Das Pyramidenspiel des Finanzsystems

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Den spanischen Banken fehlen 100 Milliarden Euro. Der spanische Staat wollte/sollte „einspringen und helfen“. Doch Spanien kann sich selbst nicht mehr am Kapitalmarkt bedienen, d.h. seinerseits neue Schulden aufnehmen. Also muss vielleicht bald der EFSF „einspringen“. Oder schon der ESM? Also auf jeden Fall weitere Euro-Staaten – die ihrerseits wenn nicht gleich Kredite, somit weitere Schulden, aufnehmen, so zumindest Garantien.

Ähnlich in Griechenland, ähnlich in Irland, wo 2008 der Staat beschloß, seinen Banken zu helfen, und sich somit selbst weiter immens verschuldete und an den Rand des Bankrotts begab. Eine schier unendliche Spirale der weitergeleiteten Verschuldung. Die dazu noch exponenziell wächst – denn trotz des einmaligen „Schuldenschnittes“ für Griechenland wurde in keinem der o.g. Fälle auf Zinsen und Zinseszinsen verzichtet.

Das eigentliche Problem sind jedoch weder die Zinsen und Zinseszinsen, noch die Praxis der Kreditaufnahme und des Schuldenaufnehmens. (Wobei man beides ethisch auch beanstanden könnte und sollte). Der Kern des Problems ist auch nicht „der Kapitalismus an sich“ (also die Idee und Wunsch, mittels Kapital Gewinne zu erzielen) oder „der Sozialstaat an sich“ (mehr ausgeben als man einnimmt).

Das eigentliche Problem ist, dass wir uns hier mit Schulden- und Kreditvolumina herumschlagen, die einem Geld (und somit Wert) entsprechen... das es gar nicht gibt! Die Schuldenspirale ist ein Pyramidenspiel, bei dem es langsam aber sicher zuende geht, und – siehe oben – man sich nun fragen muß, wer das „System“ wie lange in der temporären Illusion als „stabil“ oder überhaupt existenent aufrechterhalten kann.

Wer es nicht glaubt, braucht nur ab und zu die Naschrichten hören, wo regelmäßig von einer „Kernschmelze“ oder einem „Dominoeffekt“ der Finanzmärkte gewartn wird. In diesem Fall können wir den Politikern und Bankenchefs glauben: Die Strukturen sind wirklich so beschaffen, daß ein Riesensturz droht.

Die Sache ist schnell erklärt, egal ob man sich die Bilanz der eigenen Hausbank oder die volkswirtschaftlichen Statistiken ansieht:

In der Welt werden seit Jahrzehnten (wenn nicht Jahrhunderten...) viel mehr Kredite vergeben als Guthaben bereitgestellt wurden!!!

Die Funktion der Zinsen und Zinseszinsen verstärkt es bloß. Auch schlechtes Wirtschaften ist hier zweitrangig - egal ob es sich dabei um „Zocken der Banken“, „Ausufern des Sozialstaats“, „fehlende Steuermoral“, „Steuersenkungen“, „Korruption“ oder „immense Rüstungsausgaben“ handelt. Auch „Globalisierung“ und „fehlende Regulierung des Finanzsektors“ sind bestenfalls „Brandbeschleuniger“.

In der heutigen Welt – und damit meine ich ausdrücklich nicht nur den Finanzsektor (auch wenn dieser dabei am meisten profitiert) – wird es nicht nur gerne in Kauf genommen, es wird schlicht ausgeblendet oder verschwiegen, daß man ein System hat, indem mehr Geld als geliehen wird, als überhaupt vorher als (ob erarbeitetes oder geerbtes) Sparkapital in einer Bank hinterlegt wurde. Und ich rede hier nur von „gewöhnlichen Krediten“, denn die Dimension bei „kurzfristigen Finanzgeschäften“, wo ohne eigenes oder existierendes Kapital gedealt wird, ist noch gewaltiger.

Vielleicht bin ich naiv, vielleicht zu sehr (wert-)konservativ, doch es scheint mir irgendwie logisch, ethisch, aber auch wirtschaftlich nachhaltig – daß man nur soviel Geld verleihen kann, wieviel vorher zur Verfügung gestellt wurde.

Auch wenn ich das Schuldenmachen verabscheue und zu meiden versuche – es gibt durchaus volks- wie betriebswirtschaftliche Situationen, wo es sinnvoll ist, daß jemand, der Kapital hat, und es nicht zu nutzen weiß, jemanden anderen – der eine kapitalerfordende Unternehmung plant – dieses zur Verfügung stellt. Ob mit oder ohne Zins ist zweitrangig. Ebenso kann es Fälle geben, wo eine übergeordnete Instanz wie der Staat sinnvoll geborgtes Kapital einsetzen kann – und zwar besser, als viele einzelne Investoren. Beispiel Schienennetz oder Forschung.

