Unvermutet einflussreich

Leseprobe In „Influencer“ stellt das Autoren-Duo die These auf, dass Influencer trotz ausgestellter Modernität den Zeitgeist beeinflussen: Indem sie rückwärtsgewandte Rollenbilder und Konsumismus propagieren, leisten sie einem konservativen Backlash Vorschub
Social-Media-Makeup-Star ILuvSarahii während der NYX-Cosmetics-Eröffnung.
Social-Media-Makeup-Star ILuvSarahii während der NYX-Cosmetics-Eröffnung.

Foto: Jules Ameel/Getty Images for NYX Professional Makeup

Die Entstehung der Werbekörper

»Je vois la vie en rose«: So besang Édith Piaf einst die große Liebe. Ein Dreivierteljahrhundert später dient die von der Chanson-Ikone verehrte Farbe weniger der Lobpreisung der höchsten Gefühle als vielmehr der Umgarnung heranwachsender Frauen durch die Werbebranche, wie die für ein Instagram-Foto am Strand posierende Influencerin demonstriert. Rosa Lippenstift, rosa Oberteil, rosa Haarband, rosa Fingernägel: Die Kleidung sowie die Accessoires reproduzieren Klischees von Weiblichkeit, die allen emanzipatorischen Fortschritten zum Trotz bis heute gewinnbringend genutzt werden können. Das Objekt der Begierde, dessen Image mit den Reizen der lächelnden jungen Frau verquickt werden soll, ist ein rosafarbener Parfumflakon, den sie in ihrer rechten Hand hält. Nach der obligatorischen Frage an die Community – »Wann wart ihr das letzte Mal so richtig glücklich? Was hat euch gute Laune bereitet? Bei mir war es nach langer Zeit 1 Tag am Meer – perfekt zum entspannen und loslassen« – kommt die Influencerin in der Bildbeschreibung zum eigentlichen Zweck ihres Posts: »Mit dabei auf unserem Trip zum Meer hatte ich meinen neuen Lieblingsduft ›IRRESISTIBLE!‹ von @givenchybeauty. Dieses Eau de Parfum hat mich total überzeugt durch seinen fruchtig-sanften, pudrigen, aber vor allem femininen Duft, der mir immer gute Laune macht und mich ab sofort auch an diese tollen Momente erinnert.« Die Gleichsetzung von guter Laune und Glück irritiert die Community anscheinend so wenig wie der Marketingsprech: Mehr als 90000 Fans haben diesem Bild ein Herzchen geschenkt. »Mon cœur qui bat.«

***

Auch wenn die Rolle der Influencer im digitalen Kapitalismus darin besteht, die Realisation des Kapitals sicherzustellen, bedeutet dies keineswegs, dass ihr Selbstverständnis von dieser Mission bestimmt ist. Im Gegenteil, viele Influencer scheinen ihren eigenen Beruf falsch zu verstehen. Beispielhaft dafür ist eine Aussage des vielleicht bekanntesten Youtubers Deutschlands, der dem Medienmagazin Zapp im Oktober 2019 sagte: »So ’ne Anne Will ist ein Influencer, ich bin ein Influencer, die ›FAZ‹ ist ein Influencer – wir sind alle Influencer, wir alle beeinflussen Menschen«, so als wäre der Begriff an den bloßen, wie auch immer gearteten Einfluss und nicht an die spezifische Werbeform des Influencer-Marketings geknüpft.

Wodurch entsteht diese Diskrepanz? Wie kann es sein, dass Youtuber und Instagram-Stars, deren systemstabilisierende Aufgabe in der Vermarktung von Produkten besteht, sich häufig weniger als Werbegesichter denn als inspirierende Entertainer und Freunde der Community verstehen – oder zumindest öffentlich als solche präsentieren? Handelt es sich hierbei um eine bloße Blendung des Publikums, dem Unterhaltung anstatt kommerzieller Interessen vorgegaukelt werden soll? Nein, eine solche Unterstellung griffe zu kurz, vielmehr erscheint die Rolle der Influencer aus ihrer individuellen Sicht anders als aus der Perspektive des Kapitals.

