Eine Geschichte über das Schwein

Leseprobe Das Schwein bringt Glück und wird in Marzipan modelliert, gleichzeitig ist es Metapher für alles, was dreckig, ungehörig und sündhaft ist. Das Schwein wird ausgestoßen, besser gesagt, eingepfercht und sorgfältig vor den Blicken der Menschen verborgen
Muttersau mit Ferkeln.
Muttersau mit Ferkeln.

Foto: DANIEL LEAL/AFP via Getty Images

Eine unmögliche Begegnung

Wahrscheinlich hat sich der Mensch schon immer ein Stück weit im Schwein wiedererkannt. Vor 44000 Jahren stand ein Mensch in einer Höhle im heutigen Indonesien und zeichnete mit einem roten Sandstein ein Bild an die Felswand. Kein Zweifel, er hatte einen Plan, doch als er zurücktrat, um sein Werk zu begutachten, war er selbst überrascht. Zum ersten Mal hatte er die Striche zu einem erkennbaren Motiv zusammengefügt. Die älteste bekannte figürliche Zeichnung der Menschheitsgeschichte stellt ein Schwein dar.1

Man nimmt an, dass die frühen paläolithischen Kunstformen geistige oder rituelle Hintergründe haben. Das Schwein in der indonesischen Höhle ist somit das älteste Zeugnis abstrakten Denkens. Anders ausgedrückt: Wenn es die Fähigkeit zum abstrakten Denken ist, die Mensch und Tier unterscheidet, dann ist die Felszeichnung eines Schweines der älteste bekannte Ausdruck des Menschseins.

Vielleicht war dies Winston Churchill bewusst, als er viele Jahrtausende später sagte: »Hunde sehen zu dir auf, Katzen sehen auf dich herab. Gib mir lieber ein Schwein – es sieht dir in die Augen und behandelt dich als gleichwertig.«2 Wie alt und stark unsere Verbindung auch sein mag, sie hat dem Schwein nicht viel geholfen, denn das Verhältnis zwischen Mensch und Schwein war meist von Verachtung geprägt.

Lange bevor die religiösen Schriften Juden und Muslimen den Genuss von Schweinefleisch verboten, war das Schwein im Nahen Osten eine ausgestoßene Spezies. Auch Jesus hatte nicht viel für sie übrig. Er erhob das Lamm zum Symbol der Unschuld und verdammte das Schwein als dämonisch. Diese Abscheu spiegelt sich bis heute in unserer Sprache, in der das Schwein zu einer Metapher des Vulgären, Schändlichen und Sündhaften geworden ist.

Niemand möchte als »Schwein« oder »Sau« betitelt werden. Noch schlimmer ist ein »altes Schwein«, weil dies ein langes Sündenregister impliziert. Wird man hingegen als »Ferkel« bezeichnet, lässt sich dem meist durch eine bessere Hygiene entgegenwirken. Die Liste ließe sich lange fortsetzen, und alle »schweinischen« Ausdrücke hängen mit der jahrtausendelangen Stigmatisierung der Art Sus scrofa domesticus (Hausschwein) zusammen, auch die »armen Schweine«. Jesus trieb eine riesige Schweineherde zum kollektiven Selbstmord, weil er einer Legion von Dämonen erlaubte, in sie zu fahren. Die 2000 Tiere stürzten sich panisch in den See Genezareth.3

Etwa 2000 Jahre später traf ein scheinbar nebensächlicher Zeitungsartikel auf meinem Facebook-Konto ein. Die Überschrift lautete »Mehr Schweine als Menschen in Rogaland«.4 In besagter Provinz liegt die Anzahl beider Spezies jeweils knapp unter einer halben Million.

Damals wohnte ich in Oslo und hatte wenig Bezug zu meiner Heimat Jæren. Trotzdem dachte ich: »Das kann doch nicht sein.« Warum hatte ich dort nie ein Schwein gesehen? Zwar stamme ich aus der urbanen Gegend um Stavanger, doch war ich mein Leben lang durch Jæren gefahren und gewandert. In meiner Erinnerung war die Landschaft durch viele Tiere geprägt, doch Schweine gehörten nicht dazu. Ich kannte sie nur aus Tiergärten oder Besuchshöfen, ein wirkliches Schwein, das in die Statistik der industriellen Fleischproduktion eingeht, hatte ich nie zu Gesicht bekommen.

