S21: Meinungsfreiheit & Machtergreifung

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Nach manch anderem ist in Stuttgart jetzt vorübergehend auch der Schustersche Versuch gescheitert, über den mittleren Schlossgarten eine Art Kriegsrecht oder Ausnahmezustand zu verhängen:

„Laut der Allgemeinverfügung müssen alle „campingartigen Behausungen“, die sich im Mittleren Schlossgarten befinden, spätestens bis zum 12. Januar 2012, 8 Uhr, entfernt werden. Weiterhin gilt ab Beginn oder Bekanntgabe der polizeilichen Einsatzmaßnahmen ein Aufenthalts- und Betretungsverbot für alle Personen, die hierzu nicht besonders berechtigt sind. Ausnahmen sind etwa Rettungsdienste und Feuerwehr oder beauftragte Firmen beziehungsweise beauftragte Mitarbeiter von Land und Bahn...“

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mittlerer-schlossgarten-zeltlager-muss-geraeumt-werden.8d1c9d51-5ddb-4386-b432-37b05f39595a.html

Das Verwaltungsgericht Stuttgart, dem drei Eilanträge in der Sache vorliegen, hat die Sache jetzt zumindest bis zum 23. Januar 2012 untersagt.

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-parkraeumung-verzoegert-sich.56932e29-9411-4f6f-bbd0-4ebd2e35d9c9.html

Bis dahin gilt also auch in Stuttgart vorläufig noch das Grundgesetz, insbesondere das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für diesen Bereich, das Grundrecht auf Freizügigkeit und die Meinungs- und Pressefreiheit - denn auch Journalisten dürfen bis dahin noch ohne polizeiliche Genehmigung („Einbettung“) und Zensur aus dem Schlossgarten berichten. Jedenfalls bis zum 23. Januar. Danach könnte es durchaus sein, dass OstA Häußler sie wegen „schweren Landfriedensbruchs“ in Containamo festsetzen lässt, wenn sie sich unterstehen sollten, so einfach zu berichten.

Nicht nur bei S21 übrigens, auch bei der Stuttgarter Bachakademie wird immer deutlicher: Geldgreise drängen nach der Machtergreifung in der Stadt. Nach Dürr, Teufel, Rommel bei S21, Stihl bei der Unternehmerkampagne zur Volksabstimmung greift nämlich Bestverdiener Leibinger nun auch nach der Kultur. Die Herren haben scheinbar die Schnauze voll von Demokratie und solchem Scheiß. Jetzt sollen die Macher ran. Die schwätzen nicht lang, die langen zu. Es war ihre Volksabstimmung. Sie haben sie gewonnen. Und sie fühlen sich nun offenbar legitimiert, durchzuregieren. Kretschmapp stört sie mit Sicherheit nicht dabei. Und der Justizminister, dessen Namen nicht mehr erwähnenswert ist, hat sich längst vor bzw. hinter OstA Häußler gestellt. Das bedarf keines weiteren Kommentars.

www.kontextwochenzeitung.de/no_cache/newsartikel/2011/11/die-wirtschaft-als-retter/?sword_list[0]=stihl

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bachakademie-stuttgart-zukunft-im-rueckwaertsgang.f2d00bc6-8463-4610-9647-65cabb011011.html

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bachakademie-stuttgart-zukunft-im-rueckwaertsgang.f2d00bc6-8463-4610-9647-65cabb011011.html

www.youtube.com/watch?v=xxHR_L6uFac

Man darf im Baden-Württemberg des OstA Häußler zwar als Ministerpräsident die Verfassung brechen, ohne mehr als ein augenzwinkerndes „Du, Du, Du!“ durch den Staatsgerichtshof befürchten zu müssen. Berichtet man aber als Bürgerreporter beispielsweise von einer Baustellenbesetzung, dann steht schon mal in der Frühe ein Polizeitrupp vor der Tür, um Festplatten usw. einzusammeln. Wer gegen S21 ist, soviel hat man hierzulande gelernt, ist schon halb im Gefängnis.

Das durfte z.B. CamS21-Reporter HanSolo erfahren, der von der Baustellenbesetzung am 20.06.2011 berichtet hatte. Dass die Sache längst gelaufen war, als er ankam – juckt nicht. Dass er die Schäden, die er filmte, kritisch kommentierte – juckt nicht. Dass er während des Filmens zu einem anderen sagte, er solle eine Aktion unterlassen (was der denn auch tat) – juckt nicht. Laut Stuttgarter Staatsanwaltschaftsrecht gilt die Formel: gegen S21=potentiell kriminell.

blog.cams21.de/2011/08/12/presseerklarung-von-cams21-zu-erneuten-hausdurchsuchungen-bei-freien-journalisten-in-stuttgart-13-8-2011/

blog.cams21.de/tag/durchsuchungsbefehl/

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-ein-film-sagt-mehr-als-tausend-worte

Das musste auch eine aus Argentinien stammende Frau erfahren, die so „dumm“ war, darauf zu vertrauen, dass wir hier einen Rechtsstaat haben:

Irgendetwas läuft hier schief, und dieser Gedanke schießt der Frau wie ein Blitz ins Hirn. Die Herren vor ihr am Tisch wünschen wie aus heiterem Himmel eine erkennungsdienstliche Behandlung. Sie müsse sich fotografieren lassen und ihre Fingerabdrücke abgeben. Dabei war sie freiwillig in dieses Stuttgarter Polizeirevier an der Hahnemannstraße gekommen, um aus ihrer Sicht eine Geschichte zu erzählen.
Es ging um Stuttgart 21 und um diese Geschichte vom verletzten Zivilpolizisten an jenem Abend der Besetzung des Grundwassermanagement-Geländes vom 20. Juni. Sie will sagen, dass sie nahe dran gewesen sei, dass sie nichts von Faustschlägen oder Tritten gegen diesen Beamten mitbekommen habe. Dass es ganz anders gewesen sei. So lautet jedenfalls ihre Erinnerung, und jetzt das.....“

