Die Welt und der Versuch, eine schwarze Ikone zu demontieren

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Wie die Welt den 30. Todestag von Bob Marley nutzt, um die Ressentiments ihres Klientels zu bedienen

Es ist schwierig, 30 Jahre nach ihrem Tod einen ausgewogenen Rückblick auf das Wirken einer nahezu religiös verehrten Lichtgestalt zu werfen. Ihre reale Existenz ist noch zu sehr in der Gegenwart, aber man war im Zweifel nicht selbst dabei, kennt weder die Person noch die Reaktion anderer Menschen auf ihr Wirken zu ihrer Zeit. Zudem gehört es zu ihrem Wesen, dass ihr Wirken entweder schon zu Lebzeiten oder spätestens nach ihrem Tod maßlos verklärt wird, so dass sich „Wahrheiten“ kaum noch finden lassen. Und letztendlich sind oft die symbolischen Bedeutungen dieser Lichtgestalten deutlich wichtiger als ihre reale Person. So strotzen viele der Rückblicke auf den 30. Jahrestag des Todes von Reggae-Legende Bob Marley nur so von Klischees.

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Normalerweise werden in derartigen Texten – durchaus auch kritisch – die Leistungen der Person betrachtet, ihre gesellschaftlichen Auswirkungen und vielleicht eine neue historische Perspektive hinzugefügt, um nicht immer wieder die gleichen Sachen wiederzukäuen. Bei der Tageszeitung Die Welt ist man jedoch ganz andere Wege gegangen, um vermeintlich neue Aspekte zu finden: Man hat auf die Darstellung jeglicher Verdienste der besprochenen Person verzichtet, dafür aber einfach alle Kritikpunkte an der jamaikanischen / Rastafarikultur / Popkultur zusammengeworfen und sie völlig undifferenziert und ohne sie konkret zu verifizieren auf Bob Marley projiziert.

Schon die ersten Sätze zeigen, dass der Autor Michael Pilz zwar recht frei von Kenntnis der Sachlage ist (Bob Marley sei erst nach seinem Tod zur Ikone geworden – das war er bereits zu Lebzeiten), und es auch nicht für nötig hält, Behauptungen zu belegen (Marley sei größer als John Lennon – das stimmt, wenn dann, nur global gesehen). Der Text mit dem Titel Er war ein Heiliger ohne Gnade will weit mehr, als mit einem simplen "Mißverständnis der Popkultur" aufräumen. Das klare Ziel: Bob Marley als Ikone komplett zu demontieren und seine Bewunderer mitsamt ihren Idealen als fehlgeleitete Idioten dastehen zu lassen. Warum gerade Bob Marley? Angriffsziel Nr. 1 ist das linke, ohnehin ein wenig lächerlich wirkende Milieu, aus dem sich die Marley Fans vermeintlich zusammensetzen, „das Milieu der Eine-Welt-Läden, der sexuellen Toleranz, der Spiritualität und der verfilzten Haare“, Angriffsziel Nr. 2: die neben Fela Kuti einzige schwarze, nicht aus dem Westen stammende Ikone der Popkultur, die auch und gerade in der nichtwestlichen Welt einen hohen Identifikationswert hat (was der Autor wie vieles andere kurzerhand unterschlägt). Beides passt bestens ins Feindbild des konservativ bis rechten und nicht selten auch massiv rassistischen Springer-Blatts, das sich unter dem Mäntelchen „seriöse Presse“ versteckt.

Marley wird zunächst persönlich auf seine vermeintlichen oder tatsächlichen miesen Eigenschaften reduziert: Er sei mit den Frauen umgegangen wie mit seinen Musikern – das heißt natürlich schlecht. Da laut dem Autor alle Rude Boys, wie Marley damals einer war, habituell ihre Frauen schlugen, wird impliziert, dass auch Marley das tat. Selbst wenn es ansatzweise so stimmen sollte, und das natürlich zu verurteilen ist – diesen Vorwurf kann man einem Großteil auch der weißen Rock'n'Roller machen. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass solche Bemerkungen den Grundtenor eines vergleichbaren Textes über Mick Jagger, David Bowie oder auch John Lennon ausmachen, die auch weder Kinder von Traurigkeit waren und zumindest teilweise, soweit nachvollziehbar, auch sehr zweifelhafte Frauenbilder haben / hatten.