Die Erkenntnis kam zu einer Zeit, in der ich mit großer Leidenschaft Stunden am Herd verbrachte und mir einbildete, ich könne ebenso gut werden wie die großen Köche, deren Bücher ich verschlang. Keiner beschrieb das Gefühl, in ein knuspriges Stück Schwarte zu beißen, besser als Anthony Bourdain (Friede seiner Asche). Er hatte mir die Augen dafür geöffnet, dass es Schweinefleisch auch jenseits von trockenen Koteletts und wässrigen Würstchen gab. Es wurde zu meiner liebsten Fleischsorte – worin Bourdain und ich keineswegs alleine waren.

Schon zu Beginn unserer Zeitrechnung bemerkte Plinius der Ältere: »Von keinem andern Thiere hat sich die Freßsucht mehreren Stoff erdacht: man macht daraus fast dreysigerley Geschmacksarten, da sonst jedem Thiere nur eine eigen ist«.5 »A wonderful, magical animal!«, ruft Homer Simpson aus, nachdem seine Tochter Lisa ihm erklärt, wie viele seiner Lieblingsgerichte vom Schwein kommen.6 Für viele ist Speck die kulinarische Krönung unzähliger Mahlzeiten, er ist das »Gewürz des Lebens«, wie die dänischen Fernsehköche James und Adam Price sagen. Ganz zu schweigen von den karamelligen Aromen eines langsam im Ofen gebackenen glasierten Schweinenackens, der mit zwei Gabeln zu Pulled Pork zerkleinert und im eigenen Saft geschwenkt wird. Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal das zarte, saftige Fleisch mit gleichen Teilen Krautsalat in einen Brioche legte.

Bourdain weilt nicht mehr unter uns, und diese Zeiten sind vorbei. Ich habe es aufgegeben, meinen Speck selbst zu pökeln, und kaufe nur selten Fleisch, das eine lange, komplizierte Zubereitung braucht. Gefangen in neuen Verpflichtungen lebe ich wieder im Zeitalter der Würstchen, und bei jedem Kindergeburtstag muss ich vorher überlegen, wie viele Halal-Würste ich für die Feier brauche. Als Versorger eines großen Haushalts ist der Verzehr von Schweinefleisch zu einer wirtschaftlichen und logistischen Angelegenheit geworden. Tag für Tag wird der Kühlschrank mit abstrahiertem Schwein in Form von gekochtem Schinken, Wurst, Leberpastete, Bacon und mehr gefüllt. Kaum ein Tag vergeht ohne ein Industrieprodukt aus Schweinefleisch und anderen Zutaten.

Unsere Ernährung hat seit den 1950er Jahren eine wahre Fleischrevolution durchgemacht. 1980 verspeisten wir noch 53 Kilogramm Fleisch pro Kopf, im Rekordjahr 2012 waren es 76 Kilogramm. Während die Rindfleischproduktion in den letzten Jahrzehnten langsam und gleichmäßig anstieg, betrifft der rapide Konsumanstieg hauptsächlich Tierarten, die wir selten im Freien sehen, nämlich Schweine und Geflügel.7

Das Schwein bleibt mit Abstand das beliebteste Schlachtvieh in Norwegen. Berechnet nach unserem aktuellen Fleischkonsum werden wir bis an unser Lebensende 30 ganze Schweine verzehrt haben. Ein durchschnittliches Schlachtschwein wiegt ungefähr 100 Kilogramm, bevor ihm die Kehle durchgeschnitten und der Bauch aufgeschlitzt wird. Dürfte es auswachsen, würde es an die 300 Kilogramm erreichen. Während ich dies schreibe, leben in Norwegen ungefähr 1,6 Millionen Schweine in industriellen Mastbetrieben. In Dänemark beträgt die Anzahl 29 Millionen, und in der ganzen Welt knapp eine Milliarde.8 Somit war Schweinefleisch in den letzten 50 Jahren die mit Abstand meistverzehrte Fleischsorte der Welt.

Wie kann eine Industrie diesen Ausmaßes, die auf lebendigen Tieren solcher Größe beruht, für uns völlig unsichtbar sein? Was hat dies mit uns getan – und was mit den Tieren?

