Es ist nach all den Enthüllungen von Edward Snowden in den letzten Wochen oft gesagt worden, die Privatsphäre sei nun tot. Aber das stimmt nicht. Im Sterben liegt vielmehr die Geheimhaltung, die Secrecy. Unsere neue Offenheit, unsere Openness, wird sie töten.
Amerikanische und britische Spitzel haben versucht und versuchen es noch immer, die Verschlüsselung von Daten zu knacken und sie zu umgehen. Damit haben sie die Sicherheit aller Internetnutzer und deren Fähigkeit, Dinge geheim zu halten, zerstört. Doch dann durchkreuzte der Whistleblower Snowden dieses Vorhaben, indem er dieses, ihr vielleicht größtes Geheimnis enthüllt hat.
Als ich auf Twitter meine Sorge zum Ausdruck gebracht habe, wir könnten nun auch der Verschlüsselung nicht mehr trauen, versicherte der Aktivist und Internet- und Technikexperte Lauren Weinstein, es sei äußerst schwierig, sogenannte Hintertüren im gängigen PGP-Verschlüsselungsverfahren zu verstecken. Der Grund: Dieses Verfahren basiert auf Open Source.
Openness ist die bessere Waffe, sie ist mächtiger. Openness ist das Prinzip, das etwa die Journalisten des Guardian leitet. Openness ist das einzige Prinzip, das das Vertrauen in die amerikanische Regierung und in Technikunternehmen wieder herstellen kann. Und Openness – bezüglich Standards, Führung und Ethik – muss den Bemühungen jener Techniker zugrunde liegen, die nun versuchen, das Netz zurückzuerobern.
Was heißt privat?
Die Geheimhaltung, die Secrecy, ist bedroht. Man sollte sie aber nicht mit der Privatsphäre verwechseln: „Jeder Mensch hat drei Leben: das öffentliche, das private und das geheime“, hat der Schriftsteller Gabriel García Márquez einmal seinem Biografen gesagt. Im New Yorker schrieb die Essayistin Jill Lepore kürzlich, geheim sei das, was bekannt sei, aber nicht jeder wüsste. Privatheit hingegen erlaube uns, das, was wir wüssten, für uns selbst zu behalten. Und im Journal of Social Issues meinten die Wissenschaftler Carol Warren und Barbara Laslett: „Privatheit ist einvernehmlich, Geheimhaltung nicht.“
Man kann es sich so vorstellen: Privat ist, was wir für uns selbst behalten wollen, Geheimes wird uns vorenthalten. Privatheit ist ein Bürgerrecht. Geheimhaltung ist ein Privileg, das Regierungen für sich in Anspruch nehmen.
Es heißt oft, das Internet bedrohe die Privatsphäre. Alles in allem bedroht es diese aber nicht mehr als ein tratschender Freund oder ein neugieriger Nachbar, ein Versprecher oder eine versehentlich falsch versandte E-Mail. Gewiss besteht eine Bedrohung für die Privatsphäre, wenn wir nicht mehr darauf vertrauen können, dass unsere Kommunikation – noch nicht einmal die verschlüsselte – sicher vor den spähenden Augen der Regierungen ist. Doch eine Privatsphäre hat viele Beschützer.
Zudem gibt es einen Ort, an dem die Privatheit eines jeden sicher ist: In unseren eigenen Gedanken. Selbst wenn Regierungen sie lesen könnten, dürfe das nicht geheim sein, schreibt die US-amerikanische Non-Profit-Journalismusagentur ProPublika in einem Essay, in dem sie erklärt, warum sie in die Snowden-Berichterstattung eingestiegen ist.
Was zu tun ist
Die Anhäufung von Daten lässt uns um unsere Privatsphäre fürchten. Sie macht es aber auch Zweiflern wie Bradley Manning oder eben Snowden möglich, Geheimnisse herauszufinden. Die Geschwindigkeit, mit der sich Daten verbreiten, weckt die Sorge, die Fakten würden ihren Wert verlieren. Diese Geschwindigkeit ermöglicht Journalisten aber auch, Fakten in Umlauf zu bringen, bevor sie aufgehalten werden können. Die Essenz der Snowden-Geschichte lautet deshalb nicht nur, dass die Privatsphäre durch die Regierungen bedroht ist. Sondern: dass vor allem die Regierungen weniger geheim halten können.
Es wird einiges geschehen müssen, damit diese Lehre verstanden wird: Die Regierungen werden von ihren Geheimdiensten noch mehr Geheimhaltung verlangen, sie werden förmlich einen Krieg gegen die Agenten der neuen Openness beginnen: gegen Whistleblower, Journalisten und Medienhäuser. Barack Obama hatte die Gelegenheit, auf die Enthüllungen Snowdens mit Beschämung, einer Entschuldigung und einem Versprechen für mehr Transparenz zu begegnen. Er hat sie nicht genutzt. Doch die Agenten der neuen Openness werden ihren Krieg gegen die Secrecy fortführen.
In einer beeindruckenden Anklage forderte der amerikanische Kryptografie- und Computersicherheitsexperte Bruce Schneier seine Kollegen auf, das Netz wieder in Ordnung zu bringen: „Einige von uns haben dabei geholfen, das Netz zu untergraben“, schrieb er. Das müssen die Unternehmen auch tun. Google und Microsoft haben die US-Regierung verklagt, um von ihrer Schweigepflicht über Datenanfragen der US-Regierung befreit zu werden. Sie könnten aber noch mehr sagen. Google soll erklären, was britische Agenten meinen könnten, wenn sie sagen, im Unternehmen würden „neue Zugangsmöglichkeiten entwickelt.“ Googles Antwort, man habe „keine Belege dafür, dass so etwas jemals vorgefallen ist“, wäre beruhigender, wenn sie spezifischer ausfiele.
