Seit dem 4. April, 0.05 Uhr, enthüllt ein exklusives Medien-Konsortium die skandalösen Praktiken zahlreicher Steueroasen. Grundlage der Berichte, die unter dem Namen „Offshore-Leaks“ um die Welt gehen, ist eine Festplatte. Sie enthält rund 260 Gigabyte Daten über 130.000 Steuervermeider aus 170 Ländern. Doch wie kam es zu diesem Datenleck, und wer hat die Informationen „verraten“?
Spricht man mit den Beteiligten, so erfährt man eine hübsche Geschichte. Ob sie stimmt, weiß man freilich nicht, denn es gehört zur Berufsehre aller Enthüllungsjournalisten, ihre Quellen zu schützen. Würden sie das nicht tun, bekämen sie keine Informationen mehr, und das Geschäftsmodell wäre zerstört.
Die Vorgesc
und das Geschäftsmodell wäre zerstört.Die Vorgeschichte zu Offshore Leaks geht so: Der australische Investigativreporter Gerard Ryle war einem Riesenskandal auf der Spur. Er recherchierte die Erfolgsstory eines Unternehmens, das behauptete, eine „magische Pille“ entwickelt zu haben: Werfe man die in den Tank eines Fahrzeugs, verbrenne der Motor den Treibstoff wesentlich effektiver. Die australische Regierung förderte das Unternehmen, die Botschaften des Landes verkündeten die technische Sensation in der ganzen Welt. Im Gegenzug spendete der Chef des Unternehmens, Tim Johnston, Geld an die Partei des Premierministers und sponserte bekannte Rugby- und Basketball-Teams.Nur eine Handvoll LeuteDie öffentliche Aufmerksamkeit half dem Unternehmen dabei, zig Millionen Dollar bei neugierigen Anlegern einzusammeln. Johnston investierte das Geld aber nicht in die Firma, sondern verschob es auf die British Virgin Islands. Seine Wunder-Firma „Firepower“ blieb ein Potemkinsches Dorf. Im Jahr 2007 ging Johnston bankrott. Doch der Nachweis seiner Machenschaften gelang der australischen Finanzaufsichtsbehörde erst, als im Februar 2009 Dateien auftauchten, die den kompletten Email-Verkehr des Unternehmens enthielten. Kurz darauf erschien Ryles Bestseller Firepower. Der größte Betrug in der Geschichte Australiens.Was hat das mit den Offshore-Leaks zu tun? Die ominöse Quelle, die jene 260 Gigabyte angeblich per Post verschickte, soll Ryles Berichterstattung in Sachen Firepower genau studiert haben. Das Vertrauen, das dabei entstand, habe die Quelle letztlich bewogen, Ryle – und keinem anderen – die Offshore-Daten im Jahr 2010 oder 2011 zu übergeben. So berichtet es ein Beteiligter.Im September 2011 wurde Ryle Direktor des in Washington ansässigen „Internationalen Konsortiums für Investigativen Journalismus“, kurz ICIJ. Nun hatte Ryle die Ressourcen, den Medien-Scoop als globale Enthüllung zu planen. Zusammen mit Daten-Forensikern und dem innersten Kreis des ICIJ machte er sich an die Arbeit. Eine Handvoll Leute bestimmte, wer am Scoop teilhaben sollte, welcher Aufwand an Geheimhaltung angemessen war und wie generalstabsmäßig die „Operation Offshore Leaks“ ablaufen sollte.Nur die Promis ans Messer geliefertDie erste Veröffentlichungswelle am 4. April glich einem Tsunami. Rund um den Globus wurde getickert, es handle sich um das größte Daten-Leck aller Zeiten, größer noch als die US-Botschaftsdepeschen, die WikiLeaks 2011 veröffentlicht hatte. Doch anders als die Konkurrenz habe man die Daten mit größter Sorgfalt geprüft und ausgewählt. Das ICIJ nahm also für sich in Anspruch, darüber zu entscheiden, wer von den 130.000 Steuervermeidern strafrechtlich verfolgt werden sollte – und wer nicht.Man entschied weniger nach moralischen Maßstäben als nach der Verwertungslogik des Mediengeschäfts. Auflagen steigernd waren vor allem die spektakulären Fälle: die Minister, die Despoten, die Promis. Harmlose Zahnärzte aus Husum, die ein paar Millionen Euro in Offshore-Trusts vergraben hatten, wollte man nicht ans Messer liefern.Finanzbehörden hatten die Daten vorherNach der ersten Medienwelle, deren Höhepunkt in Deutschland die Offshore-Verstrickung des verstorbenen Playboys Gunter Sachs war, setzte Ernüchterung ein. Der Schweizer Journalist René Zeyer entdeckte im neuen „Gigabyte-Gigantismus“ der Datenjournalisten viel „heiße Luft“. Er ging sogar so weit, den Scoop als „Presseskandal“ zu bezeichnen.Inzwischen hatten die Enthüllungsmedien nämlich kleinlaut eingestehen müssen, dass die Finanzaufsichtsbehörden Australiens, Großbritanniens und der USA die Offshore-Leaks-Daten bereits seit drei Jahren besaßen – sie hatten sogar mehr Material als die Medien. Da wirkte die kurz zuvor gemachte Ansage der Süddeutschen Zeitung, sie werde die Daten auf keinen Fall dem Finanzminister übergeben, ziemlich peinlich.Zahlreiche Beobachter fragen sich nun: Was haben die Behörden drei Jahre lang mit den Daten gemacht? Woher wissen sie, dass es die gleichen Daten sind, die in den Medien-Tresoren liegen? Und warum haben sie überhaupt hinausposaunt, dass sie die Daten besitzen? Wegen des bevorstehenden G8-Gipfels, der die Steueroasen austrocknen will?Rätselhaft bleibt auch dies: Warum hat die Quelle die Daten 2010 sowohl an die Behörden als auch an Ryle gesandt? Wusste Ryle von der Doppelverwertung, hat ihn die Quelle getäuscht oder stammt sie vielleicht selbst aus dem Umfeld jener Behörden, die im Zuge der Firepower-Ermittlungen auf die Offshore-Daten stießen? Vieles spricht dafür, dass die Daten als Kollateralnutzen der Ermittlungen im Firepower-Fall zum Vorschein kamen. Was wiederum die Frage aufwirft, ob Enthüllungsjournalisten hier unfreiwillig zu Erfüllungsgehilfen staatlicher Interessen wurden.