Die Berichte "der" 68er klingen manchmal so hochfahrend wie Heldengesänge aus alter Zeit: "Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus" oder "Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes". Angesichts gern verbreiteter großer Behauptungen wie der, die Studentenbewegung sei "der" einzigartige Aufbruch und Aufstand gewesen, "die" Geburtsstunde der Demokratie, verstummen Leute aus anderen Jahrgängen oft, wenn sie nicht "die 68er" umgekehrt in Bausch und Bogen diffamieren. Ulrike Heider, Jahrgang 47, hat jetzt ihre bisherigen Lebenserinnerungen veröffentlicht: Keine Ruhe nach dem Sturm. Das Buch ist kein Heldengesang auf die 68er, es geht hier aber auch nicht um eine herablassende, besserwisserische Abrechnung von der Höhe der inzwischen älter Ge
n älter Gewordenen mit den "Jugendsünden" von damals. Ulrike Heider versucht, ihren eigenen Weg nachzuvollziehen, nicht den "der" Generation 68. Übrigens ist ja die Zugehörigkeit zu einer Generation mit Sicherheit nicht die einzige Kategorie, mit deren Hilfe man den Prozess der linksradikalen Politisierung beschreiben kann. Ulrike Heider also: Kindheit und Jugend in einer gutbürgerlichen Familie; die Eltern sind kritische Zeitgenossen, für die Anerkennung der DDR, gegen Adenauers Wiederaufrüstungspolitik. Von Kind an fühlt Ulrike Heider sich zu Minderheiten, Ausgegrenzten, auch zu Künstlern und Bohemiens hingezogen. Als Studentin lebt sie im Frankfurter Kolbheim, das zur Wiege des dortigen SDS wird. Ihr Buch folgt, bezogen auf Frankfurt und die Erfahrungen dort, in groben Zügen den Stationen, die schon viel beschrieben wurden: die Anfänge der Studentenbewegung. Solidarität mit den Befreiungskämpfen der Dritten Welt. Der Versuch, erstickende Lebensweisen aufzubrechen und sich selbst zum Subjekt zeitgeschichtlicher Prozesse zu machen. Das rauschhafte Gefühl bei vielen Protagonisten, alles sei veränderbar, jetzt sofort, Kampf gegen die Notstandsgesetze. Der anfangs spielerische, antiautoritäre, demokratische Charakter der Bewegung, der spätestens umschlägt, als die K-Gruppen entstehen. Ulrike Heider sieht allerdings schon in den oft verklärten Anfängen durchaus auch die heimlichen Machtkämpfe unter einigen charismatischen Genossen samt ihrem irritierenden Elitebewusstsein. Die Frage, wie sich eine emanzipatorische, offene, tolerante Bewegung verengen konnte bis ins "Nachstellen" stalinistischer Verhaltensformen in einigen K-Gruppen, lässt sich wahrscheinlich nicht vollständig klären. Ulrike Heider vermutet, es sei die Angst vor dem Chaos gewesen, die dann das andere Extrem hervorrief, preußische Disziplin, Linientreue, straffe Hierarchie und dergleichen. Nachdenkenswert ist auch ihre Überlegung, dass, in der Eile angesichts der erwarteten Weltrevolution, die Forderung lautete, das ganze Leben dem Politischen und einer entsprechenden Organisation zu unterwerfen - nur, sagt Heider, die meisten waren nach einer entsprechenden Phase einfach ausgebrannt. 29 Stunden täglich leben für die Revolution, geht das? Es kommt, gelinde gesagt, zu Verzerrungen, Entstellungen. Der eine verschwindet drogensüchtig in der Psychiatrie, andere klettern an den "Pol Macht", wie Theweleit sagen würde, so dass bei Leuten wie etwa Joschka Fischer aus dem einst antimilitaristischen Protest "why" inzwischen ein wendiges, affirmatives "why not" hinsichtlich heutiger Kriegsführung werden konnte. Ulrike Heider scheint "geschützt" davor gewesen zu sein, sich Doktrinen zu unterwerfen, geschützt durch das, was sie einmal ihren "Egoismus" nennt, besser sollte man vielleicht sagen, es war ihr Individualismus. Sie beschäftigt