Bis auf wenige Ausnahmen wie Fußballer und Popstars, die aufgrund ihrer vorherigen Prominenz problemlos Millionen Follower um sich scharen können, müssen fast alle Influencer einen beschwerlichen Weg auf sich nehmen. Sie müssen in monate- oder gar jahrelanger Arbeit der Netzwelt Unterhaltung – etwa in Form lustiger Videos oder schöner Reisebilder – bieten und eine Community aufbauen. Erst dann kann die so gewonnene Reichweite für Werbebotschaften genutzt wer- den. Kein Unternehmen käme auf die Idee, Instagrammer mit zwei Dutzend Followern für eine Werbekampagne zu engagieren.

Dies lässt sich anhand der ersten Youtuber-Generation verdeutlichen: Sie bestand aus bis dahin unbekannten Jugendlichen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Sie experimentierten vor der Kamera herum und stellten das Ergebnis ins Netz – ganz gleich, ob es sich um selbstgeschriebene Sketche, Parodien von Lady-Gaga-Videos oder Schminktipps handelte. Diese Clips wurden nicht des Geldes, sondern der Aufmerksamkeit und Anerkennung wegen veröffentlicht, und wer sie heute aufruft, wird erstaunt sein, wie unselbstbewusst die jetzigen Klick-Millionäre damals in die Kamera lächelten, wie dilettantisch ihr Videoschnitt war und wie amateurhaft ihre Beleuchtung. Dann professionalisierten sie sich jedoch in Windeseile: Die Clips wurden aufwendiger produziert, schneller geschnitten, besser gefilmt – und konnten monetarisiert werden.

Bereits 2007, zwei Jahre nach der Unternehmensgründung, startete Youtube das Partner-Programm: Die Plattform schaltet dabei vor den Videos ihrer Produzenten Werbespots, an denen beide Parteien verdienen. Dieses Programm bildete die erste Einkommensquelle für die frühen Youtuber, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Influencer waren. Doch das sollte sich in den folgenden Jahren ändern, als sie eigene Kooperationen angeboten bekamen, ihren Alltag teilten und Produkte in die Kamera hielten, kurzum: als das Influencer-Marketing entstand.

Es lassen sich also zwei Phasen unterscheiden: Erst entstehen Netzstars, die Abertausende Fans um sich versammeln. Dann werden diese Stars zu Influencern. Damit wird auch verständlich, weshalb einige professionelle Youtuber ihre Rolle als Kapitalrealisateure nicht begreifen: Sie sehen sich als Entertainer, die nebenbei werben, da sie in genau dieser Reihenfolge Karriere gemacht haben. Heute hingegen beginnt fast jede Netzkarriere mit ökonomischem Kalkül. Das Kapital wiederum, repräsentiert durch werbewillige Unternehmen, findet sie als prominente Entertainer vor, die nun ihrem eigentlichen (und ihnen nicht bewussten) Zweck zugeführt werden sollen.

Vom Inhalt zum Content

Dabei kann das werbewillige Kapital mittlerweile auf eine gigantische Reservearmee von Influencern zurückgreifen. Sarah Frier, die eine erste umfassende Unternehmensgeschichte Instagrams geschrieben hat, rechnet vor:

Mehr als 200 Millionen Instagram-Nutzer [bei ca. einer Milliarde aktiven monatlichen Nutzern] haben jeweils mehr als 50000 Follower; laut Dovetale, einem Unternehmen, das Influencer-Analysen durchführt, kann man auf diesem Niveau seinen Lebensunterhalt verdienen, indem man im Auftrag von Marken postet. Weniger als ein Hundertstel Prozent der Instagram-Nutzer hat mehr als eine Million Follower. In dem riesigen Maßstab von Instagram entsprechen diese 0,00603 Prozent allerdings mehr als sechs Millionen Insta-Stars, von denen die meisten nur durch die App berühmt wurden.

Der vielleicht wichtigste Schachzug der Instagram-Grün- der bestand darin, Prominente (und damit deren Fans) auf die Plattform zu locken – jedoch nicht, um nur den Stars eine weitere Bühne zu geben: Stattdessen sollten diese ihren Followern vormachen, wie sie auf Instagram ihren Alltag teilen können. So etwa die Popsängerin Taylor Swift, die sich mit ihrer Katze filmen ließ und damit demonstrierte, »dass es bei Stories nicht um gestellte Momente geht«. Geteilt werden sollte nicht bloß das Besondere, sondern insbesondere das Alltägliche, das nun alle Nutzer mithilfe von Filtern ästhetisieren konnten. Diese Demokratisierung, die den großen Plattformen trotz ihrer oligopolistischen Stellung zu eigen ist, machte es Unbekannten möglich, in kürzester Zeit zu Berühmtheiten aufzusteigen.