Die neuste Enthüllung hat gezeigt, dass der Guardian, inzwischen gemeinsam mit der New York Times und ProPublika, mit Zeitungen in Deutschland und Brasilien, dem Thema eigenständig weiter nachgehen, weiter recherchieren will. Ich bin aber auch enttäuscht, dass nicht noch mehr Medien, vor allem in London, mit einer eigenen Berichterstattung gegen übergriffige Regierungen anschreiben. Und es macht mich traurig, dass meine amerikanischen Kollegen nicht lautstark protestieren. Doch selbst wenn sie es nicht tun: Diese Geschichte lehrt uns, dass es nur einen IT-Mitarbeiter, einen Reporter, eine Zeitung braucht, um die Geheimhaltung zu besiegen. Lang lebe die Openness!
Jeff Jarvis ist Bestsellerautor und einer der einflussreichsten US-amerikanischen Internet-Publizisten.
Das müssen Sie über die jüngsten Enthüllungen wissen
Was mitgelesen wird
Die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ können auch verschlüsselte Verbindungen mitlesen. Das war die zentrale, schockierende Nachricht der jüngsten Snowden-Enthüllungen. Berichtet wurden sie via Guardian von Bruce Schneier, einem der angesehensten Experten für Verschlüsselungstechnologien. Demnach sind die Methoden viel-fältig: Sie zwingen IT-Unternehmen, Hintertüren in die Produkte einzubauen oder nehmen Einfluss auf Standardisierungsgremien, die Technologien entwickeln. Im Jahr 2010 gelang es, mit einer neuen Methode viele verschlüsselte Verbindungen im Netz mitzulesen.
Verschlüsselung hilft
Das sagt auch Edward Snowden. In einem Gespräch mit dem Guardian betonte der Whistleblower schon im Juni: „Vernünftig entwickelte, starke Verschlüsselung gehört zu den wenigen Dingen, auf die man sich verlassen kann.“ Es wäre also falsch, jetzt zu resignieren. Anders als von Laien vielfach angenommen, ist es selbst für einen Geheimdienst mit großen Finanzmitteln nicht immer möglich, Verschlüsselungen zu brechen. Problematisch sind nur veraltete Verschlüsselungs-technologien, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen.
Die Schwachstelle
Möglich, dass die Geheimdienste auch in der Lage sind, einige schlechte Verschlüsselungsverfahren zu brechen. Viel wichtiger aber ist die Frage, ob man der Hard- und Software, mit der man arbeitet, auch vertrauen kann. Bruce Schneier rät zu Misstrauen gerade bei Verschlüsselungsprodukten von großen Herstellern. Ins-besondere Smartphones sind wohl ein leichtes Ziel für die Geheimdienste. NSA und GCHQ sind laut den jüngsten Snowden-Veröffentlichungen in der Lage, sämtliche bekannte Smartphone-Systeme – also die von iPhones, Android oder Blackberry – zu infiltrieren.
Freie Software
Ein Ratschlag von Bruce Schneier: Wenn möglich sollte man auf Software setzen, bei der der Quellcode verfügbar ist und durch unabhängige Fachleute überprüft werden kann. Das gilt für Verschlüsselungsprogramme, aber auch für das gesamte Betriebssystem eines Computers. Für den Heim-PC heißt das: Besser Linux benutzen und auf Windows oder MacOS X verzichten. Mails lassen sich mit Thunderbird und Enigmail einfach verschlüsseln. Bei Smartphones ist das schon schwieriger, aber auch hier gibt es einige freie Systeme. Nutzer von Android-Telefonen können zum Beispiel das System Cyanogenmod installieren.
Standardisierungsgremien
John Gilmore, Mitglied der US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, hat jüngst über seine Erfahrungen mit NSA-Mitarbeitern in Gremien zur Standardisierung von Verschlüsselungsverfahren berichtet. Diese hätten oft Vorschläge gemacht, die für Laien sinnvoll klingen, aber die Sicherheit des Protokolls verschlechtern. Am Ende sei das Protokoll so kompliziert gewesen, dass es kaum mehr jemand ver-standen hätte. Gilmore gibt den Geheimdiensten auch die Schuld daran, dass es etwa bis heute kein weit verbreitetes System gibt, das Handygespräche verschlüsselt.
Die Zukunft
„Die US-Regierung hat das Internet betrogen“, hat Bruce Schneier im Guardian geschrieben. „Nun müssen wir es reparieren.“ Es sei nun die Aufgabe der Ingenieure des Netzes, in den kommenden Jahren dafür zu sorgen, dass die Technologien des Netzes wieder vertrauenswürdig werden. Dazu sei es notwendig, Genaueres über die Möglichkeiten der Geheimdienste zu erfahren. Bruce Schneier ruft Personen, die Details über die Methoden der NSA wissen, dazu auf, Whistleblower zu werden und ihr Wissen zu ver-öffentlichen: „Diese Form des zivilen Ungehorsams ist das moralisch Richtige.“ Hanno Böck
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