Die Jakarta-Methode: Bis heute prägend

Leseprobe Teile des globalen Südens gingen nicht friedlich in das US-geführte Lager über. Diese Erzählung hält sich, weil die CIA-gestützten Interventionen so erfolgreich waren. Mit ihrer Gewalt war die Jakarta-Methode im Kalten Krieg ein entscheidender Trumpf
1945: Achmed Sukarno, erster Präsident von Indonesien
1945: Achmed Sukarno, erster Präsident von Indonesien

Foto: Express/Express/Getty Images

Einleitung

Im Mai 1962 steigt ein junges Mädchen namens Ing Giok Tan in ein altes, rostiges Boot in Jakarta. Ihr Land, Indonesien, eines der größten der Welt, war in die globale Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus geraten, und ihre Eltern beschlossen, vor den fürchterlichen Folgen zu fliehen, die dieser Konflikt für Familien wie die ihre mit sich brachte. Sie setzen die Segel in Richtung Brasilien, nachdem sie von Landsleuten mit gleichem Ziel gehört hatten, dass dieser Ort Freiheit, die Möglichkeit zur Entfaltung und eine Atempause vom Konflikt biete. Aber was wussten sie schon von Brasilien? Das Land war für sie nicht mehr als eine vage Idee, und es war sehr weit weg. Geplagt von Angst und Seekrankheit fahren sie 45 Tage lang, vorbei an Singapur über den Indischen Ozean nach Mauritius, passieren Mosambik und Südafrika, überqueren den Atlantik und steuern São Paulo an, die größte Stadt Südamerikas.

Wenn sie angenommen hatten, der Gewalt des Kalten Krieges entfliehen zu können, so war dies ein tragischer Irrtum. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft putschte die Armee gegen die junge Demokratie Brasiliens und errichtete eine Militärdiktatur. Bald erreichten die neuen Einwanderer in Brasilien Nachrichten aus Indonesien: Meldungen von schockierenden Szenen, schlimmer kaum vorzustellen, eine Explosion der Gewalt, die so erschreckend war, dass einen selbst das bloße Sprechen darüber zusammenbrechen, ja: am eigenen Verstand zweifeln ließ. Doch die Berichte waren zutreffend. Die apokalyptischen Gemetzel in Indonesien gebaren eine junge Nation, die, übersät von verstümmelten Leichen, zu einem der zuverlässigsten Verbündeten Washingtons wurde – bevor sie weitgehend aus der Geschichte verschwand.

Was 1964 in Brasilien und 1965 in Indonesien geschah, gehörte im Kalten Krieg wohl zu den bedeutendsten Siegen für jene Seite, die ihn letztlich gewann – also für die USA und das heutige globale Wirtschaftssystem. Insofern zählen diese Ereignisse zu den wichtigsten in einem Verlauf, der fast aller Leben grundlegend geprägt hat. Beide Länder waren unabhängig und standen irgendwo zwischen den Blöcken, fielen aber Mitte der 1960er Jahre maßgeblich ins Lager der USA.

Verantwortliche in Washington und Journalisten in New York verstanden gewiss, wie bedeutend diese Ereignisse zu der Zeit waren. Sie wussten, dass Indonesien, heutzutage weltweit das Land mit der viertgrößten Bevölkerungszahl, eine weitaus wichtigere Beute war, als es Vietnam je hätte sein können.1 Dort erreichte das außenpolitische Establishment der USA in wenigen Monaten, woran es in zehn blutigen Jahren des Krieges in Indochina gescheitert war.

Die Diktatur in Brasilien – das Land rangiert heute unter den sieben bevölkerungsreichsten Ländern – spielte eine entscheidende Rolle dabei, den Rest Südamerikas in das Pro-Washington-Lager der antikommunistischen Länder zu ziehen. In beiden Ländern, Brasilien und Indonesien, war die Sowjetunion kaum engagiert.

Was am schockierendsten und zugleich für dieses Buch am bedeutendsten ist: Beide Ereignisse führten zur Entstehung eines ungeheuerlichen internationalen Netzwerks der Vernichtung, das heißt des systematischen Massenmords an Zivilisten. Die Vorkommnisse betrafen viele weitere Länder, und sie waren entscheidend für die Herausbildung jener Welt, in der wir heute leben.

