NSA Die Lehre aus den Snowden-Enthüllungen ist nicht, dass die Privatheit vorbei ist, sondern dass die Geheimdienste den Kampf gegen unsere Offenheit verloren haben.
Vor dem Oval Office: Und dieser Mann passt auf Obama auf.
Foto: Pete Souza/Official White House Photo
Es ist nach all den Enthüllungen von Edward Snowden in den letzten Wochen oft gesagt worden, die Privatsphäre sei nun tot. Aber das stimmt nicht. Im Sterben liegt vielmehr die Geheimhaltung, die Secrecy. Unsere neue Offenheit, unsere Openness, wird sie töten.
Amerikanische und britische Spitzel haben versucht und versuchen es noch immer, die Verschlüsselung von Daten zu knacken und sie zu umgehen. Damit haben sie die Sicherheit aller Internetnutzer und deren Fähigkeit, Dinge geheim zu halten, zerstört. Doch dann durchkreuzte der Whistleblower Snowden dieses Vorhaben, indem er dieses, ihr vielleicht größtes Geheimnis enthüllt hat.
Als ich auf Twitter meine Sorge zum Ausdruck gebracht habe, wir könnten nun auch der Verschlüsselung nicht me
;sselung nicht mehr trauen, versicherte der Aktivist und Internet- und Technikexperte Lauren Weinstein, es sei äußerst schwierig, sogenannte Hintertüren im gängigen PGP-Verschlüsselungsverfahren zu verstecken. Der Grund: Dieses Verfahren basiert auf Open Source.Openness ist die bessere Waffe, sie ist mächtiger. Openness ist das Prinzip, das etwa die Journalisten des Guardian leitet. Openness ist das einzige Prinzip, das das Vertrauen in die amerikanische Regierung und in Technikunternehmen wieder herstellen kann. Und Openness – bezüglich Standards, Führung und Ethik – muss den Bemühungen jener Techniker zugrunde liegen, die nun versuchen, das Netz zurückzuerobern.Was heißt privat?Die Geheimhaltung, die Secrecy, ist bedroht. Man sollte sie aber nicht mit der Privatsphäre verwechseln: „Jeder Mensch hat drei Leben: das öffentliche, das private und das geheime“, hat der Schriftsteller Gabriel García Márquez einmal seinem Biografen gesagt. Im New Yorker schrieb die Essayistin Jill Lepore kürzlich, geheim sei das, was bekannt sei, aber nicht jeder wüsste. Privatheit hingegen erlaube uns, das, was wir wüssten, für uns selbst zu behalten. Und im Journal of Social Issues meinten die Wissenschaftler Carol Warren und Barbara Laslett: „Privatheit ist einvernehmlich, Geheimhaltung nicht.“Man kann es sich so vorstellen: Privat ist, was wir für uns selbst behalten wollen, Geheimes wird uns vorenthalten. Privatheit ist ein Bürgerrecht. Geheimhaltung ist ein Privileg, das Regierungen für sich in Anspruch nehmen.Es heißt oft, das Internet bedrohe die Privatsphäre. Alles in allem bedroht es diese aber nicht mehr als ein tratschender Freund oder ein neugieriger Nachbar, ein Versprecher oder eine versehentlich falsch versandte E-Mail. Gewiss besteht eine Bedrohung für die Privatsphäre, wenn wir nicht mehr darauf vertrauen können, dass unsere Kommunikation – noch nicht einmal die verschlüsselte – sicher vor den spähenden Augen der Regierungen ist. Doch eine Privatsphäre hat viele Beschützer.Zudem gibt es einen Ort, an dem die Privatheit eines jeden sicher ist: In unseren eigenen Gedanken. Selbst wenn Regierungen sie lesen könnten, dürfe das nicht geheim sein, schreibt die US-amerikanische Non-Profit-Journalismusagentur ProPublika in einem Essay, in dem sie erklärt, warum sie in die Snowden-Berichterstattung eingestiegen ist.Was zu tun istDie Anhäufung von Daten lässt uns um unsere Privatsphäre fürchten. Sie macht es aber auch Zweiflern wie Bradley Manning oder eben Snowden möglich, Geheimnisse herauszufinden. Die Geschwindigkeit, mit der sich Daten verbreiten, weckt die Sorge, die Fakten würden ihren Wert verlieren. Diese Geschwindigkeit ermöglicht Journalisten aber auch, Fakten in Umlauf zu bringen, bevor sie aufgehalten werden können. Die Essenz der Snowden-Geschichte lautet deshalb nicht nur, dass die Privatsphäre durch die Regierungen bedroht ist. Sondern: dass vor allem die Regierungen weniger geheim halten können.Es wird einiges geschehen müssen, damit diese Lehre verstanden wird: Die Regierungen werden von ihren Geheimdiensten noch mehr Geheimhaltung verlangen, sie werden förmlich einen Krieg gegen die Agenten der neuen Openness beginnen: gegen Whistleblower, Journalisten und Medienhäuser. Barack Obama hatte die Gelegenheit, auf die Enthüllungen Snowdens mit Beschämung, einer Entschuldigung und einem Versprechen für mehr Transparenz zu begegnen. Er hat sie nicht genutzt. Doch die Agenten der neuen Openness werden ihren Krieg gegen die Secrecy fortführen.In einer beeindruckenden Anklage forderte der amerikanische Kryptografie- und Computersicherheitsexperte Bruce Schneier seine Kollegen auf, das Netz wieder in Ordnung zu bringen: „Einige von uns haben dabei geholfen, das Netz zu untergraben“, schrieb er. Das müssen die Unternehmen auch tun. Google und Microsoft haben die US-Regierung verklagt, um von ihrer Schweigepflicht über Datenanfragen der US-Regierung befreit zu werden. Sie könnten aber noch mehr sagen. Google soll erklären, was britische Agenten meinen könnten, wenn sie sagen, im Unternehmen würden „neue Zugangsmöglichkeiten entwickelt.“ Googles Antwort, man habe „keine Belege dafür, dass so etwas jemals vorgefallen ist“, wäre beruhigender, wenn sie spezifischer ausfiele.Die neuste Enthüllung hat gezeigt, dass der Guardian, inzwischen gemeinsam mit der New York Times und ProPublika, mit Zeitungen in Deutschland und Brasilien, dem Thema eigenständig weiter nachgehen, weiter recherchieren will. Ich bin aber auch enttäuscht, dass nicht noch mehr Medien, vor allem in London, mit einer eigenen Berichterstattung gegen übergriffige Regierungen anschreiben. Und es macht mich traurig, dass meine amerikanischen Kollegen nicht lautstark protestieren. Doch selbst wenn sie es nicht tun: Diese Geschichte lehrt uns, dass es nur einen IT-Mitarbeiter, einen Reporter, eine Zeitung braucht, um die Geheimhaltung zu besiegen. Lang lebe die Openness!
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