Wikileaks Der Prozess gegen Bradley Manning hat begonnen. Der Umgang mit dem 25jährigen zeigt, was die US-Regierung für die Geheimhaltung zu opfern bereit ist
Eines Nachmittags im Jahre 2009 war der US- Botschafter in Tunesien bei Mohamed Sakher el-Materi zu Gast, dem Schwiegersohn des damaligen Präsidenten. Weder die dargebotenen Speisen – Jogurt und Eiscreme wurden extra aus St. Tropez eingeflogen – noch die Räumlichkeiten ließen auch nur im Geringsten etwas zu wünschen übrig. In einer Depesche, die durch WikiLeaks an die Öffentlichkeit kam, notierte der Diplomat: „Das Haus wurde vor kurzem renoviert und verfügt nun über einen Infinity-Pool … Überall stehen antike Kunstwerke herum: Römische Säulen, Fresken und sogar ein Löwenkopf, aus dem Wasser in den Pool fließt. Materi hat behauptet, die Stücke seien alle echt.“ Gemessen an den ärmlichen
hen tunesischen Lebensverhältnissen war ganz besonders anstößig, dass El-Materi einen Tiger besaß, an den er jeden Tag vier Hühner verfütterte. Öl ins FeuerDas diplomatische Corps der USA in Tunis war sich über die gesellschaftliche Brisanz im Klaren. In einem Kabel aus dem Vorjahr findet sich das Urteil: „In Anbetracht wachsender Inflation und Arbeitslosigkeit sind die Zur-Schau-Stellung von Luxus und Reichtum sowie die unaufhörlichen Korruptionsgerüchte Öl ins Feuer.“ Das hinderte die USA allerdings nicht daran, den tunesischen Autokraten Ben Ali weiterhin zu unterstützen, schließlich hielt man ihn für einen verlässlichen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus und gab einer zuverlässigen Diktatur allemal den Vorzug vor einer unberechenbaren Demokratie – dies natürlich nur so lange, bis die Tunesier ein paar Monate nach den Wiki-Leaks-Enthüllungen auf die Straße gingen, Ben Ali zum Teufel jagten und eine Welle von Aufständen in der Region auslösten. WikiLeaks hat diese Aufstände nicht verursacht, doch die Enthüllungen haben ihnen zusätzliche Nahrung gegeben. Es wurden Einzelheiten über Korruption und kleptokratische Praktiken publik, die die Menschen schon lange vermutet hatten, ohne sie beweisen zu können. Als sie auf die Straße gingen, bezogen sie sich auf sie. Gleichzeitig zeigten sie die eklatante Diskrepanz auf, die sich zwischen den Werten, zu denen der Westen sich bekennt, und seiner tatsächlichen Außenpolitik auftut: Nachdem man der arabischen Welt jahrelang Vorlesungen in Sachen Demokratie gehalten hatte, wurden nun Demonstranten mit Waffen und Tränengas aus dem Westen von Soldaten, die von westlichen Beratern ausgebildet worden waren, unterdrückt.Manning droht lebenslange Haft Nun steht Bradley Manning, der junge Mann, der die diplomatischen Depeschen und Berichte an Wikileaks weitergeleitet hat, vor einem Militärgericht in Maryland. In zehn der gegen ihn erhobenen Anklagepunkte hat er sich schuldig bekannt. Das allein würde ihn bereits für 20 Jahre hinter Gitter bringen. Doch die Armee hat 22 Anklagepunkte gegen ihn gesammelt, zu denen auch Spionage und „Unterstützung des Feindes“ zählen. Wird er für schuldig befunden, kommt er sein Leben lang nicht mehr aus dem Gefängnis heraus. Zu der Zeit, als der die diplomatischen Depeschen und militärischen Berichte veröffentlichte, schrieb Maninng: „Ich will, dass die Leute die Wahrheit erfahren …. egal, wer sie sind. Denn ohne Informationen, kann eine Öffentlichkeit keine informierten Entscheidungen treffen.