Die Krise der Blogger

Debatte Bei Facebook posten, statt bloggen? Nein! Nur konfliktscheue Menschen können bei Facebook glücklich werden
Sind Blogs etwa von gestern?
Sind Blogs etwa von gestern?

Fotomontage: Mike Licht

Sascha Lobo hat es getan. Johnny Haeusler hat es getan. Die beiden Altstars der deutschen Netzkultur haben die Internet-Community unlängst dazu aufgerufen, aus den sozialen Netzwerken heraus „ins Offene“ zu kommen und wieder „als freie Menschen“ zu bloggen. Ihre fast flehentlichen Aufrufe sind ein Indiz dafür, dass die Luft in der Blogosphäre dünner geworden ist. Selbst prominente Leitartikler stellen aufatmend fest, die aufmüpfigen Blogs hätten ihre beste Zeit wohl hinter sich. Ist Bloggen ein Auslaufmodell?

„Ein Blog“, so der Internet-Pionier Dave Winer, „ist die unredigierte Stimme einer Person“. Spiegelt ein Blog „das Ergebnis eines Gruppenprozesses, in dem man sich lieber bedeckt hält und Konfrontationen vermeidet, dann ist es keins.“ Ein Blog ist also charakterisiert durch persönliche Färbung, Offenheit, Mut und die Bereitschaft zum Konflikt. Laut einer Studie von ARD und ZDF nutzen inzwischen 43 Prozent aller Internetuser soziale Netzwerke, aber nur acht Prozent bloggen. „Warum ist das so?“, fragt sich die Bloggerin Antje Schrupp und gibt die Antwort gleich selbst: „Ich behaupte, dass der Grund gerade der ‚bevormundende‘ Ansatz von Facebook ist.“

Soziale Netzwerke wie Facebook und Google+ machen es ihren Nutzern leicht und bieten im Vergleich zu Blogs enorme Vorteile. Etwa eine größere Effizienz. Der Facebook- oder Google-Kunde kann unerwünschte Personen ausgrenzen und sein Publikum ohne Zeit- und Streuverluste erreichen. In dieser „Filterblase“ schreibt es sich angenehmer und bequemer als in einem öffentlich zugänglichen Blog, bei dem man doch stets etwas das Gefühl hat, des Nachts in einem erleuchteten Schaufenster zu sitzen.

Alles beherrschbar

In sozialen Netzwerken exponiert man sich nicht so schutzlos wie in einem Blog. Man verbringt seine Zeit in einem umzäunten Gehege, in einer Art „Club Robinson“ des Internets: Alles ist beherrschbar. Man braucht sich keiner offenen Debatte zu stellen, ja, man muss sich nicht einmal sonderlich anstrengen. Antje Schrupp: „Für ein neues Blog Aufmerksamkeit zu bekommen, ist heute viel schwerer als vor drei, vier Jahren. Und Mitdiskutieren in den Kommentaren? Meine Güte, reihenweise Bloggerinnen machen neuerdings ihre Kommentare wieder zu, weil sie den ätzenden Tonfall, der dort normalerweise herrscht, selbst nicht ertragen.“

Auf Facebook oder Google+ ist es auch nicht nötig, eine eigene Form oder einen eigenen Stil zu finden, denn alles ist vorgegeben. Die Einstiegs-Hürden und Anforderungen sind niedrig. Das kommt den Couch-Potatoes des Internets in ihrem Neobiedermeier entgegen. Ein Blog gleicht eher einer zugigen Haltestelle als einer Wohlfühlnische. Zum konstatierten Rückzug der Blogs trägt aber noch eine deutsche Besonderheit bei: Anders als in Frankreich, wo das Bloggen den „großen Egos“ und der Tradition des aufbrausenden öffentlichen Debattierens entgegenkommt, anders auch als in den USA, wo die hemmungslose „Selbstverkaufe“ in den Blogs nie auf missbilligende Ablehnung stieß, zählten Zurückhaltung, vorwurfsvolle Skepsis und die Urheberrechte in Deutschland zu den garantierten Spaßbremsen.

Doch es gibt bei den Bloggern auch eine Mitschuld: Ihr elitäres Gehabe gegenüber Anfängern, die Vernachlässigung der gegenseitigen Unterstützung und die unzulängliche Moderation in den Kommentarspalten haben die deutschen Blogger ziemlich einsam werden lassen – und ihre großen Egos in die Arme der Altmedien getrieben.

Wolfgang Michal findet man auf carta.info

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Geschrieben von

Wolfgang Michal

Journalist; Themen: Umbrüche & Entwicklungen

Wolfgang Michal

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