Bereits 1977 beschrieb der britische Schriftsteller und Kritiker John Berger, was mit uns geschieht, wenn der Kontakt zu Nutztieren aus dem Alltag verschwindet. In dem Essay »Why look at animals?« behauptet er, dass wir genau aus diesem Grund kein Verhältnis mehr zu Tieren als Nahrungsquelle haben.9 Früher war dieses Verhältnis durch häufigen Augenkontakt zu den Tieren bestimmt. In ihren Augen erkannten wir sowohl uns selbst als auch die Kluft zwischen Mensch und Tier, und genau dieser Dualismus machte unser Verhältnis komplex und gleichzeitig sicher. Wir ehrten und schlachteten sie. Mit der Industrialisierung wurde das Band durchtrennt. Die Menschen zogen in die Städte, während die Tiere in immer weniger und dafür größeren Zuchtbetrieben auf dem Land verblieben. Mit dem Augenkontakt verschwand auch die Verknüpfung von Ehren und Schlachten aus unseren Köpfen.

Der amerikanische Autor und Journalist Michael Pollan hat unsere Essenskultur in vielen Büchern und Artikeln kritisch untersucht. Er behauptet, unsere Haltung gegenüber Tieren sei zu einem Entweder-oder geworden, doch weder idealistische Veganer noch ignorante Fleischesser würden die Komplexität des ursprünglichen Verhältnisses zwischen Mensch und Nutztier begreifen.13

Ich betrachte mich weder als Idealist noch als Ignorant, obwohl meine Essgewohnheiten mich deutlich auf der Seite der Fleischesser verorten. Nun ist seit Bergers und Pollans Essays einiges geschehen. Die Freilandhaltung und/oder ökologische Haltung von Schweinen kann als Versuch betrachtet werden, das alte Prinzip von Ehren und Schlachten wiederherzustellen. Die Frage ist, wie gut dies gelingt und ob die betreffenden Konsumenten nicht auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Tieren zeigen. Die Produkte stehen meist ebenso industriell verarbeitet und vakuumverpackt im Kühlregal wie ihr konventionelles Gegenstück. Und selbst, wenn man das Fleisch eines Tieres kauft, von dem man annimmt, dass es ein gutes Leben hatte, hat man noch kein Verhältnis zu dem Tier selbst aufgebaut, sondern zeigt nur distanzierte Empathie. Man hat dem Tier nicht in die Augen geschaut und es als Individuum geschätzt, wie Berger darlegt. Auch muss man den Fleischkonsum als Ganzes betrachten. Biofleisch ist trotz steigender Tendenz noch immer ein Nischenprodukt, und die wenigsten Konsumenten kaufen ausschließlich Bioprodukte. Der Anteil von Biofleisch am Gesamtkonsum von Schweinefleisch betrug 2018 in Norwegen nur 0,2 Prozent.14 Wir bleiben eine Nation von Industriefleischessern.

Ist es unter den heutigen Bedingungen überhaupt möglich, unser ursprüngliches Verhältnis zu Nutztieren wiederherzustellen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muss ich wenigstens ein paar Schweinen in die Augen geschaut haben.

Der Himmel in Jæren ist hoch, sagt man. Dies trifft zumindest bei dem gegenwärtigen Hochdruckgebiet über der Südwestküste zu. Es ist Anfang Mai, ich fahre auf der Nordseestraße, im Westen Strände und Meer, im Osten leicht hügeliges Ackerland. Doch die offene Landschaft täuscht, denn Jæren birgt manches Geheimnis.

Auf den Weiden liegen wiederkäuende Kühe. Erst vor Kurzem wurden sie aus den Ställen gelassen, wobei sie sich wie berauscht benahmen. Viele Städter fahren im Frühling aufs Land, um diesem Spektakel beizuwohnen. So sehen wir unsere Tiere gern – vital und kräftig. Dasselbe gilt für die Pferde, die oft noch heute vom Reichtum ihrer Besitzer zeugen. Die Lebensbedingungen dieser großen Geschöpfe erinnern weiterhin an den Status, den sie einmal hatten. Die dominanten Tiere im Landschaftsbild Jærens bleiben jedoch – wie fast überall in Norwegen – die Schafe. Drei sichtbare Vierbeiner, die bei Weitem nicht die Anzahl der Schweine erreichen, die es hier gibt. Würden wir alle Schweine Rogalands auf einmal schlachten, entspräche ihr Fleischgewicht 150 Millionen Einzelportionen.15 Wir könnten ganz Deutschland und Großbritannien zu einem Festmahl einladen.