“ Er hoffte, durch die Veröffentlichung der Dokumente eine „weltweite Diskussion“, Debatten und Reformen“ anstoßen zu können. Wenn die Leaks die heuchlerische Behauptung offenbaren, die USA würden die Demokratie in die Welt exportieren, dann illustriert die Art von Mannings Inhaftierung und strafrechtlicher Verfolgung nun, wie weit es mit dem Schutz von Freiheit und Sicherheit im Inneren der USA her ist. Mehrmals wurde er fünf Monate am Stück während 23 Stunden am Tag in einer winzigen Zelle in Einzelhaft gehalten, musste zwei Monate lang nackt in einen Anti-Suizid-Kittel schlafen und wurde in der Zeit, in der er als selbstmordgefährdet galt, dreimal pro Nacht aufgeweckt. Nachdem er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, sprach der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan Ernesto Méndez, im vergangenen Jahr von einer „grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung“. Sein Fall zeigt, wie sehr im Kampf gegen den Terror Geheimhaltung nicht nur den Vorzug vor Transparenz, sondern auch vor der Menschlichkeit erhält. Das wird klar, wenn man sich eine der explosiveren Veröffentlichungen in Erinnerung ruft – das Video, auf dem unter anderem zu sehen ist, wie zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters von einem amerikanischen Apache-Hubschrauber im Irak erschossen werden. Sie gehörten zu etwa einem Dutzend Menschen, die in einer Gegend umherliefen, in der US-Soldaten mit Handfeuerwaffen angegriffen worden waren. Die Soldaten hielten die Kamera der Journalisten für eine Waffe und nahmen sie unter Beschuss. Mehrere Menschen starben, einige wurden schwer verletzt. Vor der Verantwortung drücken„Sieh dir diese toten Scheißkerle an“, sagt einer der Piloten, „prima“, erwidert der andere. Als ein Van ankommt, um die Verwundeten aufzunehmen, nehmen sie auch diesen unter Beschuss und verletzten zwei in dem Fahrzeug befindliche Kinder. „Nun, es ist ihre Schuld, ihre Kinder mit in die Schlacht gebracht zu haben“, sagt einer der Piloten. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass sie nicht hätten wissen können, auf wen sie da schossen. Es wurden keine disziplinarischen Maßnahmen ergriffen. Als Reuters versuchte, unter Berufung auf den Freedom of Information Act eine Kopie des Videos zu bekommen, wurde die Anfrage abgelehnt. Ohne Manning wäre es nie an die Öffentlichkeit gelangt. Die Männer, die Unschuldige getötet und mit ihrer Tat den Krieg der Amerikaner weiter in Misskredit gebracht haben, sind frei und können ein weiteres Mal töten, während der Mann, der ihr Vergehen öffentlich gemacht hat, hinter Gittern sitzt und angeklagt wird, den Feind unterstützt zu haben. In dieser Welt ist nicht Mord das Verbrechen, sondern seine Aufdeckung und die Verbreitung des Beweismaterials. Wer behauptet, Mannings Veröffentlichung habe seine Kameraden in Gefahr gebracht, der verhält sich ein wenig so wie der Ehebrecher, der behauptet, die Beziehung habe gefährdet, dass die Gattin sein Tagebuch las – nicht seine Untreue. Man zieht es vor, sich vor der Verantwortung zu drücken und gibt die Schuld demjenigen, der die Tat öffentlich gemacht hat. Man braucht bei all dem Manning oder WikiLeaks nicht zu verklären. Während noch niemand glaubhaft den Nachweis erbringen konnte, dass eine der veröffentlichten Informationen auch nur einen einzigen amerikanischen Soldaten in größere Gefahr gebracht hat, als er durch die Besetzung eines fremden Landes ohnehin schon war, war nicht alles, was veröffentlicht wurde, so belastend wie der Apache-Vorfall oder so aufschlussreich wie die tunesischen Kabel. Bei vielem handelt es sich um die Routine-Berichte von Diplomaten an ihre Vorgesetzten – Kanäle die, für diejenigen von uns, die die Diplomatie dem Krieg vorziehen, durchaus schützenswert sein sollten. Die Möglichkeit, die Doppelmoral offenzulegen, muss gegen den möglichen Schaden abgewogen werden, den man Diplomatie und Hinterzimmer-Gesprächen antut, die unter vielem anderen den Friedensprozess in Nordirland als auch die Freilassung Nelson Mandelas möglich gemacht haben. Es geht hier nicht allein um Manning. Es geht um eine Regierung, die von Geheimhaltung besessenen ist und mehr Whistleblower verfolgt hat als alle ihre Vorgänger-Regierungen zusammengenommen. Und es geht darum, dass die Enthüllung von Kriegsverbrechen kriminalisiert wird, während die Kriegsverbrecher weiter frei herumlaufen. Wenn Manning ein Staatsfeind ist, dann ist die Wahrheit auch einer.
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