„Leise und realistisch“

Interview „Zwischen uns“ ist Max Feys erster Langfilm als Autor und Regisseur. Er arbeitet als selbstständiger Filmeditor in den Bereichen Kino und TV und ist verantwortlich für den Schnitt verschiedener Kinoproduktionen
PELLE (Thure Lindhardt) und EVA (Liv Lisa Fries).
PELLE (Thure Lindhardt) und EVA (Liv Lisa Fries).

Foto: NikolasTusl PSSST Film

Du hast eine Geschichte miterlebt, wo Mutter und Kind getrennte Wege gehen. Wie geht’s der Mutter heute?

Es ist einerseits schlimm, was sie erlebt hat und gleichzeitig auch eine Befreiung. Zu wissen, dass sie das jetzt nicht mehr allein schaffen muss, ist ein Riesenschritt. Es geht ihr auf lange Sicht besser und es geht vor allem auch dem Kind besser. Nur darauf kommt es für sie an. Ich habe die höchste Achtung vor ihrem Mut, weil sie es wirklich geschafft hat loszulassen. Das Verhältnis der beiden hat sich durch die räumliche Trennung verbessert. Das ist die Geschichte, die wir auch in „Zwischen uns“ erzählen.

Diese Trennung ist der Anfang von einer ganz neuen Situation. Was hat Dich dazu motiviert, daraus einen Film zu entwickeln?

Normalerweise bekommen wir ja solche privaten Geschichten selten mit. Für autistische Menschen ist es oft nicht einfach, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden, weil sie die Welt kognitiv völlig anders erleben. Außerhalb des Zuhauses gibt es keine wirklichen Plätze für sie und darunter leidet die ganze Familie. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben ist ein Grundbedürfnis. Mich hat dieses Dilemma einfach sehr berührt: Nicht wirklich dazu gehören zu können, egal was man macht.

Felix ist 13. Warum nicht jünger?

Felix wird größer und kräftiger und seine Mutter ist eine eher zierliche Frau. Sie ist extrem willensstark und resolut. Aber die Physis ihres Sohnes wird ihr irgendwann einfach zu viel. Das Körperliche war für die Geschichte ein wichtiges Element.

Wie hast du Jona gefunden - was ist das Besondere an ihm?

Jona hat so etwas wie eine„alte Seele“ - das dachte ich sofort, als ich ihn das erste Mal spielen gesehen habe. Er ist ein wirklich toller Mensch und ein sehr talentierter Schauspieler. Er kann das einfach. Am ersten Tag des Kindercastings war er der letzte Teilnehmer. Wir hatten die Szene ausgewählt, wo Felix das Essen vom Tisch fegt, weil Eva ihm nicht richtig zuhört. Jona hat die Szene gespielt und ich war völlig baff. Wir hatten sie an dem Tag schon ein paar Mal gesehen; aber Jona hatte eine andere Intensität. Nach seinem Wutanfall war es absolut still im Raum. Irgendwas hat Jona in sich, dass er in die Rolle mitgenommen hat, - etwas, das sehr mitreißend und anders ist. In dem Moment habe ich zum ersten Mal Felix gesehen. Ich glaube, wir haben das alle so empfunden.

Wie war es mit Jona zu arbeiten?

Jona ist nicht unerfahren, er hat auch schon Hauptrollen gespielt; das ist natürlich irre. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, auch vor und nach der Drehzeit und Jona hat sich viele Gedanken zu seiner Figur gemacht. Viele gute Ideen und Momente im Film kommen von ihm. Ich fand ihn wahnsinnig professionell, total konzentriert und immer offen. Und auch so präzise; Jona kann auch kleine Änderungen sofort umsetzen. Er sagt aber auch, wenn er nicht überzeugt ist und das habe ich dann sehr ernst genommen. Er hatte eigentlich immer Recht. Ich habe von ihm eine Menge gelernt.

Wann kam Liv [Lisa Fries] für Dich als Eva ins Spiel?

