Die Berlinale ist ein politisches Festival, heißt es. Und das heißt vor allem, dass die Filmfestspiele wie ein Schwamm funktionieren – sie saugen die Themen auf, die gerade diskutiert werden. „Ich glaube, dass die ganze Berlinale von diesem Thema beseelt wird, wenn ich das so sagen darf“, lässt sich etwa Berlinale-Leiter Dieter Kosslick mit Blick auf die #metoo-Debatte zitieren.
sexistischen Schmierigkeiten in Verbindung brachte (Freitag 47/2017).Was das Debattenschlagwort #metoo meint, ist zuerst eine Wahrnehmungsschärfung für – sexistisch ausbeutbare – Machtverhältnisse. Die für den Film im Verhältnis von (angeblich genialem) Regisseur und (vermeintlich zu formender) Schauspielerin auf gewisse Weise konstitutiv sind. Und was diese Wahrnehmungsschärfung bedeutet, zeigt sich an Emily Atefs Wettbewerbsfilm 3 Tage in Quiberon, der die Umstände eines Interviews mit Romy Schneider im Jahr 1981 nacherzählt.Lakonische ZugfahrtDer Film spielt nämlich in einem Hotel, „Diététique“, in dem die berühmte Schauspielerin kuren soll vor ihrem nächsten – wie wir heute wissen: letzten – Filmdreh. Und das bedeutet für das Bild in der Eröffnungsszene: lauter Bademäntel, die in der Lobby sitzen, Gäste, die zwischen den Anwendungen pausieren, als die Schneider-Freundin Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr) am Ort des Geschehens eintrifft. Man muss dann sofort an „Doktor Dieter Schwanzwedel“ (Iris Berben) oder ähnliche Gestalten denken, die in den Berichten über Sexismus bis zur Vergwaltigung in ebendiesem sleazy Kleidungsstück in Erscheinung getreten sind. Atefs Film hätte sich dem aktuellen Thema gar noch entschiedener zuwenden können, denn der Antagonist in 3 Tage in Quiberon ist der Journalist Michael Jürgs. Der wird von Robert Gwisdek zwar durchaus unsympathisch angelegt mit seinen unsensiblen Fragen (was Jürgs laut Selbstauskunft unangenehm genug war).Aber Gwisdek spielt den Interviewer monoton schnöselig beziehungsweise kriegt sein eigenes, heutiges, prekäreres Mannsein nicht zum Verschwinden gebracht hinter der Figur; dass etwa in den Streiten mit Hilde Fritsch, die ihre Freundin schützen will, etwas von den Geschlechterverhältnissen der frühen achtziger Jahre sichtbar würde, lässt sich nicht behaupten.Was auch damit zu tun hat, dass sich Atefs Film auf die – handwerklich gelungene – Rekonstruktion der berühmten Fotos von Robert Lebeck (den Charly Hübner trotz seiner massiven Präsenz erstaunlich differenziert zurückhaltend entwirft) konzentriert, in denen die Ähnlichkeit von Marie Bäumer (die sich Romy Schneider auch stimmlich so genau angeeignet hat, dass man Bäumer wiederum kaum mehr sieht) performt werden soll. 3 Tage in Quiberon badet noch mal in der porösen Verletzlichkeit Schneiders, ohne in diese wirklich dramatisch hinabzusteigen.Der Gang in die Geschichte ist hier reines Sentiment. Christian Petzolds ebenfalls im Wettbewerb gezeigte Anna-Seghers-Adaption Transit wappnet sich gegen solche Schwelgereien derweil durch einen überraschenden Kniff: Die Geschichte aus den vierziger Jahren der Nazi-Okkupation in Frankreich spielt in den realen Kulissen von heute, die Hauptfiguren sind lediglich durchs – sich im Laufe des Films an die Außenwelt angleichende – Kostüm als historisch markiert. Der Effekt ist ein verblüffender, verschafft der Aktualisierung einer alten Geschichte von Flucht und Migration unmittelbare Gegenwärtigkeit. Er stellt den Film trotz aller Präzision der Inszenierung (die Zugfahrt nach Südfrankreich ist so lakonisch wie schön erzählt), aller Petzoldismen (Lektüren vom George-A.-Romero-Klassiker Die Nacht der lebenden Toten von 1968) aber auch vor ein Problem, weil die faschistische Okkupation eben nicht völlig zu universalisieren ist in französischer Polizeigewalt unserer Tage.Die Verbindung zwischen gestern und heute gelingt in Ruth Beckermanns Footage-Film Waldheims Walzer. Der ruft die Debatte um den einstigen UN-Generalsekretär in Erinnerung: Vor dessen Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten 1986 wurden die von Waldheim biografisch beschwiegenen Nazi-Jahre zum Thema. Der Kandidat wanzt sich windend immer wieder an die „Hunderttausende“ Landsleute an, die in der Wehrmacht ihren Dienst hätten tun müssen, dabei legen immer weitere Recherchen nahe, dass die politische Karriere Waldheims bereits zu dieser Zeit Fahrt aufnahm. Fernsehmaterial wird ergänzt von Beckermanns Videoaufnahmen auf der Straße, die Kritiker im Streit mit Beschwichtigern zeigen.Blöde FragenIn der wohl krassesten Szene des Films beleidigt ein Passant einen alten Mann antisemitisch, um sich danach dreist aus der Affäre zu ziehen („Na, und?“). In dem verbalen Gemenge wird sichtbar, womit das öffentliche Reden heute konfrontiert ist: mit scheinbaren Argumenten einer bloß anderen Sicht, die sich binnen Sekunden als tief sitzender Hass entpuppen.In diesem Sinne schaut man Marie Wilkes dokumentarische Arbeit Aggregat (Forum) über den deutschen Politik- und Medienbetrieb mit angezogener Handbremse, weil die realen Sorgen von Bürgern, mit denen etwa Sachsens SPD-Mann Martin Dulig an seinen „Küchentisch“-Gesprächen in Aue das Gespräch sucht, so schwer zu trennen sind von den Bemäntelungen eines dumpfen Rassismus.In Wilkes kühler Beobachtung findet sich dieses Ressentiment nicht nur bei namenlosen Leuten. Zu den erhellendsten Szenen der Beobachtung gehört ein ZDF-Dreh mit dem Hallenser Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby, bei dem der Frager immer nur auf die Hautfarbe des Politikers abzielt. Der weiß sich, wiewohl genervt, freundlich zu wehren, wenn er seine angebliche Fremdheit in der „deutschen“ (gemeint ist: weißen) Schrebergartenkolonie mit dem Hinweis kontert, das Bundeskleingartengesetz sei ein Musterbeispiel für die gelingende Organisation des gesellschaftlichen Miteinanders.
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