Ich biege von der Hauptstraße auf einen holprigen Schotterweg ab, der zu einer Produktionsstätte führt – oder zu einem Bauernhof, wie es noch immer heißt. Ob meine Mission erfolgreich sein wird, weiß ich nicht, weil ich niemanden vorher gefragt habe. Den Hof habe ich im Internet gefunden. Es soll einer der größten Mastbetriebe des Landes sein, doch selbst die Adresse habe ich nur in einer Liste der Aktionäre gefunden. Der Vorstand steht im Telefonbuch, aber unter der angegebenen Nummer bekam ich nur die Ansage: »Die von Ihnen gewählte Nummer ist unbekannt.« Deshalb rief ich den Bauernverband an und bat um die Adressen einiger Höfe, die ich besuchen könnte. Aus Datenschutzgründen gebe man keine Informationen über einzelne Betriebe heraus, lautete die Antwort.

Was die Schweinemast angeht, steht es um den Datenschutz anscheinend besser als um den Tierschutz. Sowohl Tierschutzverbände als auch die Lebensmittelaufsichtsbehörde haben in den letzten Jahren erschreckende Berichte veröffentlicht. Im Frühsommer 2019 rüttelte eine Folge der norwegischen Dokumentarreihe »Brennpunkt« die Öffentlichkeit auf. Die Geheimnisse der Schweineindustrie deckte herzzerreißende Bedingungen in norwegischen Großbetrieben auf. Allerdings war das gesammelte Videomaterial von vielen Orten zu einem Inferno der Gewalt und des Leides zusammengeschnitten worden. Als die Übelkeit vorüber und die Tränen getrocknet waren, stürzten sich die meisten von uns mit dem gleichen Appetit wie vorher auf Würste und Schinken. Die Statistiken zeigen deutlich: Der Skandal hatte keinerlei Auswirkungen auf den Verkauf von Schweinefleisch.16 Die kognitive Dissonanz, die viele von uns angesichts unserer Essgewohnheiten fühlen, mag die Sendung jedoch verstärkt haben. Vielleicht ist der moralische Beigeschmack von Schweinefleisch etwas stärker geworden. Für meinen Teil muss ich gestehen, dass mich seit ungefähr zehn Jahren ein schlechtes Gewissen plagt, ohne dass ich es geschafft hätte, meine Essgewohnheiten nennenswert zu verändern. Wie die meisten möchte ich nicht wirklich auf billiges Industriefleisch verzichten. Aber wie kann ein Durchschnittskonsument seine Würde behalten, wenn die Moral immer mehr daran gemessen wird, was man in den Mund steckt?

Google Maps sagt, ich sei angekommen, aber was dieser Ort mit Schweinen zu tun haben soll, will mir nicht in den Kopf. Ich fahre auf ein einzelnes, halb verfallenes Holzhaus zu. Das restliche Grundstück ist von einem dichten, hohen Gebüsch abgeschirmt. Ich steige aus, und sofort weht mir ein leichter Geruch von Ammoniak in die Nase.

Ich gehe zu dem Haus und klopfe an. Einmal, zweimal. Es sieht aus wie verlassen. Durch ein Fenster sehe ich das spartanische Inventar, unter anderem eine an die Wand gelehnte Matratze. Der Rasen ist allerdings gemäht, es kann also nicht ganz verlassen sein.

In einer Senke erblicke ich das Dach eines größeren Gebäudes, vielleicht der Stall. Auf jeden Fall stimmt es mit der Karte überein, und der Geruch wird Schritt für Schritt stärker. Das Gebäude ist von einer Mauer umgeben und das Gelände fällt dahinter steil ab, nur am nördlichen Ende ist es flacher. Dort klettere ich über die Mauer und schlage mich durch ein Gebüsch aus Haselsträuchern und Birken, bis ich einen Traktorweg erreiche, der zu dem Gebäude führt.