sich früh mit libertären Traditionen, sympathisiert mit anarchistischen Aktionen, ist trotz anfänglicher Nähe zu den antiintellektualistischen hedonistischen Spontis bald ziemlich entnervt von ihnen, die sich in ihren Augen eher über ihr wurstiges Lebensgefühl definieren als über politische Maßstäbe. Auch als ein großer Teil der Frauenbewegung sich entpolitisiert und zu dem Zerrbild verkommt, das, wenig differenziert, bald als typisch für "die" Frauenbewegung "der" 68erinnen gilt, auch in dieser Phase der Entpolitisierung steht Ulrike Heider ein bisschen abseits. "Zugehörigkeit" scheint bei ihr allenfalls ein kurzfristiges Lebensgefühl gewesen zu sein. Die zunehmende Irritation über die Entwicklung in Westdeutschland führt sie Ende der 80er in die USA, wo sie als Journalistin arbeitet, bis heute interessiert an sozialen Bewegungen und an historischen wie aktuellen Formen des Anarchismus.Keine Ruhe nach dem Sturm ist, wie der Titel andeutet, kein Buch eines so oder so "fertig" gewordenen Menschen, und diese Offenheit, die zwischen den Zeilen manchmal auch eine Einsamkeit zu sein scheint, findet sich in vergleichbaren Texten nicht oft. Man erfährt eine Menge interessanter Alltagsdetails, die einem oft mehr über die Zeit der 60er, 70er Jahre klarmachen als die bekannten Schlagworte. Angenehm auch, dass die Autorin Phänomene wie WG-Kämpfe in Sachen Putzplan nicht süffisant beschreibt, sondern um Neutralität bemüht ist. Ulrike Heider maßt sich weder an, das Monopolwissen darüber zu haben, was "die 68er" waren, noch benutzt sie ihr Buch zur persönlichen Abrechnungen mit einzelnen "Leadern" der Bewegung. Sie verschränkt "früher" und "heute", wobei die 80er und 90er Jahre nur sehr kurz gestreift werden - einen Anspruch auf vollständige Geschichtsschreibung erhebt sie nicht. Im Unterschied zu vielen ihrer politisierten Altersgenossen ist die Autorin anscheinend kein Machtmensch gewesen, keiner geworden, sie hat sich, so scheint es, nicht verbogen und verknickt, vielleicht auch deshalb findet man bei ihr weder Arroganz noch Bitterkeit, sie steht zu ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Zu schön, um wahr zu sein? Es gibt in ihrem Leben, bei allen Aufbrüchen bis hin zu dem von Deutschland in die USA, eine Kontinuität, die einem einleuchtet, die einen erfreut - wenn man denn nicht misstrauisch wird und sich fragt, ob dieses ja durchaus uneitle "Zu-sich-Stehen" tatsächlich in einem Leben möglich sein kann. Was die Kontinuität anlangt, war es Ulrike Heiders Verlag wohl etwas blümerant, dass sie nach wie vor libertären Ideen verbunden sein könnte; eilfertig hastet der Klappentext zurück und formuliert, "wohl wissend, daß man so (mit libertären Ideen, S.P.) kein Ministerium führen kann". Ob Ulrike Heider das wirklich so wohl weiß? Wieder einmal wird auch in diesem Buch das magische Datum 2.6.67 festgeschrieben, Benno Ohnesorg wird als der erste Tote bei einer Demonstration in der BRD bezeichnet. Weiß keiner aus "der" Studentenbewegung, dass Philipp Müller, ein junger Münchner Eisenbahnarbeiter und Kommunist, am 11.5. 1952 bei einer Demonstration gegen die Remilitarierung von der Polizei erschossen wurde? Mit dieser Bemerkung sollen nicht Tote gegeneinander aufgerechnet werden, nur, gerade ein subjektives Buch, das sich um das Verständnis von Zeitgeschichte bemüht, sollte äußerst skeptisch gegenüber den großen, "objektiven", magischen Daten sein.Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm. Verlag Rogner Bernhard bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001, 330 S., 16,85 EUR
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