Aber wieso setzen sich einige Nutzer in diesem demokratisierten Wettbewerb durch – und viele andere nicht? Ein Patentrezept für den Onlineerfolg gibt es keineswegs, auch wenn unzählige Ratgeberbücher Derartiges versprechen. Auszumachen sind jedoch in allen sozialen Netzwerken ähnliche Karrieren: Nicht nur auf Youtube, auch auf Instagram oder Tiktok gab es in den ersten Jahren findige User, die vor allen anderen verstanden, was »sich klickt«. Diese Pioniere trafen einen bis dahin unbekannten Nerv und kreierten Genres, die vor der Entstehung sozialer Netzwerke undenkbar schienen. Insbesondere Zuschauern, die mit dem linearen Fernsehen aufgewachsen sind, werden diese Bilder und Videos wie kulturelle Erzeugnisse von einem anderen Stern erscheinen: Auf Videoplattformen sind etwa Clips besonders erfolgreich, die in irgendeiner Art und Weise von den Zuschauern als »satisfying«, also als »befriedigend« empfunden werden. So gibt es Youtube-Kanäle, auf denen sich die Zuschauer minutenlang ansehen, wie hydraulische Pressen Gegenstände zerdrücken. Derartige Zerstörungsvideos reizen das Auge, ohne den Verstand anzusprechen, und können abends im Bett, in langwierigen Stunden im Büro oder auf öden Bahnfahrten gleichermaßen gut konsumiert werden. Je teurer die zerquetschten Gegenstände (das heißt: je obszöner die Zerstörung), desto besser klicken sich die Clips, und das haben auch die Influencer verstanden. Immer wieder laden sie Videos hoch, in denen sie vergleichbare »Experimente« durchführen und teure Konsumgüter – am liebsten Iphones – schänden: »Ich ZERBEISSE ein iPHONE« (1,2 Millionen Aufrufe), »Ich stecke ein iPhone in den MIXER!!!« (2,8 Millionen Aufrufe), »Das schärfste Messer – ich ZERSCHNEIDE ein iPHONE!!« (5 Millio- nen Aufrufe) und »UNZERSTÖRBARE Handyhülle – iPhone zerstören« (5,9 Millionen Aufrufe) – diese vier Videos entstammen allesamt dem Kanal eines einzigen Youtubers und demonstrieren, dass Millionen junge Men- schen es sich schon lange abgewöhnt haben, dem »Content« der Influencer wirkliche Inhalte abzuverlangen. Die so entstandene Unterhaltung dient der Realisation des Kapitals in erweiterter Form: Zusätzlich zur Methode der geplanten Obsoleszenz – das heißt der künstlich verkürzten Lebensdauer von Geräten – sorgen die Influencer mit ihren Videos für eine forcierte: Die von ihnen zerstörten Geräte sollen Begehrlichkeiten im Publikum wecken, den eigenen Besitz zu erweitern (oder zu erneuern). Hieß es früher einmal »Alte Mäntel machen dick!«, heißt es heute: »Alte Handys gehören in den Mixer!«