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/08/jeder-ist-potenzieller-taeter/

Wie der Zufall es so will, ist mir auch diese Frau in einer sehr eindeutigen Situation über den Weg gelaufen. Es war im Vorfeld des berüchtigten Mappus-Day, des 30.09.2010. Ich ging wie so oft durch den mittleren Schlossgarten und schaute kurz zur Seite, wo eine Diskussion gerade etwas lauter wurde. Eine Frau – eben jene Argentinierin – versuchte, zu schlichten und wandte sich dann zu mir, um mich zu fragen, was ich davon halte. Sie lehne jede Gewalt ab, auch verbale. Ich sah das etwas lockerer, was sie gar nicht gut fand. Auch sie also, ausgerechnet sie!, gerät in Stuttgart in den Verdacht, eine gewalttätige Landfriedensbrecherin zu sein.....

Weshalb ich dies gerade jetzt erzähle? Nun, weil hier gerade - siehe das Schustersche Kriegsrecht mit eingebetteten Polizeijournalisten – eine barbarische Entwicklung eskaliert, die zwar vermeintlich darauf abzielt, die physische Gewalt des 30.09.2010 zu vermeiden, da „diese Bilder“ so schlecht fürs Image von Daimler- und Porsche-City sind. Die aber mit einer nicht mehr nur schleichenden demokratischen Desensibilisierung und einem schamlosen Abbau von Rechtsstaat einher geht.

Mit der Einladung an die Journalisten, sich in Friedenszeiten ins Lotterbett der Polizei zu schmeißen, war nun selbst für noch nicht narkotisierte/ gekaufte Journalisten ein Punkt erreicht, wo es galt, öffentlich die Stimme zu erheben, und man lud am 11.01.2012 zu einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel „Der lange Schatten von Stuttgart 21 oder Wieviel Presse- und Meinungsfreiheit darf es sein?“ ein. Unter der Moderation des Filmemachers und freien Journalisten Hermann G. Abmayr berichteten Renate Angstmann-Koch vom Schwäbischen Tagblatt und vom dju-Landesvorstand, der Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten Joe Bauer, der ZDF- Journalist (WISO) Uli Röhm, gleichzeitig Vorstandsmitglied von ver.di im ZDF, der Schauspieler Walter Sittler, die Rechtsanwältin des Vereins Umkehrbar Stefanie Brum, der Rechtsanwalt Martin Heiming, der zwei Nordflügel- Fotografen vertritt, Kristian Frank, der Rechtsanwalt eines Kameramanns von CamS21, der „Anstifter“ und Kabarettist Peter Grohmann über ihre Erfahrungen, Einschätzungen und Erwartungen. Die Videos kann man getrost als Momentaufnahme über den Stand von Bürgerjournalismus (online & offline) und über die Lage der Meinungsbildung und Meinungsfreiheit im Lande betrachten.

Bei fluegel.tv und bambuser.com kann man die Sache per Video nachvollziehen.

vimeo.com/34945811
bambuser.com/channel/tilman36/broadcast/2278456

Sittler-Spot zur Volksabstimmung:
www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=T1RxuNoUzXY

Friedhelm Weidelich hat dazu, engagiert und kompetent wie immer, einen Blog erstellt:

.....Und in Stuttgart? Da ist der Niedergang des Journalismus mit Händen zu greifen. Die 1,5 Mrd. teuren Ausstiegskosten, vom DB-Vorstand ebenso frei erfunden wie die 1,5 Mio. Schaden beim Betreten des illegal und an der falschen Stelle errichteten Grundwassermanagements, haben nicht nur das Hirn der Baden-Württemberger erfolgreich vernebelt, sondern die Hirne der meisten Journalisten auch. Und so nehmen die Redakteure hin, dass die Polizei sechs Journalisten “erlauben” will, beim absehbaren harten Kampf um den Südflügel ganz vorn zu sein. Die Kollegen müssen bei der Landespressekonferenz, einem privaten Verein, registriert sein. Und wer mit darf, bestimmt die Polizei. Die sich in Stuttgart keine Blöße mehr geben will und nach Berichten aus Stuttgart nicht nur den Bahnhof mit Videokameras übersäht hat, sondern kurz vor der Machtübernahme zu sein scheint.
Ich gebe zu, das ist Polemik. Aber wenn sich Redakteure weinerlich darauf einlassen, dass sie ebenso wie jeder andere Bürger auch demnächst den Schlosspark nicht mehr betreten “dürfen”, um die Polizeiarbeit nicht zu stören oder gar kritische Fragen zu stellen, dann ist es mit der Pressefreiheit nicht mehr weit her. Weil die Redakteure dann auf ihr Recht verzichten, von Ort und Stelle zu berichten. Was sie ja auch schon beeindruckend am Schwarzen Donnerstag, dem 30.9.2010, bewiesen haben.
Eingebetteter Journalismus ist (vielleicht) eine Erfindung des amerikanischen Militärs. Aber die schwäbischen Tüftler beweisen, dass Journalismus von Gnaden der Polizei sich nicht nur bei Atommülltransporten bewährt, sondern auch beim Irrsinnsprojekt Stuttgart 21. Bei dem, nur am Rande bemerkt, der Irrsinn offenkundig ist, nur für viele Stuttgarter Journalisten nicht......“

railomotive.com/2012/01/pressefreiheit-qualitatsjournalismus-streik-stuttgart-21/


S21 bei FREITAG:

www.freitag.de/search?modus=blogs&SearchableText=s21



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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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