Was wir allerdings derzeit erleben und leben ist ein Leben auf Pump, ist eine hurra-optimistische Vision „daß man die Schulden schon irgendwann in der Zukunft bezahlen wird.“ Irgendwann. Irgendwer. Jeder nicht 100% kapitalgedeckter Kredit ist somit bloß eine Wette auf Einnahmen aus einer (wirtschaftsprosperierenden) Zukunft. Daher das dogmatische Mantra vom „notwendigen Wirtschaftswachstum“. Da man sich auf ein System der ungedeckten Kredite eingelassen hat (und es so weiter tun möchte), erhofft man sich, ja man fordert (von sich? von der Welt? von der zukunft? von Gott? von den Zentralbanken?) ein ungebrochenes, fortdauerndes Wirtschaftswachstum. Dieses „Wachstum“ als die Haupteigentschaft der Wirtschaft entblößt dieses System als Absurdum: Wer fragt noch nach dem „wie“, „wozu“, „für wen“ beim Wirtschaften? Hauptsache es wächst, damit man wenn schon nicht die Schulden selbst (so realistisch sind zumindest einige Politiker), so doch zumindest die Zinsen bezahlen kann.

Wie gesagt, es handelt sich um Geld, das zum Großteil gar nicht existiert. Es wurde zwar als Kredit vergeben, das heißt, die Banken haben es somit „gedruckt“, „produziert“ - denn es ist eine Legende, daß es alleine oder vorwiegend die Zentralbanken sind, die Geldschöpfung betreiben – doch es stehen dem keine oder unzureichende Einlagen, kein erspartes Kapital, kein erarbeiteter Wert gegenüber. Verwickelt in dieses muntere Schulden-auf-die-Zukunft-Machen sind nicht nur Staaten und Kommunen, nicht nur Groß- und Kleinbanken, sondern auch die meisten Unternehmen und eine große Zahl an Privatpersonen.

Am meisten erfreut dieses System die Banken – denn die können bis zu 9 mal so viel an Kreditvolumen vergeben, als sie Eigenkapital haben! Und auch für jeden nicht existierenden Kredit-Euro (leide existierende) Zins-Cents verlangen.

Auch Staaten freuen sich – so lange es zu laufen scheint, wie derzeit in Deutschland (das sich zu fast 0% Zins verschulden kann), bis vor ein paar Jahren auch in Spanien oder Griechenland. Dank Schulden können weitere Ausgaben als Wahlvolkfutter angeboten, und / oder als Unternehmens- und Vermögenköder die Steuern gesenkt werden.

Und auch die meisten Unternehmen nehmen den Kredit nicht nur als „Starthilfe“ auf – die Fremdfinanzierung bleibt ein fixer bestandteil deren Bilanzen, kaum einer denkt an Tilgung. Denn entweder sind die Zinsen so niedrig, die neuen Investitionen erscheinen so rentabel, oder... wenn es doch nicht klappt – ist eine plötzliche Insolvenz auch günstiger als ein langfristiges nachhaltiges Wirtschaften.

Schließlich leben auch wir „Privatmenschen“ von der Schuldenpyramide. Ob beim Eigenheimtraum, ob beim schicken neuen Leasingauto, oder auch beim überziehen des Girokontos – auch wir machen bei diesem Spiel oft genug mit.

Mir scheint, nicht mehr lange. Vielleicht noch hundert Jahre, vielleicht hundert Tage. Wer fällt als nächstes? Griechenland? Schlecker? Herr Müller? Der Euro? Der Kapitalismus?

Früher oder später zerbröselt und stützt die Schuldenpyramide, ich frage mich jedoch, ob man diese nicht schon früher selber ohne großem Krach und Verletzten auseinandernehmen könnte. Wie?

Etwa durch eine einzige Regel: die Kredit-Guthaben-Parität.

Kein Euro kann als Kredit vergeben werden, der sich nicht in einem Guthaben-Euro wiederspiegelt.

Das Einführen und Einhalten dieser Regel würde übrigens weder die Marktwirtschaft, noch den Kapitalismus, auch nicht den Zins in Frage stellen. Es würde sogar die Marktwirtschaft vom Finanzkapitalismus befreien und den Zins als einen realistisch Risikoaufschlag definieren.

Und die derzeitigen Schuldenberge, die alten Kredite? Die können von mir aus als warnendes Beispiel und lehrreiche Last bleiben. Bis sie abbezahlt sind. Einzige Bedingung, egal ob für Staaten, Unternehmen, Private: kein Schulden-, sondern ein „Zinsenschnitt“ und zwar auf 0%. Die Bank die als fröhlicher Kreditgeber gewirkt hat, kann sich dann aussuchen, was ihr lieber ist: volle Tilgung doch ohne Zinsen, oder eine Insolvenz des Schuldners.

Die Alternative heisst "weiter so wie jetzt", also - das Warten auf den nächsten Krach.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden