Das gefährliche Spiel des Benjamin Netanjahu

Israels Dilemma Die verhängnisvolle Rolle des israelischen Ministerpräsidenten im Ringen um einen Nahostkompromiss.

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Mit Barack Obama verbindet ihn ein Nicht-Verhältnis, Angela Merkel hält ihn merkbar auf Distanz und Ex-Frankreich-Präsident Sarkozy bezeichnete ihn gar als "notorischen Lügner". Statt sich um eine dringend benötigte Verständigung mit den Palästinensern zu bemühen, führt Israels Premier Netanjahu sein Land in eine gefährliche internationale Isolation. Düstere Aussichten für eine Lösung des Jahrhundertkonflikts im Nahen Osten.

Es war bezeichnend für die momentane Reputation Israels, als vor etwas mehr als einem Jahr die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit für eine staatliche Aufwertung Palästinas stimmte. Trotz intensivster Lobbyarbeit, gelang es der rechtsnationalen Koalition in Jerusalem nicht, diesen aus Sicht der Palästinenser epochalen Schritt zu verhindern. Lediglich neun Staaten widersetzten sich dem Mehrheitsvotum, darunter Kleinststaaten wie Palau und Mikronesien, von denen der halbwegs informierte Zeitgenosse nicht einmal annahm, dass diese überhaupt existierten.

Vor knapp zwanzig Jahren beendeten die Kugeln aus der Waffe eines jüdischen Fanatikers das Leben von Jitzhak Rabin. Als Ministerpräsident hatte sich der einstmals hochdekorierte Militär - er brachte es bis zum Generalstabschef - für eine Aussöhnung mit den Palästinensern eingesetzt. Er, der vielgerühmte Held des Sechstageskrieges von 1967 und Eroberer der Heiligen Stätten Israels, reichte dem verhassten wie gefürchteten Palästinenserführer Arafat im Beisein von Bill Clinton mit den historischen Worten "Enough of blood and tears!" die Hand. Sein Tod stürzte Israel in eine tiefe Existenzkrise. Die Tatsache, dass der Mörder aus dem eigenen Volk stammte, traf die damals noch überaus aktive Friedensbewegung ins Mark. Glaubte diese doch, weite Teile der Bevölkerung hinter sich zu haben. Jahre später versuchte sich Rabins politischer Ziehsohn Ehud Barak, ebenfalls hochdekorierter Offizier, an einer Lösung dieses tragischen Konflikts, gegen den die Quadratur des Kreises wie eine simple Anfängeraufgabe erscheint. Der Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg, die taktische wie erratische Verhandlungsführung Arafats und die daraufhin ausbrechende Intifada verhinderten einen sehnsüchtig erwarteten Kompromiss. Selbst der bekennende "Bulldozer" und Siedlerpatron Ariel Scharon, selbstverständlich ebenfalls einst General, gesellte sich mit seiner gegen hartnäckige Widerstände aus dem ultraorthodoxen Lager forcierte Räumung des Gazastreifens in das Lager der Friedenswilligen. Ein schlimmes Schicksal wollte es, dass der unerschütterlich erscheinende Kämpfer für Israels Sache seine Vision nicht vollenden konnte. Eine Hirnblutung zerschlug sämtliche Friedenshoffnungen. Allen Genannten war jedoch gemeinsam, dass sie es zeitlebens mit einem jungen, eloquenten und selbstbewussten Oppositionsführer zu tun hatten, der mit stets trickreichen Volten jegliche Verständigungsbemühungen durchkreuzte: Benjamin Netanjahu.

Heute ist dieser einstige Jungspund Ministerpräsident und sieht seine politische Agenda im Wesentlichen darin, eine selbst von den USA geforderte Zwei-Staaten-Lösung mit allen Mitteln zu verhindern. Obamas Außenminister Kerry, momentan mit dem Himmelfahrtskommando Verständigung zwischen den verfeindeten Lagern herzustellen beauftragt, musste sich vom israelischen Verteidigungsminister und Netanjahu-Intimus brüsk zurechtweisen lassen. Das Verhältnis ist eisig geworden zwischen den einstigen Erbfreunden, die sich regelmäßig ihrer unerschütterlichen Treue versicherten. Washington stößt in Jerusalem seit geraumer Zeit auf Granit. Appelle zur Verständigung beantwortet die Netanjahu-Administration regelmäßig mit der Ankündigung neuer Siedlungsprojekte im Westjordanland und konterkariert damit die transatlantischen Impulse. Eine Zwei-Staaten-Lösung wird hierdurch unmöglich gemacht.

Dies erscheint insbesondere deshalb als ausgesprochen unklug, als das die Anzeichen für einen Ausgleich momentan günstig erscheinen. Die Hamas hat mit dem sich im Überlebenskampf befindlichen Assad-Regime einen treuen Verbündeten einstweilen verloren. Die libanesische Hisbollah, 2006 noch gefürchteter Gegner israelischer Panzerverbände, erlitt im Kampf für den syrischen Machthaber beachtliche Verluste. Die ägyptische Militärregierung widmet ihr Hauptaugenmerk vorrangig den Muslimbrüdern und hält palästinensische Bestrebungen diskret auf Abstand. Der Iran, Israel noch immer als "zionistischen Feind" zeihend, wird durch den zunehmenden Einfluss des saudischen Königshauses in seiner Einflussmehrung merklich eingeschränkt. Doch obgleich die Konstellation den Israelis in die Karten spielt, scheint sich Netanjahu in seiner isolierten Position einzuigeln. Doch erscheint diese Ruhe zunehmend trügerisch. Auf dem Spielfeld des Nahen Ostens erscheint beinahe nichts so sicher wie die Unsicherheit. Es ist heute kaum absehbar, in welcher Weise der ungewisse Ausgang des syrischen Bürgerkriegs die Mächtekonstellation im nahöstlichen Raum beeinflusst. Die innenpolitische Lage in den Nachbarländern Israels erscheint zunehmend prekär. Der vielfach bewunderte wie mit Erwartungen überfrachtete Arabische Frühling hat sich in geopolitischer Hinsicht nicht positiv auf die vertrackte Lage in der Region ausgewirkt. Bei genauerem Hinsehen lassen sich auch in der von Netanjahu angeführten rechtsliberalen Regierung leichte bis mäßig starke Spannungen erkennen. Die Fliehkräfte dieser zusammengewürfelten Koalition erweisen sich als außerordentlich stark. Sie reichen von ultraorthodox angehauchten Großisraelideologen über ideenlose Status-Quo-Bewahrer (hierzu dürfte sich auch der Premier zählen) bis hin zu friedenswilligen, aber einflusslosen Einzelpersonen. Überdies scheinen sich diese Spaltungstendenzen in zunehmender Intensität auf das israelische Volk zu übertragen. Die Mehrheit der säkular ausgerichteten Israelis fühlt sich durch eine radikale, fundamentalistisch-religiös ausgerichtete Minderheit fremdbestimmt. Dass in den abgeschotteten Siedlungen eine gefährlich-radikale Randgruppe mit zunehmend politischem Einfluss heranwächst, verdeutlichte erst vor Kurzem der Angriff von Siedlervertretern auf einen Stützpunkt israelischer Soldaten. Ein Novum in der über sechzigjährigen Geschichte Israels.

Der mutige Visionär Rabin sang einst ein israelisches Friedenslied, als sein Mörder an ihn herantrat. Sein Liedblatt war blutdurchtränkt. Es mahnt noch heute zum Frieden...

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