Dann beglückt uns der Autor – wieder unbelegt – mit der küchenpsychologischen Weisheit, dass Marley „ehrgeizig und machtbewusst“ gewesen sein. Ja, das sind die meisten Menschen, die in irgendwelche Spitzenpositionen kommen – da redet nur kaum jemand drüber, selbst wenn sie extrem unzimperlich mit ihren Mitmenschen umgehen. Und generell ist es ja auch erstmal nichts Negatives, „ehrgeizig und machtbewusst“ zu sein - nur in dem Kontext erscheint es wie ein Kapitalverbrechen.

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Nicht genug mit Frauenverachtung: Marley hasste selbstverständlich auch Schwule, meint der Autor. So ist er eben, der Jamaikaner. Natürlich gibt es derzeit in Jamaika – allerdings nicht nur nicht nur da - ein besonderes Problem mit Schwulenhass, der nicht gerechtfertigt werden soll, der seine Wurzeln ganz klar in Christentum, Sklaverei, Rassismus und der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation hat. Aber der Autor macht den „rüden Reggae“ verantwortlich, und wie jeder Musiker der Stilrichting hätte auch der „junge Marley im Gesang die Todsünde der Homosexualität“ gegeißelt. Mir ist kein Song bekannt, in dem er das tut. Ein Reggae-Experte, der sich auch mit der Homophobie im Reggae beschäftigt hat, meint, es gäbe eine Textzeile: "Man to Man is so unjust" (in dem Song geht es allerdings um zwischenmenschliche Konflikte) - eine in monotheistischen Religionen leider sehr weit verbreitete Ansicht. Da muss man bloß mal einen Blick auf das Milieu der Welt-Leser/innen werfen, die sich ja eigentlich moralisch überlegen fühlen sollen.

Der Autor hat auch eine Erklärung dafür, dass Marleys vermeintliche Homophobie nicht bekannt ist: Der weiße, in Jamaika aufgewachsene Brite Chris Blackwell, Gründer des Island-Labels, habe den aufstrebenden Popstar vor der Veröffentlichung seines ersten Albums für den internationalen Markt, Catch a Fire (1973), darauf aufmerksam gemacht, „dass Weltstars keine Schwulen ausgrenzen und Frauen achten.“ Bloss gut, dass er das gemacht hat, soll man hier wohl denken, von alleine wäre der „Sünder“ Marley nicht auf die Idee gekommen. Abgesehen davon, dass es keine Belege für eine besondere Schwulenfeindlichkeit des jungen Marley zu geben scheint und von der Misogynie in diversen Rocksongs gar nicht die Rede sein soll, wird das Image eines jeden Rockstars aufpoliert, wenn er / sie für den internationalen Markt fit gemacht wird. Und Marley wurde von seiner britischen Plattenfirma zum „herzensguten Botschafter der dritten Welt“ stilisiert – eine weiße, westliche Projektion -, um da gute Umsätze zu garantieren, wo das Geld saß. Afrikaner/innen, schwarze Amerikaner/innen und andere nichtweiße Menschen, die ihn verehren, haben ein ganz anderes Bild: Für sie ist er das Sinnbild des kulturellen Widerstands gegen die westliche Dominanz.

Die Mühe, auf kulturelle Hintergründe und Kontexte einzugehen macht sich der Autor generell nicht. Darum geht es auch gar nicht. Aber er muss natürlich darauf hinweisen, dass es sich bei den in der Rastafari-Religion verehrten realen Männern um historisch durchaus zweifelhafte Persönlichkeiten handelt: Haile Selassie, den letzten äthiopischen Kaiser, der als der schwarze Messias ausgerufen wurde, charakterisiert er mit den Worten: „Ein selbstherrlicher Modernisierer in Fantasieuniformen, der sich 1974 demonstrierenden Studenten, hungerleidenden Bauern und Militärs beugen musste und geheimnisvoll verschied.“ Abgesehen davon, dass Selassie 1930, zur Zeit der Gründung der Rastafari-Religion und damit genau passend, gerade erst an die Macht kam, war Äthiopien verdammt weit weg von Jamaika, noch weiter für Leute mit sehr beschränktem Zugang zu irgendwelchen Medien. Er eignete sich also prima als völlig leere Projektionsfläche – er war nur schwarz, Christ, aus dem zum gelobten Land stilisierten Äthiopien und sogar noch dessen frisch gekrönter Kaiser. So funktioniert das mit der Religion.

