Die Grass-Debatte ist die falsche

Günter Grass Die Debatte in den bundesdeutschen Medien und hier auf dieser Plattform um die Grass’sche Warnung vor dem Einsatz von Nuklear-Waffen durch Israel ist schon krass.

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Da wird gedeutet und gestritten, was Grass meint, da wird behauptet, er dürfe so etwas gar nicht sagen und natürlich wird er auch zum Antisemiten erklärt. Kaum diskutiert wird über den Inhalt der Worte des Dichters, zum Beispiel:
„Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?“

Warum wird nicht darüber gestritten und debattiert? Warum wird nicht gefordert: Nein zu Atomwaffen, ob in israelischen, iranischen oder anderen Händen! Ja zu einem atomwaffenfreien Nahen Osten!

Nur die junge Welt stellte am 5. April fest: "Günter Grass hat recht". Das war einer der wenigen Beiträge, die sich mit dem Inhalt des Gedichtes beschäftigten. Ich will an dieser Stelle nur anhand einiger mir bekannter Quellen auf das verweisen, was über Israels Atomwaffen bekannt ist, unter anderem dank Mordechai Vanunu, der dafür immer noch unter Hausarrest leben muss, aber immerhin nicht mehr im Gefängnis steckt.

Dem Atomwaffensperrvertrag ist Israel niemals beigetreten. Daran erinnerte Telepolis 2003 in einem Beitrag. Diesem zu Folge entdeckten amerikanische Aufklärungsflugzeuge schon 1960, dass die israelischen Atomanlagen bei Dimona zur Aufbereitung waffenfähigen Urans taugten, Israel also dabei war, sich ein nukleares Arsenal zuzulegen. „Dimona ist seitdem eine geschlossene Anlage geblieben und wurde niemals internationalen Inspektionen der IAEA geöffnet. … 1968 machte allerdings ein CIA-Bericht klar, dass Israel mit Erfolg angefangen hatte, Atomwaffen herzustellen. Welche Waffen und wie viel Israel produziert hatte, wusste man aber nicht - bis heute gibt es darüber nur Schätzungen; zwar gilt das israelische Nuklear-Arsenal als das größte außerhalb der fünf offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten, aber die Zahlen differieren zwischen 200 und 400 geschätzten atomaren Sprengköpfe.“

Einen interessanten Überblick über die israelischen Atomstreitkräfte gab schon 2001 die „AntiMilitarismusInformation“.

2004 war im SPIEGEL zu lesen: „Experten weltweit sind sich einig: Israel besitzt als einziger Staat im Nahen Osten Atombomben. Die ‚Operation Samson’ war ein Triumph ehrgeiziger Politiker, Wissenschaftler und Spione ­ mit dramatischen Folgen.“ Im selben Jahr beschrieb der israelische Schriftsteller Amos Elon in Le Monde Diplomatique „Wie Israel zur Bombe kam“.

2004 wurde Mordechai Vanunu endlich aus der Haft entlassen. Er hatte als erster Informationen über das israelische Atomwaffenprogramm geliefert und wurde dafür wie einer der schlimmsten Verbrecher behandelt. Kurz nach seiner Haftentlassung forderte er, den Blick auf Israels Atomwaffen zu richten.

Im Dezember 2006 fragte der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert in einem Interview mit dem deutschen Fernsehsender N24, ob der Iran den Besitz von Atomwaffen anstreben dürfe „wie Amerika, Frankreich, Israel, Russland?“ Das gilt als erstes, wenn auch versehentliches Eingeständnis, dass Israel Atomwaffenmacht ist.

2010 kamen Informationen hoch, dass Israel dem Apartheidstaat Südafrika atomare Sprengköpfe verkaufen wollte. „Unter Verdacht steht Präsident Shimon Peres.“ In der taz war zu lesen: „Laut einem Bericht des britischen Guardian liefern bisher geheime südafrikanische Regierungsdokumente erstmals den schriftlichen Beweis, dass Israel über Nuklearwaffen verfügt und dass es diese an Südafrika verkaufen wollte.“

Im vergangenen Jahr stellte Sebastian Engelbrecht in einem Beitrag über Israel als Atommacht im DeutschlandFunk fest: „Jeder weiß es, keiner spricht über das Atomprogramm.“

Das ist nur ein Ausschnitt vorhandener Informationen. Über diese Fakten müsste doch diskutiert werden, statt über Grass herzufallen. Ja, auch über die deutschen U-Boote, die an Israel geliefert werden und angeblich Raketen mit Atomsprengköpfen verschießen können. Diese Waffelnlieferungen werden fortgesetzt.

Es muss auch darüber diskutiert werden, wie angesichts solcher Fakten einem Land wie Iran und jedem anderen untersagt werden kann, Atomwaffen zu entwickeln. Das müsste jedem Land untersagt werden … Wobei bis heute niemand beweisen kann, dass der Iran solches vorhat, wie Walter van Rossum schon 2007 feststellte und selbst jüngst wieder die CIA eingestand. Dafür sind in dessen Nachbarland Türkei US-amerikanische Atomwaffen stationiert. Wie kann dafür gesorgt werden, dass sich dieses Land nicht bedroht fühlt, das seit Jahrzehnten keinen Nachbarstaat angegriffen oder überfallen hat? Wie kann die Forderung des iranischen Präsidenten nach einer atomwaffenfreien Welt verwirklicht werden, statt sie einfach vom Tisch zu wischen? Das wären gute Themen für eine spannende Diskussion.

Und in einem hat Grass übrigens nicht Recht: Im Iran herrscht kein „Maulheld“, der sein Volk unterjocht. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad wurde 2009 von einer Mehrheit der Iraner zum Präsidenten gewählt, ob uns das gefällt oder nicht. Aber auch das sollte nicht vom eigentlichen Thema ablenken …

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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