Die Frage hat in der Industriellenfamilie mittlerweile Tradition. Der Conseil Constitutionnel, das französische Verfassungsgericht, stellte in seinem Urteil (n° 2004 – 19 I vom 23. Dezember 2004) fest, dass er „seit 1958 erst ein einziges Mal wegen der Gesamtheit der Tätigkeiten eines Parlamentariers angerufen worden ist; dieser einzige Präzedenzfall geht auf das Jahr 1977 zurück und betraf Herrn Marcel Dassault, Vater von Herrn Serge Dassault.“ Wie 2004 wurde der heutige Patriarch auch in einem neuerlichen Verfahren 2009 von dem Verdacht des Interessenskonflikts frei gesprochen (Entscheidung n° 2009 – 27 I vom 18. März 2009).
Der rote Faden der Entscheidungen: Die Regeln über den Interessenkonflikt seien eng auszulegen, da sie in das fundamentale Recht der Wählbarkeit eingreifen. Das Gesetz regle zwar die Ausübung bestimmter Funktionen innerhalb eines Unternehmens oder in seinen Filialen, nicht aber im Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. Die Stellung des Senators in der Familienholding Groupe Industriel Marcel Dassault hätte daher außer Betracht zu bleiben. Und: „Es ist nicht die Aufgabe des Richters, dem Schweigen des Gesetzes abzuhelfen“. Ein klarer Auftrag an die Legislative, dem bis heute nicht nachgekommen worden ist.
Dass das französische Recht in Sachen politisch sich auswirkender Interessenskonflikte die in der Wirtschaft üblichen Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge und damit den Konzern nicht kennen will, hat seine Entsprechung in den Entscheidungen in Italien zu Silvio Berlusconi. Zwar wurde das betreffende Gesetz von 1957 (D.P.R. 361/1957) im Jahr 2005 verändert, nicht aber die ursprünglichen Normen zur Nichtwählbarkeit aufgrund privatwirtschaftlicher Betätigung in Staatsnähe. Nachdem Berlusconi Mehrheitsaktionär der größten privaten Mediengruppe in Italien unter Federführung von Mediaset und Fininvest war, nicht jedoch deren gesetzlicher Vertreter, entschied die zuständige parlamentarische Kommission 1994 zugunsten der Wählbarkeit des Abgeordneten. Damit war der Weg Berlusconis an die Spitze der Exekutive geebnet. Auch hier ist die Frage nach dem wahren wirtschaftlichen Eigentümer und damit Interessenten in einem sonderbaren Kontrast zur Wirklichkeit, nämlich zur tatsächlichen Ausübung wirtschaftlicher Macht entschieden worden.
Serge Dassault hat damit so wenige Probleme, wie er es als selbstverständlich ansieht, Herr im eigenen Haus zu sein. 2008 beklagten sich Redakteure beim linksliberalen Konkurrenten Le Monde (Titel: „Die Redaktion des Figaro prangert die Allgegenwart von Dassault an“): „Wir haben nicht mehr das Recht, kritisch über die Länder zu berichten, in denen Dassault seine Geschäfte macht und an die Nicolas Sakozy sich annähern möchte.“ Eine Klage die freilich auf doppelten Boden gefallen ist getreu dem Motto des Eigentümers, dass Zeitungen „gesunde Ansichten verbreiten“ müssten, weil „wir dabei sind, an linken Ideen zu krepieren“.
1. Der Angediente
2. Interessenskollisionen, die zum Normalfall wurden
3. Beste Werbung für sich und aus eigenem Haus
4. „Ein Projekt für Frankreich“