Jens Jessens Debütroman

Glosse Faltboot in seichtem Gewässer oder über den Unterschied zwischen der "Fantasie einer Jugend" und einem Jungspund, der Altherrenfantasien erzählen muss
Schamhaarfantasie an Hauswand, England 2010
Schamhaarfantasie an Hauswand, England 2010

Foto: Silly Little Man

Auch Jens Jessen, Feuilletonchef der Wochenzeitung Die Zeit, hat sich als Belletrist versucht. Im falschen Bett heißt sein erster Roman, der zeitgleich mit Karl Heinz Bohrers Granatsplitter und ebenfalls bei Hanser erscheint. Im falschen Bett handelt von der Affäre einer prekär beschäftigten jungen Frau mit einem Fernsehproduzenten und wird von einem Praktikanten erzählt, über dessen Vorstellungswelt der Leser nur staunen kann. So weiß er über den „der Bonze“ genannten Produzenten zu berichten: „Im Gegensatz zu Bea, die sorgfältig rasiert war, dachte er sich bei Christina einen struppigen, drahthaarigen Busch, eine unberührte Wildnis, die er zu roden und urbar zu machen hatte. Ein gemeinsames Bad im Whirlpool schwebte ihm vor, er wollte wässern und jäten und säen und in dem blühenden Gärtchen dann von der Arbeit ruhen.“ Während Bohrer die „Fantasie einer Jugend“ erzählt, wie er in seinem Postskriptum schreibt, lässt Jessen einen Jungspund Altherrenfantasien referieren.

Dieser ist eingeschrieben an der „zu Recht für ihre wissenschaftlichen Leistungen und amourösen Verwicklungen gefeierten Ludwig-Maximilians-Universität der Stadt München“ und lebt in einer WG voll „fröhlicher Bummelstudenten“, in der regelmäßig Feste „steigen“. Womit die zeitliche Einordnung geklärt wäre: Wir befinden uns in den frühen Neunzigern. „Futschikato“, sagt einmal in diesem Roman ein Oberkirchenrat „mit hörbarem Genuss an dem familiären Ausdruck einer anderen Zeit“, und dass er diesen Genuss mit seinem Schöpfer teilt, springt einen aus jeder Zeile dieses Romans an.

Familiär klingt noch etwas anderes: Vor vier Jahren veröffentlichte Jessen in der Zeit unter der Überschrift „Die traurigen Streber“ eine Studentenschelte, und der onkelhafte Ton, in dem er sich da über die Jugend entrüstete, wirkt dem seines Romans sehr verwandt. Von „kaum geschlüpften Küken mit feuchtem Federkleid und großem Schnabel, die man wohl „hungrig“ nennt“, ist in diesem Artikel die Rede und von „Praktikanten und Berufsanfängern“, die „bis zur Charakterlosigkeit jede Bedingung, jede eingespielte Dummheit, jede ethisch bedenkliche Praxis akzeptieren“. Wo um alles in der Welt, fragte man sich damals, nimmt die Zeit nur ihre Praktikanten her?

Mit dem Roman gibt Jessen dieser Jugend ohne Ideale nun noch einen mit. Oder warum sonst treibt er Christina in die Arme dieses Bonzen, der sein „völlig unheroisches Faltboot“ in ihr „sanftes Flussbett einschifft“? Sein Erzähler muss Binsen aufsagen wie: „Wenn man schon erfahren hat, dass im Gully ein Aal lebt, ist es schwer, der Versuchung zu widerstehen, auch einmal den Deckel zu heben“, und die glattrasierte Bea ein „ist doch schlimm, oder was?“ am Ende jeden Satzes.

Auch Jessen hat einen Abspann geschrieben, er weist dort selbst darauf hin, wie „wenig erfreulich“ seine Figuren sind. Das gilt auch für dieses Roman-Debüt.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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