Geißel Straflosigkeit

RECHTSPRECHUNG UND VERGANGENHEIT Argentinien und Chile - ein Vergleich

Unmittelbar nach dem Abgang der Militärdiktatur und der Rückkehr Argentiniens zur Demokratie wurde 1984 in Buenos Aires der Bericht "Nunca Más" veröffentlicht. Unter Federführung des Schriftstellers Ernesto Sábato entstanden, dokumentierte er über 9.000 Fälle von Verschwundenen und wurde zur Grundlage für die Anklagen der Staatsanwaltschaft gegen die beiden Präsidenten aus den Jahren der Militärjunta (1976 - 1983) - die Generäle Rafael Videla und Leopoldo Galtieri - sowie weitere führende Militärs. - Videla wurde 1985 wegen Mord, Folter und illegaler Freiheitsberaubung in 76 Fällen zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt - ähnlich hohe Strafen gab es auch für andere Juntamitglieder. Unter dem Druck der Armee erließ dann Präsident Raul Alfonsín 1986 und 1987 zunächst Amnestiegesetze für untere militärische Chargen, ehe sein Nachfolger Carlos Menem unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1989 umgehend sämtliche rechtskräftig verurteilten Militärs amnestierte. Diese faktische Generalabsolution für Verbrechen der Militärdiktatur schloss allerdings ein Vergehen aus: den Raub der in der Haft geborenen Kinder von Gefangenen. Dafür steht Videla gerade erneut vor Gericht. So unzureichend in Argentinien die Sühne für schwere Menschenrechtsverletzungen letztlich auch blieb, so gab es doch zumindest durch die Prozesse Mitte der achtziger Jahre einen klaren Bruch mit der "Impunidad" - der Kultur der Straflosigkeit.

In Chile verhinderten das von vornherein die verfassungsrechtlichen Fesseln, die Pinochet nach seinem Abritt als Staatschef 1990 hinterlassen hatte. Noch kurz vor der Amtsübergabe hatte er sämtliche Mitglieder des Obersten Gerichtes selbst ernannt. Letzterer wiederum besaß das Recht, zusätzliche Abgeordnete des Senats zu benennen, so dass in dieser Kammer Mehrheitsverhältnisse gesichert blieben, die jedes Gesetzesprojekt zur juristischen Ahnung von Verbrechen der Militärdiktatur zunächst blockierten.

Noch während der Präsidentschaft Pinochets war 1988 eine Generalamnestie verkündet worden, die sämtliche Handlungen von Militärs zwischen 1974 und 1978 von Strafverfolgung frei stellte. Für die Zeit unmittelbar nach dem Putsch vom 11. September 1973 war das ohnehin durch die Verhängung des "Nationalen Notstandes" garantiert. Dass dennoch 1995 dem einstigen Chef des Geheimdienstes DINA, Manuel Contreras, der Prozess gemacht werden musste (Strafe: sieben Jahre Arrest im eigens gebauten Sondergefängnis Punta Peuco), war der Tatsache geschuldet, dass 1976 in Washington bei dem von ihm befohlenen Bombenanschlag auf Chiles Ex-Außenminister Orlando Letelier auch dessen Sekretärin Ronnie Moffitt ums Leben kam. Moffitt war Staatsbürgerin der USA, wodurch in diesem Fall das Amnestiegesetz nicht zur Anwendung kam. Außerdem drängte Washington auf eine Verurteilung von Contreras. - Als Pinochet selbst im März 1998 als Oberkommandierender der Streitkräfte demissionierte, wurde ihm mit dem Mandat eines "Senators auf Lebenszeit" auch die entsprechende Immunität zuerkannt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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