Circus Maximus

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Ist-Zustand

Es kommt aber darauf an, zu unterscheiden: Pseudointellektuelle Phrasen, garniert mit einigem rhetorischen Geschick und mit medialer Wucht massenhaft verbreitet, sind eben noch nicht die viel zitierte „Macht der Worte“. Nun muss ein Bundespräsident nicht eben notwendigerweise gleich ein Dichter sein. Jedoch erweist sich der derzeitige „Kandidat der Herzen“ (ist das hier eigentlich ein Schlagerwettbewerb, eine Dschungelprüfung, oder was?) doch eher als begnadeter Plapperer und Märchenonkel, der in den Denkfiguren und Ideologien des 20. Jahrhunderts gefangen bleibt. Und darüber hinaus – und das ist angesichts der Realität nun wirklich ein Skandal – als Kapitalismus-Apologet.

Sichtbar wird hier der Ist-Zustand einer Republik, deren Grundkonsens und Lebenselixier „Demokratie in Recht und Freiheit“ zunehmend zu einem grottenschlechten, gleichwohl sauteuren und hochsubventionierten Staats-Theater verkommt: Die respektlosen und hohlen Rituale offenbaren die Unfähigkeit (oder besser: den Unwillen), Demokratie von Demoskopie zu unterscheiden.

Schlechter Schauspieler

Nun wird schlau behauptet, der Mensch Joachim Gauck (oder vielmehr: dessen Darsteller) „stehe für etwas“, sei Querdenker, ewiger Dissident, hätte seinen eigenen, dicken Kopf, sei unbequem – also all das, was jeder sich insgeheim zu sein wünscht – und tue all dies auch noch unerschrocken kund, ist dabei hoch angesehen und extrem erfolgreich. Man (und gemeint ist hier wohl so etwas, worunter sich Otto-Sixpack „die da oben“ vorstellt) werde in Folge also gezwungen sein, sich mit einem Bundespräsidenten Gauck auseinandersetzen zu müssen. An diesem Steher kommt man halt nicht vorbei. Und das befördere den demokratischen Diskurs, erwecke ihn endlich überhaupt wieder zum Leben. Nun, mal abgesehen davon, wie tief obrigkeitsgläubig, fast schon monarchistisch und naiv so eine Annahme ist: Diese Behauptung ist in etwa so schlüssig, als wollte man die Qualität von Mahlzeiten dadurch verbessern, indem man vorzugsweise schlechte serviert.

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Foto: James Garner als Bundespräsident Rockford; Anruf genügt

Des Pastors abkanzelndes Gerede, etwa zu Occupy, Sarrazin oder S21, wird im Übrigen auch nicht dadurch besser, dass man es wieder in den ursprünglichen und vollständigen Zusammenhang stellt (wie Volker Pispers anlässlich der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises letzten Sonntag in Mainz sehr richtig und treffend bemerkte): Hier soll einer Bundespräsident werden, der selbst Teil des Problems ist, dass zu betrachten und benennen nötig wäre. Selbstverständlich und empört tut er dies natürlich nicht. Und wird damit zum Widerspruch an und in sich: Ein Freiheit predigender Paternalist.

Nun mag solche Haltung bei einem Schauspieler, der sich fremder Texte bedient, noch halbwegs durchgehen. Als höchster Beamter eines Staatswesens kann die schauspielerische Fähigkeit sogar manchmal durchaus hilfreich sein. Etwas anderes aber ist es, wenn dies die einzige Voraussetzung zu sein scheint. Es vermittelt sich so der starke Eindruck, dass es hier eher um die Besetzung eines Darstellers, als um die Auswahl eines geeigneten Repräsentanten eines Staatswesens mit 80 Millionen Angehörigen geht.

Der Kandidat selbst indes scheint in etwa so geeignet für sein Amt zu sein, wie der Film „Das Leben der Anderen“ in der Lage ist, umfassend und prägnant die historische Realität der späten DDR zu spiegeln (gleichwohl spiegelt der Film möglicherweise umfassend und pointiert das selektive Geschichtsbild des Kandidaten).

Vox populi – vox Rindvieh

All diese Dinge und Entwicklungen weisen einmal mehr die Richtung, in welche die neoliberale Postdemokratie mit ihren hohlen Ritualen unterwegs ist: Hin zu einem zunehmend primitiven, geschichtsvergessenen und zynischen panem et cicenses, einer Daumen-hoch, Daumen-runter, Like-It-Demokratie, einem digital beschleunigten Circus Maximus. Methadon für's Volk, so lange der Vorrat reicht.

Das - bislang - erfolgreiche Pilotprojekt dazu (ein schnittiger postdemokratischer Prototyp auf S21-Basis) kann man in Baden-Württemberg bestaunen: Hier schwadroniert ein mäßig begabter, aber äußerst erfolgreicher Ministerpräsidentendarsteller angesichts einer von ihm selbst inszenierten Staats-Farce (die er gleich einem Vorsänger „Volksabstimmung“ zu nennen nicht müde wird) davon, dass „mehr Demokratie nicht gehe“. In diesen Kanon stimmt die zweite Stimme eines blassen SPD-Parvenüs, seines Vizes, ein, der nach Volkes Spruch nur noch Schweigen ausmachen kann und will. Und das wird dann auch so durchgesetzt, Basta! Die tatkräftige Assistenz intellektueller (Uni)-“Eliten“ und eingebetteter Medienhuren ist dabei eine feste Größe und bringt den Ukas so wirksam unters Volk.

Plebiszitäre demokratische Instrumente werden missbraucht und in Folge irrevesibel um- und entwertet, wirkliche demokratische Teilhabe dauerhaft verhindert, der mündige und kritische citoyen endgültig zum ohmächtigen Stimmvieh.

Apropos Viehzeug: Wie hochkarätig das Staatszirkuspersonal ist, machte auch jener Parteikollege des oberschwäbelnden Ministerpräsidenten deutlich, der jüngst öffentlich-rechtlich angesichts eines leidenschaftlichen und kritischen Pressebeitrags zum künftigen Zirkusoberdirektor von „Schweinejournalismus“ sprach. Das sollte wohl vergessen machen, für welche „Schweinepolitik“ sein Agieren steht, als er seinerzeit Dosenpfand und Castortransporte durchsetzte, HartzIV auf den Weg und die Bundeswehr ins Kosovo und nach Afghanistan brachte. Was für ein fauler Zauber in der Manege und auf den Brettern, die das Geld bedeuten.

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