Die zweite Gallionsfigur der Rastafaris ist Marcus Garvey, ein jamaikanischer Drucker, der die verlorenen (oder besser geraubten) Kinder Afrikas aus Amerika wieder in die Heimat bringen wollte. Zu ihm weiß der Autor folgendes zu sagen: „Ein Schwarzer, der die Rassentrennung predigte, sich mit dem Klu-Ku-Klux-Klan verbündete und einen schwarzen König prophezeite, den Messias.“ Die Idee mit der Rassentrennung kam allerdings nicht von Garvey – jahrhundertelang hatten sich die Weißen zur Herrenrasse erklärt und die Sklaverei in den Amerikas damit begründet. Da einfach mal den Spieß umzudrehen und die Schwarzen zu den Besseren zu erklären ist sicher genauer durchdacht nicht die Lösung, aber eine naheliegende Idee zur Erhebung des eigene geschundenen Selbstwertgefühls, die sich leider bis heute in der Nation of Islam fortsetzt.

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Garvey sah sich zum Propheten der Rastafari-Religion berufen, die sich zu einer Zeit entwickelte, in der auch in der Westlichen Welt – allerdings sekuläre - radikale Massenbewegungen en vogue waren. Sie entstand vor dem Hintergrund von Generationen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft unterdrückter Menschen, denen ihre eigene Kultur genommen und der Zugang zu Bildung verwehrt wurde. Hier wurden fundamentalistisches Christentum mit Elementen diverser afrikanischer Glaubenslehren zusammengemischt und als eine Art Befreiungsideologie und eigene kulturelle Identität entwickelt.Wenn heute im Westen weiße Menschen 1:1 das übernehmen, was diese Religion lehrt, wirkt das zu recht lächerlich und naiv (wobei das bei der christlichen Bibel auch nicht anders ist). Und wenn man genau überlegt, sind überzeugte Rastafari-Anhänger/innen, die nicht nur einfach universelle ideelle Botschaften aus der Religion ziehen, auch nicht bizarrer als Mormonen oder Evangelikale und andere Fundamentalisten – nur haben sie meines Wissens nach als einzige andere Leute zufrieden gelassen.

Ach ja, und dass er Rastafari nur in verwässerter Form präsentierte wird Marley auch vorgeworfen – dass das vielleicht wie bei anderen Popstars vielleicht auch nur Teil der Verkaufsstrategie war, geht nicht. Natürlich kann man argumentieren – und ich sehe das auch so – dass Marley (mitsamt der Reggae-Musik) aufgrund seiner Bedeutung jenseits des westlichen Popkosmos eine besondere Rolle einnimmt. Aber das eben aufgrund dessen, was er im Positiven symbolisiert – simple Dinge wie Liebe, Völkerverständigung, kulturelle Identität - , und nicht, weil er eben auch nur ein ganz normaler Mensch war. Und selbst dem Menschen Marley bringt uns der Text, auch wenn es er vorgibt, kein Stück näher. Die vermeintliche (feindliche) Annäherung entpuppt sich als ein zusammengewürfelter Haufen von klischeemäßigen Behauptungen zu seiner Person und aus dem Zusammenhang gerissenen historischen und politischen Tatsachen, die einzig dem Zweck dienen, die rassistischen und konservativen Ressentiments der anvisierten Welt-Klientel zu bestätigen und die Käufer/innen bei der Stange zu halten.

Bildquellen: Wikipedia / Screenshot Marley-Fanshop

Text in Die Welt:

Er war ein Heiliger ohne Gnade - Michael Pilz
Original bei Popkontext

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Geschrieben von

Popkontext

Journalistin, Bloggerin, DJ, Fotografin - Kultur, Medien, Politik, Sprache // Websites: popkontext.de / wortbetrieb.de

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