Metagender und Spiritualität

Mann und Frau: Hat die Seele ein Geschlecht?

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Meine Position in Genderfragen nenne ich metagender. Das heißt, ich persönlich mache keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern, sondern sehe eine Person einerseits als Individuum, also eines von derzeit 7 Milliarden verschiedenen, und andererseits als Mensch, also einfach als Angehörige_r der Spezies homo sapiens. Im Gegensatz zur Postgender-Position, wo die Gleichstellung bereits in der Gegenwart als vollzogen gesehen wird, sehe ich die Diskriminierung zwar in der Gegenwart noch bestehen, setze das Ziel, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielen wird, jedoch in die Zukunft.

Wenn ich gleiche Rechte und gleiche Chancen für Frauen und Männer propagiere, und auch wenn ich die soziokulturellen Geschlechterrollen dekonstruiere, dann bewege ich mich im Rahmen des emanzipatorisch Akzeptierten. Ich gehe jedoch weiter, und verneine über das Doing Gender hinaus auch die Geschlechtsspezifika, wodurch ich mitunter Widerspruch von Frauen und von Männern ernte.

Aber ist es denn letztendlich nicht biologisch begründet, dass wir Frauen und Männer sind? Das heißt, entscheidet sich denn die Geschlechtsidentität letztendlich nicht durch innere und äußere körperliche, hormonelle und möglicherweise gehirnstrukturelle Geschlechtsentwicklungen und -merkmale?

Auf der philosophisch-religiösen Ebene gibt es das Motto: Die Seele hat kein Geschlecht. Eine bestechende Überlegung dazu wird im Logion 22 des Thomas-Evangeliums ausgedrückt: "... Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr aus zwei eins macht, und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere, und ihr so das Männliche und das Weibliche zu einem Einzigen macht, sodass das Männliche nicht männlich und das Weibliche nicht weiblich ist, und wenn ihr Augen macht statt eines Auges und eine Hand statt einer Hand und einen Fuß statt eines Fußes, ein Bild statt eines Bildes, dann werdet ihr in das Königreich eingehen."

Wir hätten hier quasi die Spezies homo sapiens spiritualis, oder um es im Sinne amerikanischer Ureinwohner zu sagen: Two-Spirits. Aus dieser Warte wird im Logion 114 des Thomas-Evangeliums patriarchalisch-maskulinistischer Diskriminierung ironisch entgegengehalten: "Simon Petros sprach zu ihnen: Mariam soll von uns fortgehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig. Jesus sprach: Seht, ich werde sie (mit hinein)ziehen, um sie männlich zu machen, damit auch sie ein lebendiger Geist wird, gleich euch Männern. Denn jede Frau, die sich männlich macht, wird in das Königreich der Himmel gelangen."

Logischerweise brauchen die Männer in der Runde im Lichte des Logions 22 das Weibliche, um in das Königreich zu gelangen, wie die Frauen dazu das Männliche brauchen. Ich vermute hinter der Rippe von Adam, aus der Gott laut Genesis 2,21-22 Eva gemacht hat, gleichartige Ironie. Im Hebräischen übrigens steht Eva sprachlich mit Leben im Zusammenhang, während Adam sprachlich mit Erde im Zusammenhang steht.

In Genesis 1,27 vorher heißt es, dass Gott die Menschen als männlich und weiblich geschaffen hat. Anstatt es wie in Genesis 2,21-22 so zu verstehen, dass der Mensch entweder als Mann oder als Frau geschaffen wurde, kann man es wie im Logion 22 so verstehen, dass Gott jeden Menschen als männlich-weiblich Einzige_n geschaffen hat.

Kritisch frage ich: Bin ich etwa schon der Erde in Richtung Himmel spirituell entrückt?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian

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