Liv war beim Schreiben plötzlich da. Ich habe sie sprechen hören und sie gesehen in den Szenen, während ich sie geschrieben habe. Mit einem Mal war es leichter Dialoge zu schreiben. Ich habe viele Filme mit ihr gesehen, aber es gab keinen konkreten Auslöser. Ich mag Schauspieler*Innen, die natürlich sind. Liv ist unglaublich, sie kann meiner Meinung nach wirklich alles spielen, weil sie ein Bauchmensch ist. Ich glaube, sie weiß intuitiv manche Dinge über das Leben und das begeistert mich. Liv ist herzlich und sensibel, hat aber auch etwas sehr Resolutes, wenn sie etwas will. Das war mir wichtig für Eva. Liv hat diese Rolle in großen Teilen selbst angelegt. Sie weiß, was sie tut und ich vertraue ihr absolut.

Wie ist es für einen Mann eine Frauenrolle/Mutterrolle zu schreiben und sich in sie reinzuversetzen?

Es gab einen Moment, als mein Coautor Michael Gutmann im Scherz zu mir gesagt hat: Warum müssen wir denn jetzt ausgerechnet eine Mutterfigur schreiben? Es war schwer, das stimmt schon. Ich hatte für viele Figuren ein Gefühl, auch für Eva, aber da war es ein Kampf. Ich bin keine Mutter, aber ich bin ein Sohn. Das ist ein sehr starkes Gefühl und das hat am Ende zu der Mutterfigur geführt. Vielleicht sind Frauenfiguren für mich sogar die interessanteren.

Hast Du auch darüber nachgedacht, es als Vaterrolle zu konzipieren?

Natürlich. Aber die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind ist etwas Absolutes. Diese Verbindung ist so stark, schon während der Schwangerschaft, auch körperlich, das ist einfach ein Wunder. Ich wollte eine Mutter und ich wollte unbedingt einen Sohn. Vielleicht auch, weil sich die Rollen anders verteilen, gerade, wenn der Sohn in die Pubertät kommt und aufhört, ein Kind zu sein.

Es fällt auf, dass das Ensemble bis in die kleinste Rolle stark und divers besetzt ist. Wie war der Casting-Prozess und wie habt Ihr so starke Schauspieler*Innen gewinnen können?

Wir hatten mit Ulrike Müller und Franziska Schlattner wirklich fantastische Casterinnen. Ulrike hat an das Projekt geglaubt, nachdem sie das Buch gelesen hat. Sie hatte tolle und auch echt überraschende Ideen. Thure Lindhardt zum Beispiel finde ich brillant in der Rolle von Pelle. Aber auch bei den ganz kleinen Rollen hat sie wirklich Leben in den Film gebracht. Franziska Schlattner hat uns beim Kindercasting wiederum wirklich Türen geöffnet; wir haben Jona Eisenblätter auch deswegen gefunden, weil sie ihn kannte, wusste, was er kann und das alles erst ermöglicht hat.

Warum eigentlich ein Kameramann aus Portugal?

Ich hatte einen portugiesischen Spielfilm gesehen,„Montanha“ von Joao Salaviza, der mich visuell völlig umgehauen hat. Der Kameramann dort war Vasco Viana. Ich dachte mir, den muss ich einfach fragen. Was Vasco geschafft hat in unserem Film, ist einen ganz anderen Blick auf die Orte zu werfen. Wir haben ja in München gedreht, wollten aber abseits der üblichen Bilder die Geschichte in einem echten, universellen Umfeld erzählen. Vasco hat viele Spiel- und Dokumentarfilme gedreht und uns mit seinem Blick von außen eine neue Perspektive auf die Stadt eröffnet. Viele Szenen sind schauspielerisch improvisiert; das hat er intuitiv eingefangen. Ich liebe den Mut zur Einfachheit und zur Dunkelheit. Und das Erzählen in langen Einstellungen.

Realismus - ehrlich und leise, warum?

