Feigheit bei Jauch

Sexismus-Debatte Über eine schreiend doofe Diskussion

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Gestern bei Jauch, selten soviel hanebüchene Handbremse gesehen in einem Talk. Und ärgerlich, wie viel Anbiederung in ganz Deutschland gerade umgeht aus Angst, man könnte in dieser Debatte auf den falschen Zug aufspringen, sich verdächtig machen. Herrliche Ausnahme an diesem Abend: die ehemalige Nachrichtensprecherin Wibke Bruhns.

Man kann sagen, selbst der arabische Frühling wurde kritischer hinterfragt. Also gemessen am Hinterfragen der Twitter-Initiative „Aufschrei“ der Onlineberaterin Anne Wicorek. Über 60.000 Tweets sind bisher gezählt, was eine ernst zu nehmende Zahl ist und man nicht müde wurde an diesem Abend immer wieder bierernst ins Feld zu führen. Dass der Name „Aufschrei“ vielleicht ein wenig deplaziert wirkt für eine zugegeben imposante Sammlung sexistischer Beschwerden, fast schon oversized, kein Wort darüber. Gibt man das Wort bei Google ein, wird inzwischen eine Seite später der Titel eines Buches gelistet. Es geht um Kindesmissbrauch.

Es wurde auch nicht diskutiert, dass 60.000 Twitterer andere Frauen sind als 60.000 Frauen, die real auf die Strasse gehen. Nein – die beeindruckende Zahl diente einzig als Beweis dafür, wie riesengroß das Sexismus-Problem in Deutschland ist. Hat jemand die Meldungen im Einzelnen mal ausgewertet? Nein.

Man sah bei Jauch auch Menschen, die man eigentlich anders in Erinnerung hatte. Der literate Dameneinflüsterer Karasek gab sich überraschend als moderner Frauenversteher, Ausfälle in sein altes, schlüpfriges Ich konnte er dennoch nicht ganz verhindern. Zum gefühlt hunderten Mal gab er seinen doofen Kino-Herrenwitz zum Besten.

Es ging nicht anders. Ein bisschen fiel dann doch auch auf, wie scheinheilig der STERN diese Kampagne fährt, angesichts der sonst nicht selten lasziven STERN-Titelbilder nicht nur bei der Vorstellung des Literatur-Pornos Shades of Grey und einer Reportage darüber, was Frauen wirklich wollen, sondern auch bei Medizinthemen. Osterkorn erkannte selbst den Widerspruch, sein Gesicht entgleiste kurz, ein wenig geriet er ins Schlingern, aber richtig zum Straucheln kam die Doppelmoral nicht. Groß weiter verfolgt wurde auch nicht das Statement von Christiane Hoffmann vom Spiegel, die per Einspieler fürchtete, dass die Debatte dem politischen Journalismus eher zum Nachteil gereicht, bei soviel Zugeknöpftheit würden gute Informationen zukünftig noch schwieriger entlockt.

Wie dumm die Debatte ist, zeigte sich aber auch am chaotischen Lavieren der notorischen Alice Schwarzer, die auch nicht wusste, wie sie sich noch mit Koch- Mehrin verschwestern sollte, als man diese mit einer medialen Altlast konfrontierte. Als Schwangere zeigte sie sich den STERN-lesern vor einigen Jahren lasziv, fast nackt und selbstbewusst, à la „ich stehe dazu, meine Reize einzusetzen“. Koch-Mehrin brauchte ungefähr 5 Minuten Stammeln und Kopf und Kragen, um daraus eine feministische Aktion zu basteln. Ging durch. Es war zum Schreien.

Der Twitter-Aktivistin Wicorek war dieser schlimme oberflächliche Quatsch egal, Hauptsache man redete irgendwie darüber, dass Sexismus auch ein Machtding ist.

Gezeigt wurde auch ein Ausschnitt aus Markus Lanz. Kubicki erzählt da die Anekdote, als er Koch-Mehrin einmal anflirtete bei einem informellen Treffen in Brüssel, solange bis ein Schatten die Sicht einschränkte: Koch-Mehrins Partner stand am Tisch, ein Boxer. Das war lustig. Der Rest an diesem Abend ziemlich verbissen - außer Wibke Bruhns.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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