Indonesien bleibt eine riesige Blackbox in unserem kollektiven Wissen, selbst bei Menschen, die ein bisschen mehr über die Kubakrise, den Koreakrieg oder Pol Pot wissen oder mit ein paar Grunddaten über die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt (China und Indien) oder gar über die Nummer fünf und sechs (Pakistan und Nigeria) vertraut sind. Sogar unter international agierenden Journalisten wissen nur wenige, dass Indonesien das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt ist oder dass es 1965 die größte kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion und Chinas hatte.

Die Wahrheit über die gewaltsamen Ereignisse von 1965/66 blieb jahrzehntelang verborgen. Im Kielwasser jener Gewalt wurde eine Diktatur errichtet, die der Welt Lügen auftischte, während die Überlebenden stumm blieben – sei es, weil sie inhaftiert waren oder zu verängstigt, die Stimme zu erheben. Nur dank der Anstrengungen heldenmütiger indonesischer Aktivisten und engagierter Wissenschaftler in vielen Teilen der Welt können wir nun die Geschichte offenlegen. In der zweiten Hälfte der 2010er Jahre in Washington freigegebene Dokumente waren zudem sehr hilfreich, wenn auch manches noch immer geheimnisumwittert bleibt.

Indonesien verschwand wohl deswegen von der sprichwörtlichen Landkarte, weil die Ereignisse von 1965/66 für Washington ein voller Erfolg waren. Es kamen keine US-Soldaten zu Tode, und im eigenen Land war niemand jemals in Gefahr. Obwohl die indonesische Führung in den 1950er und 60er Jahren eine bedeutende internationale Rolle gespielt hatte, hörte das Land nach 1966 auf, für Unruhe zu sorgen. Aus langjähriger Arbeit als Auslandskorrespondent und Journalist weiß ich, dass ferne Länder, die stabil und zuverlässig proamerikanisch sind, kaum in die Schlagzeilen geraten. Nachdem ich die Unterlagen durchgegangen war und viel Zeit mit Menschen verbracht hatte, die diese Phase durchgemacht haben, kam ich zu einer weiteren, zutiefst beunruhigenden These, warum diese Vorfälle in Vergessenheit gerieten: Die Wahrheit über die Geschehnisse widerspricht, so fürchte ich, derart stark unserem Begriff davon, was der Kalte Krieg war, wie die Globalisierung vonstattenging und was es bedeutet, US-Amerikaner zu sein, dass es schlichtweg einfacher war, sie zu ignorieren.

Dieses Buch richtet sich an all jene, die keine Spezialkenntnisse über Indonesien, Brasilien, Chile, Guatemala oder den Kalten Krieg mitbringen, obwohl ich hoffe, dass meine Interviews, Archivrecherchen und mein globaler Ansatz einige Erkenntnisse liefern, die auch für Fachleute interessant sein mögen. Vor allem aber hoffe ich, Menschen zu erreichen, die wissen wollen, wie die Gewalt und der Krieg gegen den Kommunismus unser heutiges Leben auch persönlich geprägt haben – ganz gleich, ob Sie gerade in Rio de Janeiro, Bali, New York oder Lagos ansässig sind.

Zwei Episoden aus meinem eigenen Leben haben mich davon überzeugt, dass die Ereignisse von Mitte der 1960er Jahre noch immer sehr präsent sind – und ihre Geister noch heute die Welt heimsuchen.