Als ich um die Ecke komme, zucke ich zusammen. Vor mir liegt, ausgestreckt auf einer Betonfläche, ein Schwein in all seiner rosafarbenen Pracht. Das Tier ist echt, aber offenbar tot. Ein Schwarm Fliegen steigt auf, als ich mich bücke, um es näher zu betrachten. Die Zunge hängt ihm aus der Schnauze, die Augen sind geschlossen. Ein unappetitlicher, trauriger Anblick. Unter anderen Umständen hätte ich ihm vielleicht einen Apfel in den Mund gesteckt, es aufgespießt, mit Marinade bepinselt und bei ein paar Bier zufrieden auf mein Spanferkel gewartet. Appetit und Aversion liegen hier nah beieinander.

Rings umher erstrecken sich Felder, nur von ein paar Streifen Fichtenwald durchbrochen, die sie vor dem Wind schützen sollen. Plötzlich spüre ich die bedrückende Stille des Ortes und fühle mich unerwünscht, als hätte ich etwas Verbotenes gesehen. Ich gehe weiter an dem rechteckigen, fensterlosen Gebäude entlang. Ein hermetisch abgeriegeltes System, bis auf die Lüftungsöffnungen unter dem Giebel. Doch innen herrscht zweifellos Leben. Jedes Grunzen dröhnt laut durch die Ventilation.

Vor dem Eingang steht ein Auto. Es muss von der anderen Seite gekommen sein und trägt die Aufschrift einer Reinigungsfirma. Wenigstens jemand, mit dem ich reden könnte. Doch das Schild an der Tür ist unmissverständlich: »Zutritt verboten!« Ein Fenster in der Tür gewährt Einblick. Ich lege die Hände über die Augen und spähe durch das Glas. Innen ist ein schmaler Gang, der zu einer weiteren Tür führt. »Stall nur mit Schutzkleidung betreten« steht dort. Ich öffne die Eingangstür einen Spalt und rufe hinein.

»Hallo? Ist da jemand?« Der Ruf verhallt ungehört.

An der Seite des Gangs liegt ein kleines Büro, eingerichtet mit einem Schreibtisch und Regalen, das allerdings ungenutzt aussieht. Tisch und Boden sind mit leeren Tüten und verschiedenen Pflastern übersät.

Ich respektiere die Schilder und gehe ans andere Ende des Gebäudes, wo es genauso öde aussieht.

Die Blätter der Birken rascheln im kühlen Westwind. Ich gehe zurück zum Eingang, setze mich auf die Schwelle und warte, dass jemand auftaucht.

Ein paar Brachvögel fliegen dicht über dem Boden und zerreißen die Stille mit ihren Alarmrufen. Vielleicht warnen sie vor der Kaltfront, die sich über dem Meer aufbaut, doch genauso gut könnten es Hilferufe sein. Die Schnepfenvögel mit den langen Beinen und einem Schnabel wie ein Strohhalm werden immer seltener in Jæren. Man weiß nicht genau, warum, aber vieles deutet darauf hin, dass die Landwirtschaft schuld ist.17 Vor 150 Jahren war ganz Jæren ein einziges Feuchtgebiet und ein Paradies für Brachvögel, Schnepfen und Bekassinen, heute ist ihr Lebensraum durch die Trockenlegung der Moore und Sümpfe geschrumpft.

Ich schaue auf die Uhr. Eine halbe Stunde ist vergangen, ohne dass ein Mensch aufgetaucht ist. Ich verliere die Geduld, öffne erneut die Außentür und rufe laut hinein.

Keine Antwort.

Wie ist es so weit gekommen – ich draußen und die Schweine drinnen? Es scheint unmöglich, ihnen von Angesicht zu Rüssel zu begegnen. Verfolgt man die Geschichte von einem Schweinestall in Jæren bis zu ihren Ursprüngen, verzweigt sie sich über viele Länder und Kontinente. Das Schicksal des Schweins ist ein Ergebnis unserer Schaffens- und Urteilskraft. Wir haben es domestiziert und am Ende einer langen Entwicklung eingesperrt. Deshalb ist die Geschichte des Schweins ebenso eine Geschichte des Menschen.

02.03.2022, 18:51

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