Im Wandel

Hintergründe Während die deutschen Hochschulen sich diesbezüglich noch im Tiefschlaf befanden, wurde die Digitalisierung in anderen Bereichen zum Alltag. Der Linguistikprofessor Jürgen Handke hat die Indikatoren des Wandels schon früh erkannt
Im Wandel

Foto: AFP via Getty Images

Vorwort zur 1. Auflage

Jürgen Handke im Februar 2015

If we teach today’s students as we taught yesterday’s, we rob them of tomorrow. (Dewey, John. 1944)

Die Hochschullehre befindet sich in einem dramatischen Wandel, der von verschiedenen Institutionen, z. B. dem Deutschen Hochschullehrerverband oder dem Stifterverband, mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ assoziiert wird und bisher gängige Bezeichnungen wie z. B. „Neue Medien in der Lehre“ oder auch „E-Learning“ nahezu vollständig absorbiert hat. Viele meinen, es sei der gravierendste Wandel seit der Erfindung des Buchdrucks (Reif, 2015), und es sei zwingend, dass sich die deutschen Hochschulen diesem Wandel stellen. Die zentralen Elemente der Hochschullehre, das Lehren, Lernen und Prüfen, werden sich massiv verändern, aber auch neue Möglichkeiten für die Präsenzlehre vor Ort eröffnen.
Viele Hochschullehrer stehen dieser Entwicklung gelinde gesagt „sehr zurückhaltend“, bisweilen aber auch fast hilflos gegenüber, und auch die Hochschulen bieten noch zu selten Alternativen zu klassischen Präsenzszenarien an. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig: nicht ausreichende eigene Medienkompetenz, Kontrollverlust bis hin zu Ängsten, als Lehrer nicht mehr benötigt zu werden und fehlende Flexibilität auf Seiten der Hochschulen.
Mit vorliegender Anleitung sollen Wege aufgezeigt werden, wie der Einstieg in die Digitalisierung gelingen kann. Ausgehend von klar umrissenen Problemen der Hochschullehre sollen insbesondere die sich die durch eine Digitalisierung von Lehrmaterialien ergebenden Möglichkeiten diskutiert und anhand von konkreten Beispielen umgesetzt werden.

Die Grundlage für jedwede Digitalisierung ist zunächst einmal die Schaffung einer allgemeinen Akzeptanz oder anders ausgedrückt, die Schaffung einer digitalen Lehr- und Lernkultur. Wenn allerdings weder Lehrende noch Studierende digitale Lehr- und Lernszenarien wollen, wenn keine Kultur der Digitalisierung entsteht und auch die verschiedenen Treiber der Digitalisierung ignoriert werden, wenn Hochschulleitungen dem Thema Digitalisierung gegenüber desinteressiert sind, dann wird es schwierig, auch bei besten Voraussetzungen Überzeugungsarbeit zu leisten.
So winken viele meiner Fachkollegen immer noch ab, wenn das Thema Digitalisierung der Lehre auf die Tagesordnung gelangt. Selbst wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass ihr eigenes Verhalten in Sachen Mediennutzung in der Forschung und auf Fachtagungen von dem ihrer Klientel, den heutigen Studenten, gar nicht so unterschiedlich ist, so sind nur wenige meiner Kollegen den Digitalisierungsbemühungen in der Lehre gegenüber aufgeschlossen. Daher gilt es zunächst, aus der Verteufelung eine Akzeptanz zu erzeugen. Und das kann dauern!
Doch irgendwann werden wahrscheinlich auch die letzten Fachkollegen davon überzeugt werden können und müssen, dass die traditionelle Lehre im heutigen digitalen Zeitalter in vielen Bereichen ein Auslaufmodell und nicht mehr zeitgemäß ist, und dass Überlegungen getroffen werden müssen, welche Bestandteile des eigenen Faches digitalisierbar sind. So verfügt z. B. jedes Fach über glossar-ähnliche Bestandteile, immer wiederkehrende Definitionen und Erklärungen bis hin zu turnusmäßig angebotenen Lerneinheiten in Kurzform. Diese sind das Ziel unserer Digitalisierungsbemühungen in dieser Anleitung, und es soll überlegt werden, wie eine Umsetzung realisierbar ist. Dabei spielt der Aspekt ‚Machbarkeit‘ eine zentrale Rolle. So sind Szenarien, die bereits seit den 1970er Jahren unter dem Begriff Intelligent Tutoring Systems zusammengefasst wurden und zum Ziel hatten, adaptive Lernelemente zu schaffen, in einiger Zeit sicherlich ein anzustrebendes Ziel. Derzeit allerdings ist ein solches Unterfangen – zumindest flächendeckend – unrealistisch. Daher sollte stets eine Abwägung zwischen dem Gewünschten und dem Machbaren vorgenommen werden. [...] Eine Digitalisierung der Lehre allein nur um der Digitalisierung willen bzw. nur, um der geänderten Lebenssituation der heutigen Studenten gerecht zu werden, darf nicht das Ziel unserer Bemühungen sein. Der Leitsatz aller Digitalisierungsszenarien muss in Anlehnung an die Aussage von Aaron Sams während der 1. Inverted Classroom-Konferenz im Jahr 2012 in Marburg sein:

“Didactics must drive Technology and not vice versa!”

Hinweise zur 2. Auflage

Jürgen Handke im September 2017

Seit der Publikation der 1. Auflage Anfang 2015 habe ich mehr als 75 Bildungsinstitutionen im deutschsprachigen Raum besucht und dort nicht nur meine Ideen zur Digitalisierung der Lehre vorgetragen, sondern auch zahlreiche gute Ansätze zur Umsetzung, aber auch Probleme kennengelernt, die z. T. sehr spezifisch, aber auch allgemeingültig waren. Die daraus resultierenden Erkenntnisse habe ich versucht, in eine überarbeiteten Auflage einzuarbeiten.
Darüber hinaus hat sich in der Zwischenzeit Einiges getan. Das bundesweit agierende Hochschulforum Digitalisierung hat eine Reihe von Untersuchungen publiziert und Ende 2016 in der Publikation The Digital Turn richtungsweisende Handlungsempfehlungen publiziert, die jetzt zumindest schrittweise umgesetzt werden. Eines ist aber noch nicht geschehen: die so sehr erhoffte Entwicklung in die Breite. Daher enthält diese überarbeitete Auflage als Zusatz mein ‚Sechs-Schritte-Programm‘, mit dem ich in zahlreichen Workshops vielen Lehrenden den Einstieg in die Digitalisierung ihrer eigenen Lehre ermöglichen konnte.

Hinweise zur 3. Auflage

Jürgen Handke im April 2020

Auch 2020 war die Versuchung vieler Lehrender und auch Leitungen war groß, sich weiterhin um das Thema der „Digitalisierung der Lehre“ herumzudrücken. Es gab zwar wie schon zuvor nicht unerhebliche Förderprogramme, es gab unzählige Fachtagungen und Strategiedebatten, doch so richtig durchgedrungen war das Thema leider immer noch nicht. Doch dann kam zu unserem Leidwesen ein neuer Treiber ins Spiel: Die Corona-Krise. Und nun zeigte sich, dass all die Jahre viel zu wenig für die Digitalisierung der Lehre getan wurde. Nahezu unvorbereitet schlidderte man in ein Semester, das vom Wegfall der Präsenzlehre gekennzeichnet war. Wie sollte das funktionieren? Nachhaltige Lösungen, wie z. B. Inverted Classroom-Formate oder die Bereitstellung qualitätsgesicherter, allseits verfügbarerer digitaler Lerneinheiten – Fehlanzeige. Diese 3. Auflage greift daher wie die Vorgängerversionen das Thema erneut auf, ergänzt es um mittlerweile über viele Jahre hinweg erprobte digitale Szenarien, mit dem Ziel der Erstellung und Nutzung nachhaltiger digitaler Lehr-und Lernelemente.

Was gibt es also Neues in der 3. Auflage? Neben den nun so dringend notwendig gewordenen Vorschlägen zur Lösung der Corona-Präsenz-Krise an den deutschen Hochschulen, spielen in der 3. Auflage Hinweise zur Umsetzung der Präsenzphase, neue Details zur Videoproduktion und die Möglichkeit der Integration von Anreizsystemen in die Digitale Lehre eine wichtige Rolle. Zusätzlich haben mir viele deutsche Hochschulen in den vergangenen Jahren die Gelegenheit gegeben, meine Ideen dort vorzutragen und in Praxis-Workshops umzusetzen. Von diesen Erfahrungen profitiert die Neuauflage dieses Buches.

09.06.2020, 11:29

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