2016 war ich in meinem sechsten und letzten Jahr als Brasilienkorrespondent für die Los Angeles Times tätig, als ich durch die Flure des Kongresses in Brasília ging. Das Parlament der viertgrößten Demokratie der Welt bereitete sich auf die Abstimmung über eine Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff vor, einer ehemaligen Guerillera und dem ersten weiblichen Staatsoberhaupt des Landes. Am Ende des Korridors erkannte ich einen unbedeutenden, aber verlässlich rechtsaußen stehenden Abgeordneten. Es war Jair Bolsonaro, und ich näherte mich ihm für ein kurzes Interview. Bereits zu dieser Zeit war bekannt: Politische Gegenspieler versuchten, ­Rousseff mithilfe einer Formalität zu stürzen; jene, die die Amtsenthebung organisierten, hatten sich weitaus mehr der Korruption schuldig gemacht als die Präsidentin selbst.2 Als ausländischer Journalist fragte ich Bolsonaro, ob er nicht befürchte, dass die internationale Gemeinschaft angesichts des umstrittenen Verfahrens die Legitimität einer konservativeren Regierung, die an die Stelle der bisherigen treten würde, anzweifeln könnte. Was er mir antwortete, schien noch derart weit jenseits des Mainstreams zu liegen – er ließ die Phantome des Kalten Krieges wieder vollends auferstehen –, dass ich das Interview nicht weiter verwendete. »Die Welt«, waren seine Worte, »wird feiern, was wir heute tun, denn wir halten Brasilien davon ab, zu einem zweiten Nordkorea zu werden.« Das war regelrecht absurd: Rousseff stand einer Mitte-Links-­Regierung vor, die eher noch zu freundlich gegenüber den Großunternehmen war.

Einige Augenblicke später trat Bolsonaro ans Mikrofon des Sitzungssaals und gab eine Erklärung ab, die das Land erschütterte. Seine Stimme im Amtsenthebungsverfahren widmete er Carlos Alberto Brilhante Ustra, jenem Mann, der als Oberst während der Diktatur in Brasilien Rousseffs Folterung überwachte. Eine ungeheuerliche Provokation, ein Versuch, das antikommunistische Militärregime des Landes zu rehabilitieren und sich selbst zum nationalen Sinnbild einer extrem rechten Opposition zu machen, die sich im Widerstand gegen alles sah.3

Als ich einige Wochen später Rousseff interviewte, während ihre endgültige Abwahl bevorstand, drehte sich unser Gespräch unweigerlich um die Rolle der USA in Bezug auf die Verhältnisse Brasiliens. Angesichts der zahlreichen Interventionen Washingtons zum Sturz von Regierungen in Südamerika fragten sich viele ihrer Anhänger, ob die CIA einmal mehr dahintersteckte. Sie verneinte, vielmehr sei dies das Ergebnis der inneren Dynamik Brasiliens.4 Doch in gewisser Weise ist das nicht weniger schlimm: Die Diktatur war zu einem Typus von Demokratie übergegangen, in der gefahrlos beseitigt werden konnte, wer den wirtschaftlichen oder politischen Eliten als Bedrohung ihrer Interessen erschien – wie Rousseff oder Lula. Und sie konnten, wann immer es ihnen nützlich vorkam, für ihre nächste Schlacht die Dämonen des Kalten Krieges beschwören.

Heute wissen wir, wie erfolgreich Bolsonaros Schachzug war. Als er zwei Jahre später zum Präsidenten gewählt wurde, war ich in Rio. Auf den Straßen brachen sogleich Kämpfe aus. Große, stämmige Männer begannen, tätowierte Frauen anzuschreien, die sichtbar den Gegenkandidaten unterstützten. »Kommunisten! Haut ab! Kommunisten! Haut ab!«, schrien sie.

2017 machte ich mich auf den Weg nach Indonesien – in genau entgegengesetzter Richtung wie Ing Giok Tan und ihre Familie so viele Jahre zuvor. Ich zog von São Paulo nach Jakarta, um für die Washington Post über Südostasien zu berichten. Nur wenige Monate nach meiner Ankunft plante eine Gruppe von Akademikern und Aktivisten eine Konferenz in kleinem Rahmen, um die Ereignisse von 1965 zu diskutieren. Doch in den sozialen Medien wurde der Vorwurf verbreitet, mit dem Treffen habe man in Wirklichkeit nur den Kommunismus wieder aufleben lassen wollen – was in diesem Land auch 50 Jahre später noch immer illegal ist. In dieser Nacht bewegte sich ein Mob auf die Veranstaltung zu, bald nachdem ich sie verlassen hatte. Er bestand größtenteils aus Gruppen islamistischer Männer, wie sie inzwischen oft an aggressiven Demonstrationen in Jakarta teilnehmen. Sie umstellten das Gebäude und kesselten so die Anwesenden ein. Meine Mitbewohnerin Niken, eine junge Gewerkschaftsaktivistin aus der Provinz Zentraljava, wurde dort die ganze Nacht lang festgehalten, während der Mob gegen die Wände trommelte und skandierte: »Nieder mit den Kommunisten!«, »Verbrennt sie bei lebendigem Leib!« Sie sandte mir verängstigte Textnachrichten, in denen sie mich bat, zu veröffentlichen, was gerade passierte. Ich twitterte über die Ereignisse, und es dauerte nicht lange, bis es zu Drohungen kam – samt Anschuldigungen, ich sei Kommunist oder gar ein Mitglied der Kommunistischen Partei Indonesiens, auch wenn diese gar nicht mehr existierte. In Südamerika hatte ich mich daran gewöhnt, derlei Botschaften zu erhalten. Die Parallelen waren kein Zufall. Beiderorts lässt sich die Paranoia auf einen traumatischen Bruch Mitte der 1960er Jahre zurückführen.

