggressivität der Vorbilder noch einmal deutlicher zum Vorschein.

Erlkönig

Andrea Winkler, 2020

Erlkönig-Camouflage für SUV, Daunenjackenstoff, Volumenflies, Viskose, Fliegengaze, Unterbau Metall, 5 m x 2,14 m x 1,74 m

„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ Damit beginnt Goethes wohl bekannteste Ballade. Auf die bange Frage des Sohnes “Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?” antwortet dieser mit „Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“ Ein „Erlkönig“ ist eine Camouflage, eine Verpackung, eine Verhüllung, ein Versteck. Seit den 1950er Jahren wird der Begriff „Erlkönig“ für getarnte Prototypen neuer Automodelle verwendet. Die Autoindustrie versucht damit, das genaue Aussehen dieser Fahrzeuge geheim zu halten und so neue Prototypen auf der Straße zu testen, ohne Design-Details preiszugeben. Diese aus Daunenjackenstoff, Volumenflies und Viskose genähte Erlkönig- Camouflage wurde beim Dreh des Videos DEFENDER eingesetzt. In der Ausstellung ist sie auf das Modell eines SUV aufgezogen, der in einem absurd kleinen Seitenraum steht, neben der Projektion des Videos.

12.05.2021, 21:27

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