„Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Dieser Satz des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland offenbart eine haarsträubende historische Denkweise, die mit stetig steigenden Wahlerfolgen in die deutschen Parlamente sickert. Sei es der Umgang mit der AfD, die Migrationsdebatte oder die Frage von Krieg und Frieden – unser Geschichtsbild ist Maßgabe aktueller politischer Entscheidungen. Das macht die Deutung der Vergangenheit im Heute so brisant. Erinnern und Vergessen werden wechselseitig instrumentalisiert. Sie sind Politik. Die Geschichte bleibt der untote Kampfplatz der Gegenwart.
Mein Film betrachtet die Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart. Er hat Mut zu Komplexität, da die zu oft bemühte Eindimensionalität der History Shows nicht mehr genügt, um sich gegen die aktuellen Angriffe auf die Geschichte zu wehren, die gerade vom Vereinfachen leben. Und er schlägt eine Umdeutung der jüngeren deutschen Geschichte von unten vor.
Mir geht es darum, die Sedimente des politischen Minenfelds offenzulegen, aus dem unsere Gegenwart besteht. Doch Geschichte spielt sich nicht nur auf den großen Bühnen der Hauptstädte und Parlamente ab. Es reicht ein Dorf, ein Haus, ein Quadratmeter deutscher Erde, um beim Ansetzen des Spatens an dieser Stelle ebenso Unglaubliches, wie Groteskes und Schauriges zu Tage zu fördern, Stich für Stich. Diese Grabungsarbeit soll mein Film mit seinen diversen historischen Kellerleichen leisten.
Mir ist es dabei ein besonderes Anliegen, den Blick gerade auf die Orte und Menschen zu lenken, die allzu oft übersehen werden. Dass ihre Geschichten nicht Teil unserer gemeinsamen Erzählung sind, ist Teil eben jener Wut, die sich später im Wahlergebnis der AfD niederschlägt und zu gern in der fehlgeleiteten Frage mündet, wie der Osten „tickt“. Gesellschaftliche Teilhabe ist auch narrative Teilhabe. Daher führt mich mein Stoff zurück in die sogenannte ostdeutsche Provinz, in der ich aufgewachsen bin, an einen, zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten, Ort: Bad Kleinen.
Um den Spaten an die Geschichte dieses Dorfes anzusetzen, bedient sich mein Stoff wahrer lokaler Begebenheiten und spitzt sie fiktiv zu. Gerade die ländlichen Regionen wurden vom 2. Weltkrieg gezeichnet. Die authentischen Frontbriefe in meinem Drehbuch erzählen davon. Die Bodenreform und ihre weitgehende Umkehrung 1990 haben sich in die Landschaft und in die Biografien eingeschrieben. Den unbeugsamen LPGler aus meiner Geschichte hat es hier gegeben. Die Ereignisse am Bahnhof von Bad Kleinen greift das Drehbuch ebenfalls auf. Auch sie sind bis in unsere Gegenwart virulent. Christa Wolf beschrieb die Gegend um Bad Kleinen in ihrem „Sommerstück“. Heute hinterm Tresen trägt der Wirt ein T- Shirt auf dem der DDR- Hunderter mit Karl Marx Kopf zu sehen ist, darum der Schriftzug: „Tanzt, ihr Nutten, der Osten hat Laune." Und unweit liegt der Ort Jamel, der als „Nazidorf" Schlagzeilen macht. Mit Erschrecken blickt man plötzlich auf die Gesinnung, die in jenen Provinzen aufflackert, die man lange Zeit getrost nicht dazugezählt hat. Geschichte und Geschichten.
Ist es Zufall, dass in den letzten Monaten das Leben die Fiktion mehrfach eingeholt hat? In meinem Film werden die Deutschland-Fahnen vom Reichstag entführt, im sogenannten wahren Leben stürmen besorgte Bürger das Gebäude mit Reichkriegsflaggen. Der Film fragt nach den politischen Überbleibseln der RAF, während eine neue Großfahndung nach ihren letzten Überlebenden losbricht. Im Film sprengen politische Aktivisten der „Ästhetischen Linken“ ein Windrad, während in der Realität die „Vulkangruppe“ einen Brandanschlag auf die Stromversorgung des Tesla-Werks als Zeichen gegen den globalen Kapitalismus verübt: „Kein Tesla soll mehr sicher sein vor unserer flammenden Wut“. Auch in diesen Fällen gehen Vergangenheit und Fortschritt eine zusehends explosive Mischung ein. Und diese Überlagerungen der Fiktion durch das Leben zeigen, dass mein Film sich an neuralgische Punkte unserer Gesellschaft wagt. Sie machen es umso notwendiger, ihn zu erzählen.
Doch jenseits historischer Bezüge oder aktueller Relevanz ist Rote Sterne überm Feld für mich vor allem eine emotionale Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft. Mit dem, was mich umtreibt, abstößt, hält an diesem doppelbödigen Ort Heimat. Denn es schwingt etwas im Flüstern der alten Pappeln, zwischen den verfallenen Großställen, den übermoosten Ruinen des Gutshauses, den kunstholzvertäfelten Wohnzimmern mit Kabelanschluss und Spitzengardinen, den Osterfeuern und den Dorfkrug-Glatzen, den Windrädern und den roten Sonnenuntergängen, etwas von dem ich erzählen will und muss und das vom Vergangenen zeugt, das hier draußen nicht vergangen ist.
Dieser Film setzt den erschreckenden echten Bildern die fiktiven Bilder einer anderen Möglichkeit entgegen. Er ist der Gegenangriff auf Gaulands Vogelschiss. Es ist daher gerade jetzt die Zeit, ihn auf die Leinwand zu bringen.
– Laura Laabs (Buch und Regie)