"Ok, ich bin ein Nazi."

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Lars von Trier hat in Cannes Dinge gesagt und damit für und wider heftige Reaktionen hervorgerufen. Wie so häufig leiden viele Positionierungen unter fehlender Kontextualisierung

Wenn Lars von Trier sagt, er wäre ein Nazi, dann meint er damit, dass er der Spross eines Deutschen ist. Allein diese Gleichstellung verdeutlicht die Art und Weise, mit der er die Dinge seines Lebens – in diesem Fall mit knapp 40 am Sterbebett der Mutter herauszufinden, dass "nicht ein Jude, sondern ein Deutscher" sein Vater ist – wahrnimmt und verarbeitet: mit Hilfe von Überspitzung und Provokation.

Letztere geht des Häufigeren über das für das Gegenüber Zumutbare hinaus. Es kommt nicht selten vor, dass Zuschauer das Kino lange vor dem Abspann eines seiner epischen Meisterwerke der auf das Wesentliche reduzierten Grausamkeit menschlichen Seins verlassen. Gleiches gilt für die ihm angedienten Schauspieler, denen die strapaziöse Arbeit mit dem Misanthropen aus Kopenhagen nicht selten zu der Einsicht verhilft, dass es ohne Lars von Trier doch besser geht.

Zu der gleichen Einsicht scheint man nun in Cannes gekommen zu sein. Und begeht damit unter Umständen einen Fehler. Nicht nur, dass sein Ausschluss im Hinblick auf den Verbleib seines Films im Wettbewerb (und die durchaus existenten Gewinnchancen) widersprüchlich wirkt und wohlmöglich folgenschwer wiegt – man stelle sich eine Ehrung mit ohne von Trier vor –, muss man sich doch fragen lassen, inwiefern man sich nicht darüber bewusst war, dass, wenn man Lars von Trier lädt, auch Lars von Trier bekommt: einen depressiven, zynischen, politisch nicht immer ganz korrekten Mann, dessen Filme man gerade für den daraus resultierenden und schonungslos zur Schau gestellten Hass auf das Scheusal Mensch liebt.

Dass er selbst sich in einigen Teilaspekten von Hitlers Charakter ebenso wie in dessen letzten Tagen im Bunker – oder vielleicht doch in der Darstellung des Bruno Ganz – wiederfindet, verwundert in Anbetracht seines Schaffens und vorangegangener Interviews genauso wenig, wie der daran angeschlossene Kontrollverlust in frotzelndem Geblödel. Es sind eben gerade diese Charakterzüge, die ihn so erfolgreich kontroverse Filme haben machen lassen.

Man kann sich also nach seinem Auftritt in all dem bestätigt sehen, was man eh schon von von Trier dachte, ein Judenfeind oder Nazi aber ist er seitdem genauso wenig wie zuvor. Das würde zu kurz greifen, denn die Verachtung, die von Trier pflegt, ist total und trifft im Zweifel jedermann. Das mag man ebenso wenig gutheißen wie seine Filme, ausladen (einladen) muss man ihn deswegen jedoch nicht.

Bemühte man die Bibel, wäre von Triers Sünde wohl die Ira, ein unnachgiebiger Zorn. Cannes aber ist einer feigen Superbia anheimgefallen, wenn es denkt, es könnte den bösen Mann von seinem bösen Werk trennen, um der artifiziellen Empörung – von der während des Auftritts wenig zu spüren ist, wenn Kirsten Dunst so wunderbar lächelt (s.o.) – zumindest ein wenig gerecht zu werden. Ohne Verzicht. Ohne Widerspruch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

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