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Flughafendesaster Eine Reisereportage von Simon Kowalewski, Mitglied des Abgeordnetenhauses der Piratenpartei

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Nachdem gestern Abend bekannt wurde, dass der Flughafen Berlin-Brandenburg Willy Brandt vermutlich auch in diesem Jahr nicht würde eröffnen können, überschlugen sich die Ereignisse. Die Grünen und die Piratenfraktion haben für Donnerstag eine Plenarsondersitzung beantragt, um über die erneute Verschiebung zu reden, erstere auch, um den Kopf des Regierenden zu fordern.

Im Gegensatz zu den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, die von Amtswegen bereits die Flughafenruine besucht haben, und meiner Assistentin, die letztes Jahr "kurz vor der Eröffnung" mit Helm auf dem Kopf als Freiwillige für ein Lunch- und ein Devotionalienpaket an einer Betriebssimulation teilnahm, war ich selbst noch nie am BER, also entschloss ich mich, heute mal hinzufahren. Das geht momentan mit der Buslinie 734, die die S-Bahn-Haltestelle in Sichtweite zum Flughafen Schönefeld (alt) und die in Zeuthen miteinander verbindet und auf dem Weg auch am Willy-Brandt-Platz, dem Flughafenvorplatz (neu), hält. Meistens fährt dieser Bus die Strecke leer.

Auf der Baustelle angekommen weisen Schilder den Weg zum Besucherzentrum, das allerdings 7 Minuten zuvor, um 16:00, geschlossen hatte. Und das am heutigen Tage! Ebenfalls geschlossen der Info-Tower, der sich allerdings weit entfernt vom Flughafen und ohne Anbindung an den ÖPNV offensichtlich nur an Individualmotorisierte richtet.

Neu und originalverpackt

Also musste ich die Baustelle auf eigene Faust erkunden. Etwas erschwert wurde das von der großflächigen Absperrung, die wohl dafür sorgen soll, dass die Schaulustigen nicht mit ihren Füßen den rauhen Marmor, mit dem der Boden bedeckt ist, glattlaufen. Überhaupt ist dort viel geschützt, die Schilder in Kunststoff verhüllt, die Bäume in Bambusmatten eingepackt, Schaumgummi sorgt dafür, dass die Bauzäune keine Druckstellen hinterlassen. Auf eBay bekäme der BER den Zustand "neu und originalverpackt".

Nicht ausgeschildert war der Asylknast, der Bestandteil des Flughafens, der planmäßig und ohne Verzögerung an den Start ging, als illegaler Einwanderer wüsste ich also nicht, wohin ich mich zum Behufe der Abschiebehaft begeben müsste. Vermutlich ist dort deswegen auch kein Häftling, der vom bereits vorhandenen und bezahlten Wachpersonal bewacht wird. In der großzügigen Flughafenhalle war kein Mensch zu sehen, die gesamte Festbeleuchtung hingegen brannte, kaum auszudenken, wie viele Kilowatt dort sinnlos verlocht werden. Nicht so im Verwaltungsgebäude, statt heftiger Betriebsamkeit waren nur wenige Räume beleuchtet, hinter denen einen paar Menschen betont unaufgeregt an Schreibtischen saßen. Die Lichter am Horizont spiegelten sich in den Pfützen des zerklüfteten Rasens.

Ensemble von moderner Architektur und Nutzlosigkeit

Eigentlich verzichtet Berlin zu seinem großen Schaden auf die aktive Vermarktung eines touristischen Highlights. Würde man die Flughafenruine Willy Brandt verkehrsmäßig erschließen, es wäre sehr einfach, es müsste nur der Geisterbahnhof unter dem Gelände in Betrieb genommen und der mit Sicherheit nicht billige Bauzaun entfernt werden, würden sicherlich tausende von Menschen täglich das schöne Ensemble von moderner Architektur und Nutzlosigkeit besuchen wollen. Das Ambiente ist perfekt, es ist wie eine der bekannten Geisterstädte in Namibia oder der Sierra Nevada, aber viel hauptstadtnäher. Als Generalunternehmerin böte sich Madame Tussaud's an, eine Firma, die mit der Vermarktung von seelenlosen Hüllen bereits gute Erfahrungen hat.

Als ich dann auf den Bus 734 zurück in die Zivilisation wartete, kam ich noch mit einem Piloten ins Gespräch, der hier auch einen Zwischenstopp auf dem Weg ins Interflug Simulationszentrum, heute Lufthansa Flight Training, machte. Er meinte, er hätte ja in Parchim ein internationales Drehkreuz mit schneller Transrapidanbindung an die Städte Berlin, Hamburg, Hannover und Bremen gebaut und die provinziellen Flughäfen dort jeweils geschlossen. Das bundeseigene Gelände dort hätte Platz für 10 Flughäfen mit jeweils 6 Landebahnen geboten, und es hätte auch keine Anwohner gegeben, die Nachtflugverbote durchsetzen oder die Lärmdämmung ihrer Reihenhäuser einklagen. Aber dafür seien die Norddeutschen einfach zu dumm, und die Bundesverkehrsminister würden ja bekanntlich vor allem die Interessen des Konkurrenten Bayern im Auge haben.

Im Bus las ich dann die Meldung, dass der Regierende von seinem Posten im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft zurücktritt. Der schwarze Peter fällt jetzt also turnusgemäß dem Land Brandenburg in personam Matthias Platzeck zu. Auf die Übertragung seiner restlichen Amtsgeschäfte auf ihn verzichtete Klaus Wowereit jedoch. Norddeutsche Kleinstaaterei. Am Flughafen Schönefeld (alt) fiel noch die S75S45 aus, betriebsbedingt. So ein Flughafen mit Erweiterungsmöglichkeit und sinnvoller Dual-Use-Verkehrsanbindung, wäre das nicht schön gewesen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Simon Kowalewski, MdA

Pirat, Veganer, Feminist, Mitglied des Abgeordnetenhauses, @deBaer auf Twitter.

Simon Kowalewski, MdA

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