Aber erst als ich mit der Arbeit an diesem Buch begann und mit Fachleuten, Zeitzeugen und Überlebenden sprach, wurde mir zweierlei klar: Zum einen ist die Tragweite der beiden historischen Ereignisse viel größer als die Tatsache, dass es in Brasilien, Indonesien und vielen anderen Ländern immer noch einen gewalttätigen Antikommunismus gibt; zum anderen brachte der Kalte Krieg eine Welt von Regimen hervor, die jedwede soziale Reform als Bedrohung ansehen. Ich kam zu dem Schluss: Die Umgestaltung war global, und sie betraf insbesondere die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, jener Kontinente also, an denen Ing Giok mit ihrer Familie vorbeisegelte. Die Wellen der Neuformierung gingen 1964 und 1965 von Brasilien und Indonesien aus.

Ich spürte eine hohe moralische Verantwortung, dieser Geschichte nachzugehen und sie richtig zu erzählen, in gewisser Weise als Ergebnis von über einem Jahrzehnt Arbeit. Eigens für dieses Buch habe ich zwölf Länder besucht und über hundert Menschen interviewt – auf Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Indonesisch. In Archiven habe ich Dokumente in eben diesen Sprachen durchforstet, habe mit Historikern auf der ganzen Welt gesprochen und in fünf Ländern mit wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammengearbeitet. Ich hatte nicht viele Mittel, um dieses Buch zu erstellen, aber ich habe ihm alles gewidmet, was ich hatte.

Die Gewalt, die sich in Brasilien, in Indonesien und in 21 anderen Ländern der Welt abspielte, war weder zufällig noch war sie nebensächlich für die großen Linien der Weltgeschichte. Die Tode waren nicht »kalt und platt«, sie beruhten nicht etwa auf tragischen Irrtümern, die sonst nichts weiter zur Folge gehabt hätten.5 Ganz im Gegenteil. Die Gewalt war wirkungsvoll, sie war wesentlicher Bestandteil eines größeren Prozesses. Ohne eine Einordnung in den Kalten Krieg und die globalen US-­Ziele bleiben die Ereignisse unvorstellbar, ja: unbegreiflich und kaum zu verarbeiten.

Der bemerkenswerte Film The Act of Killing von Joshua Oppenheimer und die Fortsetzung The Look of Silence haben die Blackbox ›Indonesien 1965‹ geöffnet und weltweit Menschen dazu gebracht, einen Blick in sie zu werfen. Oppenheimers meisterhaftes Werk folgt einer extremen Nahaufnahme. In dem Versuch, sich gegenseitig zu ergänzen, habe ich bewusst den umgekehrten Ansatz gewählt und auf die globale Bühne herausgezoomt. Wer die Filme gesehen hat, so meine Hoffnung, mag dieses Buch zur Hand nehmen, um sie in den großen Zusammenhang einzuordnen; umgekehrt sind im Anschluss an die Lektüre die Filme zu empfehlen. Bei Joshua stehe ich auch persönlich in der Schuld, weil er mich bei meinen frühen Recherchen beraten hat. Und noch viel mehr verdanke ich den Indonesierinnen und Indonesiern, die ich traf. Unter den Historikerinnen und Historikern möchte ich Baskara Wardaya, Febriana Firdaus und Bradley Simpson hervorheben.