Den Film so leise und realistisch wie möglich zu machen, war für mich extrem wichtig. Auch aus Respekt vor den Erfahrungen, die ich mit den betroffenen Familien gemacht habe. Natürlich muss jeder Film dramatisieren, aber das bedeutet ja nicht, dass er sich nicht an die Realität halten kann. Es gibt in „Zwischen uns“ keine böswilligen Charaktere und auch kein schlechtes System, das den Figuren das Leben schwer macht. Im Grunde wollen ja alle helfen; so habe ich das auch erlebt. Das Problem ist, dass keiner außer Eva wirklich Felix‘ Bedürfnisse versteht.

Und jetzt mal ganz ehrlich, gab es keinen Koller als Autor, Regisseur und Editor? Was, wenn der Regisseur mit dem Autor oder Editor nicht zufrieden war?

Ja, das war schon manchmal lustig. Ich habe im Schnitt oft gedacht, ach hätte ich doch dieses oder jenes anders gemacht. Warum hat denn der Regisseur da nicht einfach noch eine Einstellung gedreht? Oder warum gibt es diese Szene nicht? Lauter Dinge, die einem plötzlich auffallen. Ich habe bei diesem Film wirklich sehr viel gelernt, aber vor allem eins: Es ist absolut wichtig zuzuhören und sehr offen zu sein. Ich hatte mit den Produzenten Maren Lüthje, Ingrid Silbernagl und Flo Schneider sehr kluge und starke Partner an meiner Seite. Und das gleiche gilt für sämtliche Gewerke in unserem Team. Sie alle haben mir dabei geholfen, gute Entscheidungen zu treffen und manche Fehler zu vermeiden. Am Ende ging es für uns alle ja darum, den bestmöglichen Film zu machen.

14.06.2022, 17:42

Film: Weitere Artikel


Geschichte eines Neuanfangs

Geschichte eines Neuanfangs

Zum Film Mit „Zwischen uns“ legt Max Fey seinen Debütfilm vor, das Drehbuch für den Film ist in Zusammenarbeit mit Michael Gutmann entstanden. Gemeinsam haben sie eine Geschichte über die Liebe, das Leben und das Loslassen geschrieben
Intensives Schauspiel

Intensives Schauspiel

Biografie Max Fey inszeniert seinen Debütfilm mit einem spektakulären Ensemble: Vor der Kamera sind neben Liv Lisa Fries, Jona Eisenblätter und Thure Lindhardt in den Hauptrollen besetzt. In weiteren Rollen glänzen u.a. Lena Urzendowsky und Corinna Harfouch
Unglaublich stark

Unglaublich stark

Netzschau Stimmen aus dem Netz: „Liv Lisa Fries spielt mit der ganzen Klaviatur des Schauspiels. Mal emotional scheu und leise, mal als brüllende Löwin, die ihr Junges beschützt, nimmt sie die Zuschauer mit in ein Leben, das schon beim Zusehen erschöpft.“

Zwischen uns | Trailer

Video Mit ZWISCHEN UNS legt Max Fey seinen Debütfilm vor, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Michael Gutmann geschrieben hat. Vor der Kamera standen Liv Lisa Fries, Jona Eisenblätter und Thure Lindhardt in den Hauptrollen. Ab dem 16. Juni im Kino!


Zwischen uns | Teaser

Video Feinfühlig und voller Wucht zeichnet "Zwischen uns" ein außergewöhnliches Mutter-Sohn-Porträt. Eva ("Liv Lisa Fries") und ihr 13-jähriger, autistischer Sohn Felix ("Jona Eisenblätter") sind unzertrennlich. Das Debüt von Regisseur Max Fey


Zwischen uns | Review

Video Filmkritik zu Max Feys Langfilmdebüt „Zwischen uns“, der Geschichte von dem 13-jährigen Felix, der das Asperger-Syndrom hat und seiner Mutter Eva, die gegen alle Widerstände um ein harmonisches und stabiles Familienleben kämpft


„Ich bin nicht falsch“ | TruDoku

Video Geräusche, Gerüche und soziale Interaktionen stressen Janosch und rauben Energie. Mit diesen Empfindungen weiß Janosch lange nichts anzufangen. Etwas stimmt nicht – aber was?