Ähnlich beliebt wie die Zerstörungsorgien sind »Experimente« à la »Wie viel Geld kann man in nur 5 MINUTEN bei dm ausgeben?« oder »BADEN in 40 kg NUTELLA!!«. Verquickt werden die großen Marken mit dem Renommee der Influencer, und das nicht nur, wenn diese von den Konzernen für Werbung bezahlt werden. Auch sonst singen sie tagtäglich das Lied des Konsumismus: Die beliebten Videos und Fotos drehen sich fast immer um die Segnungen des Shoppings oder die physischen Grundbedürfnisse der Influencer, wie insbesondere auf Instagram sichtbar wird. Die Follower können dank der Storys mit ihren Vorbildern den gesamten Tag verbringen, der sich (abgesehen von dem in Szene gesetzten Reichtum) kaum von ihrem eigenen unterscheidet: Die Influencer stehen morgens auf, sie waschen und schminken sich (vor allem die Frauen, aber auch die Männer greifen zu Kosmetikprodukten), frühstücken, überlegen, was sie zu Mittag essen könnten, gehen zum Sport, essen zu Abend und gehen schlafen. Unterbrochen wird diese Nabelschau einzig durch Wer- bung, die sich perfekt in den Alltag einbinden lässt. Schon morgens im Badezimmer werden die ersten Produktplatzierungen für Hautcreme und Lip Maximizer in die Storys eingeflochten, bei der Auswahl des Outfits kann ein Modehersteller verlinkt werden, und der Sport dient der Bewerbung des eigenen veganen »Energy & Focus Booster« mit dem vielversprechenden Namen »Booty Pump« (Geschmacksrichtung: Pfirsich-Maracuja). Einzig der Stuhlgang bleibt der Community bislang verborgen, während das öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm mit Werbespots für Produkte zur Verdauungsförderung und gegen Inkontinenz durchsetzt ist. Es bleibt spannend, ob die Influencer diesen demografischen Wandel bald auch vollziehen werden.

Beinahe nie wird den Followern etwas über die körperlichen (oder konsumistischen) Grundbedürfnisse Hinausgehendes präsentiert. »Inhalte überwinden«, das Motto der Satirepartei Die PARTEI, ist in den sozialen Medien zum unironischen (wenn auch nie ausgesprochenen) Mantra geworden. Zwar gibt es auf Youtube und Instagram in Nischen ernst zu nehmende Inhalte, etwa in der Do-it-yourself-Rubrik, wo gekocht, geangelt oder gebastelt wird. Diese »Content Creators«, wie Youtube sie nennt, haben ihre Hobbys unter anderem dadurch zum Beruf machen können, dass sie sich über Influencer-Marketing finanzieren, wenn sie Kooperationen mit Firmen eingehen, deren Produkte sie in den Videos ver- wenden. Häufig sind diese Nischen-Influencer jedoch nur mit ihrer jeweiligen Tätigkeit in den sozialen Medien präsent, sie stellen in der Regel nicht ihr Ich und ihr Privatleben aus.

Die meisten Influencer, zumal solche mit höherer Reichweite, tun jedoch genau das. Sie präsentieren ihren gesamten Alltag, so dass die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben vollends verschwimmen. Selbst die eigenen – oftmals mit Lebensweisheiten und Pampasgras geschmückten – vier Wände werden einem Millionenpublikum zugänglich, die »Tyrannei der Intimität« (Richard Sennett) ist im kommerziellen Internet allgegenwärtig. Jeglichem Inhalt erteilen die Influencer eine Absage, sie drehen sich permanent um sich selbst und reduzieren sich auf ihren Körper und ihre Konsumwünsche. Durch diese (scheinbare) Authentizität können die Bedürfnisse der Follower manipuliert werden, und das umso glaubwürdiger, als die Netzprominenten ihre Karriere oftmals selbst als unbezahlte Konsumenten begonnen haben. Ihre Individualität reduziert sich auf die Varianz der von ihnen beworbenen Produktpalette, so dass anstelle der »feinen Unterschiede« (Pierre Bourdieu) nur noch grobe übrig bleiben. Der Lebensstil der Influencer ist eben nicht der »feiner Leute«, er entspricht vielmehr demjenigen des berüchtigten Kardashian-Jenner-Clans, der es aus dem Reality-TV in die oberste Liga des Influencer-Business geschafft hat. Schminke, Kleider, Schuhe, Nagellack: Die Influencer sind nicht bloße Werbefiguren, wie wir sie einst kannten. Sie sind Werbekörper.

Ihr Vorbild ist gewissermaßen das Tamagotchi: Dieses digitale Küken in einem Plastik-Ei, das immer wieder gefüttert und gepflegt werden will, da es ansonsten »stirbt«, war eines der beliebtesten Spielzeuge der späten neunziger und frühen nuller Jahre. Die erste Genera- tion von »Digital Natives« wuchs mit diesem Spielzeug auf, zog das digitale Haustier groß und achtete darauf, dass dessen körperliche Bedürfnisse erfüllt wurden. Als ähnlich nutzerabhängig stellen sich die Influencer dar (auch wenn sie es in Wahrheit nicht sind): Welches Kleid sollen sie anziehen, welches Essen soll verspeist, welche Schminke soll ausprobiert werden? Derartige Fragen stellen die Influencer der Community immer wieder. Die Umfragen bleiben zwar fast immer folgenlos, erhöhen aber die Bindung der Nutzer an ihre Idole, da sie scheinbar aktiv an deren Leben teilhaben dürfen. So entsteht die Illusion der Aktivität. Gestärkt wird nicht die Handlungsfähigkeit der Follower – es liegt nur scheinbar in ihrer Macht, das Aussehen ihres Idols zu beeinflussen –, sondern die algorithmische Stellung der Werbekörper, die mit erhöhter Community-Interaktion verbessert und konsolidiert wird.

In Echtzeit lässt sich diese Bindung auf Streaming- Plattformen beobachten: Neben Instagram, Youtube und Tiktok werden diese für das Influencer-Marketing immer wichtiger. Etwa im Gaming-Bereich: Auf der zu Amazon gehörenden Plattform Twitch können Fans ihren Idolen nicht nur zusehen, wie sie Spiele in Kooperation mit dem jeweiligen Entwickler vorstellen oder andere Produkte (wie Konsolen, Mikrofone oder Gaming- Sessel) bewerben. Mit dem Partner-Programm können erfolgreiche Streamer – ähnlich wie bei Youtube – zusätzlich Geld mit Werbeanzeigen verdienen, die ein- geblendet werden. Auch können die Fans ihre Lieblingsstreamer direkt unterstützen, indem sie ihnen im Chat sogenannte Bits zukommen lassen, die am ehesten mit Jetons in einem Casino zu vergleichen sind. Die Bits werden von den Fans für echtes Geld erworben und später von den Influencern wieder umgetauscht.

Zudem ist das Live-Streaming inzwischen die neue Variante des Teleshoppings, vor allem in China zeichnet sich dieser Trend schon länger ab. Über die zu Jack Mas Mutterkonzern Alibaba gehörende Streaming-Shopping- Plattform Taobao Live wurden allein am »Singles Day« am 11. November 2019 Produkte im Wert von 2,85 Milliarden Dollar verkauft. Eigentlich sollte dieser Tag dazu dienen, dass Alleinstehende sich selbst feiern, verwandelt hat er sich seit einigen Jahren in ein gigantisches Shopping-Event. 17 000 Marken setzten am »Singles Day« 2019 auf Live-Streaming:

Zum Beispiel hat der Top-Livestreamer von Taobao, Viya, acht Stunden lang einen Livestream mit insgesamt 43,15 Millionen Käufern durchgeführt. Der »Lippenstiftkönig« Li Jiaqi war mehr als 6 Stunden live und zog 36,83 Millionen Nutzer an. In einer weiteren Livestreaming-Sitzung, in der Rabatte auf Autos angeboten wurden, wurden 55 Autos in nur einer Sekunde verkauft.

Während der Corona-Pandemie nahm die Beliebtheit von Live-Streaming noch deutlich zu, so konnten etwa die Provinzen Hubei und Shaanxi ihre landwirtschaftlichen Produkte vermarkten. Dabei entstanden neue, unerwartete Netzstars wie die achtzigjährige Cui Shuxia, die für ihren Enkel beim Live-Streaming einsprang und bald täglich Aprikosen im Wert von ca. 1200 Euro verkaufte. Sowohl die Nische als auch der Mainstream setzen auf Live-Streaming-Influencer, die oft sechs bis acht Stunden am Stück Produkte testen, auf Wunsch der Zuschauer mal diesen oder jenen Lippenstift oder Lidschatten auftragen. Diese Influencer, die häufig auch »Key Opinion Leader« genannt werden, können von Unternehmen gebucht werden. Westliche Firmen werben auf diese Weise in China für ihre Produkte, auch Facebook und andere US-Konzerne arbeiten an ähnlichen Shopping-Möglichkeiten. Denn wo sich die Follower ihren Vorbildern nah fühlen können, steigt die Kauflust.

10.03.2021, 14:20

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