Um die Geschichte dieser Ereignisse und ihrer Folgen – also samt einem auf Vernichtung zielenden globalen Netzwerk, das in dem Zuge hervorgebracht wurde – wahrhaftig erzählen zu können, musste ich versuchen, die Geschichte des Kalten Krieges im weiteren Sinne zu vermitteln. Allzu oft wird übersehen, dass der gewalttätige Antikommunismus eine globale Kraft war und seine Akteure grenzüberschreitend arbeiteten. Sie lernten von Erfolgen und Misserfolgen in anderen Ländern, während ihre Bewegung an Fahrt aufnahm und Siege errang. Um zu erfassen, was geschah, müssen wir diese internationale Zusammenarbeit verstehen.

Dies ist auch die Geschichte einiger Einzelpersonen – so aus den USA, aus Indonesien und aus Lateinamerika –, die diese Ereignisse durchgemacht haben und deren Leben sich dadurch tiefgreifend verändert hat. Der gewählte Fokus und die Verbindungen, die ich erkannte, sind wohl bis zu einem gewissen Grad von meinem eigenen Hintergrund und meinen Sprachkenntnissen bestimmt, aber auch von jenen Menschen, die ich glücklicherweise traf. Deren Geschichte ist, so meine Überzeugung, mindestens Ausdruck des Kalten Krieges wie die anderer auch, ja: in gewisser Weise noch mehr, konzentriert sich doch die Geschichtsschreibung des Kalten Krieges hauptsächlich auf Weiße in den USA und Europa.6

Meine Schilderungen basieren auf freigegebenen Informationen, auf übereinstimmenden Forschungsergebnissen der sachkundigsten Historiker und auf erdrückenden Zeugenaussagen aus erster Hand. Ich stütze mich weitgehend auf meine eigenen Interviews mit Überlebenden. Selbstverständlich konnte ich nicht jede einzelne Aussage über deren eigenes Leben gegenprüfen, etwa wie sie sich jeweils fühlten, was sie anhatten oder wann genau sie verhaftet wurden. Doch keins der hier angeführten Details steht im Widerspruch zu den verbürgten Tatsachen und der übergeordneten Geschichte, die Historiker bereits freigelegt haben. Um die Ereignisse so sorgfältig wie möglich wiederzugeben und jenen Respekt zu zollen, die sie erlebt haben, und um zugleich den Beweisen treu zu bleiben, musste ich Folgendes anerkennen: Erstens ist die aufzuzeigende Geschichte wahrlich global; jedes Leben auf der Erde ist als gleich wertvoll zu behandeln, und kein Land oder Akteur wird von vornherein als good oder bad guy, als gut oder böse betrachtet. Zweitens ist das bekannte Wort, wonach »Geschichte von den Siegern geschrieben wird«, leider meistens zutreffend. Notwendigerweise ist dieser Tendenz hier entgegenzuwirken, gehörten doch viele der Menschen, die im Mittelpunkt dieser Darstellung stehen, zu den größten Verlierern des 20. Jahrhunderts. Deren Erfahrungen widersprechen vielfach einer Auffassung vom Kalten Krieg, wie sie in der anglophonen Welt vorherrscht. Wir dürfen uns nicht davor scheuen, dies zu benennen – auch wenn die Widersprüche für die Siegerdurchaus unangenehm sein mögen. Was nicht zuletzt mein Anspruch ist: Spekulationen gänzlich zu vermeiden und dem Drang zu widerstehen, die vielen ungelösten Rätsel selbst anzugehen. Wir müssen akzeptieren, dass es vieles gibt, was wir noch nicht wissen.

Demnach beruht dieses Buch nicht auf Vermutungen. Wenn ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen über scheinbar große Zufälle stolperte – dem Eindruck nach zu groß, um noch welche zu sein – oder über Verbindungen, die wir nicht erklären können, hielten wir inne und diskutierten darüber; wir folgten nicht einfach unserer eigenen Theorie, wenn es darum ging, Ursachen aufzuspüren.

Und es waren so manche Verbindungen, über die wir stolperten.

01.02.2023, 12:36

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