Tanya Gold: Amy Winehouse – Die Süchtige ist tot, es lebe der Mythos

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Amy Winehouse ist tot und eine wie auch immer geartete Erklärung ihrer geistigen Erkrankung scheint weit entfernt. Ihr Bild ist bereits fertig gemalt, verpackt, verhüllt und wartet nur darauf, zum Mythos verklärt zu werden.

Da ist die kleine Amy mit der wogenden Bienenkorb-Frisur und den verängstigten Augen. Sie leidet an ihrem Talent und dem Chaos, das es für sie mit sich gebracht hat – berühmt mit 21, mit 27 tot und nun Mitglied in jenem „Club“ von Musikern, die ebenfalls in diesem Alter an Drogen starben: Joplin, Hendrix, Morrison, Cobain. Alle tot, alle verehrt, als sei es ihre Krankheit gewesen, die sie interessant gemacht hat. Die ersten in Eile abgefassten Nachrufe maßen der Tatsache große Bedeutung bei, dass Winehouse es in den „Club 27“ geschafft hat – 54 Tage hatte sie noch Zeit dazu.

Warum verwenden wir soviel Energie auf die aufregende Pantomime einer sterbenden Alkoholikerin und so wenig darauf, die Krankheit zu verstehen, die sie umgebracht hat? Schon seit Jahren ist offensichtlich, dass eine kranke Winehouse auf groteske Weise interessanter ist als eine nüchterne. Wurde sie zwischenzeitlich wieder einmal trocken, trocknete auch die Berichterstattung über sie aus. Schließlich aber wurde sie rückfällig und brachte es zu endgültigem Ruhm.

Wenn ein Süchtiger sich selbst vernichtet und dabei von Paparazzi gestalkt wird, fällt der Eindruck leicht, die Geschichte gehöre uns allen und Amy Winhouse' Schicksal gehe uns alle an. Ihr Fall und ihre Erlösung – die jetzt nicht mehr kommen wird – mussten doch eine universelle Bedeutung haben. Aber das stimmt nicht. Winehouse gehörte uns nicht. Sie gehörte niemandem, nicht einmal sich selbst. Aber das kann man vergessen. Kreative Süchtige – und insbesondere Frauen – werden immer vereinnahmt, selbst wenn ihr Leichnam gerade erst zur Tür hinausgetragen wird.

Nehmen Sie Judy Garland, die kleine Dorothy auf Benzdrin: Sie war bereits zur Legende geworden, bevor man sie 1969 tot aus einer Toilette in Chelsea zog. Noch in diesem Jahr wurde im Westend ein Stück über ihren Zusammenbruch aufgeführt. Ich habe es mir angesehen und konnte dabei nur empfinden, dass eine Frau, die sich ihr Leben lang selbst ausgebeutet hat, ein weiteres Mal ausgebeutet wurde. "Sing uns ein Lied, Judy, auch wenn du schon tot bist!"

Hier gibt es keinen Sinn, keine umfassendere Parabel über das Verhältnis zwischen Sucht und Talent, und ich halte auch das für Quatsch – eine Strohpuppe, die leicht verbrennt. Winehouse war einfach eine Alkoholikerin und Drogenabhängige, die mit 27 starb, weil sie keine Vorstellung von ihrem eigenen Wert hatte oder nicht wusste, wie sie sich heilen sollte. Sie starb mit 27, nicht weil sie die magisch-geheimnisvolle Zwillingsschwester Janis Joplins war, sondern weil 27 ein natürliches Alter ist, in dem der Körper eines zwanghaften Users harter Drogen und harten Alkohols kollabiert.

Jedes Jahr sterben Tausende auf die gleiche Weise wie Winehouse, ohne dass sie verehrt oder auch nur bemitleidet würden. Wir werden uns nicht über die Krankheit informieren oder die Drogengesetze ändern, die Abhängige in eine Schattenwelt der Kriminalität und Abhängigkeit von Kriminellen verbannen. Man habe Winehouse zu viel durchgehen lassen, sagte einmal ein Polizist, nachdem ein Band veröffentlicht worden war, auf dem sie bei der Drogeneinnahme zu sehen ist. Stimmt das? Stimmt das wirklich? Winehouse lief barfuß durch die Straßen, weil da die Drogen waren, und während ihr verwirrtes Gesicht auf den Titelseiten zu sehen ist, werden Hilfseinrichtungen für Abhängige geschlossen – anscheinend sind sie verzichtbar.

Da niemand weiß, was die Sucht wirklich verursacht und wie sie zu heilen wäre, bleibt die Therapie stets ein zweischneidiges Schwert, das den Betroffenen immer auch verletzen kann. Die Krankheit ist für Außenstehende nicht zu durchdringen, denn für unsere sich alles unterwerfende Spezies ist die Vorstellung ein Gräuel, ein Mensch könnte eine genetische Disposition mitbringen, sich selbst zu vergiften. Die Sucht wird immer noch einstimmig als eine „selbstverschuldete Krankheit“ bezeichnet und nur die aufgeklärtesten Ärzte werden einem die Anonymen Alkoholiker oder die Anonymen Drogenabhängigen empfehlen. Diese Selbsthilfegruppen haben manchmal Erfolg, auch wenn niemand weiß, warum. Ein Psychiater aus der Harley Street riet mir einst, meinen Drogenkonsum „einzuschränken“ – offensichtlich hatte er keine Ahnung, obwohl er mir 275 Pfund für die Viertelstunde berechnete.

Diesen Sommer war Winehouse zum Entzug in der Priory. Ich war vor elf Jahren dort, um meine Sucht zu „behandeln“. Meiner eigenen Erfahrung nach wird den Leuten dort nicht immer geholfen. (Ich warte schon auf den Beschwerdebrief von ihrer stets wachsamen Marketing-Abteilung.) Sie boten mir ein Zimmer mit Bad und Fernsehanschluss an, nicht aber das Wissen, dass es für mich lebensnotwendig war, wenigstens den Hauch einer Ahnung zu haben, in welchem Dilemma ich mich wirklich befand. Aber natürlich kann sich das seit meiner Zeit geändert haben. Und Winehouse ist für nichts gestorben, weil sie dachte, sie sei nichts.

Nicht, dass wir etwas aus der Sache lernen würden. Die Bienenkorb-Frisur war einfach zu hoch, die Augen einfach von allzu photogener Traurigkeit. Ihr neues Album wird erscheinen und sich zehnmillionenfach verkaufen, vielleicht öfter. Und da, Leser, hast Du Deinen Sinn. Die Süchtige ist tot. Lang lebe der Mythos.

Hier der Link zum Original-Kommentar von Tanya Gold im Guardian:

www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/jul/24/amy-winehouse-alcoholism-addiction

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Holger Hutt

Redaktioneller Übersetzer

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