Also, ja

Tatort Less than lala: Der Leipziger Tatort "Schön ist anders" pflegt einen unbefriedigenden Privatismus, hat aber tolle Schauspieler inklusive des allertollsten Martin Wuttke

Die Martin-Brambach-Wochen gehen weiter. Der unbestrittene Darling der letzten Zeit hat in dem Leipziger Tatort: Schön ist anders, wie vom Vorgucker vorhergesagt, schon wieder einen Auftritt. Soll nur recht sein, denn Brambach beherrscht wie kein zweiter die Kunst nassforscher Dusseligkeit ("Ist was lustig?"). Hier darf er außerdem zeigen, dass er ernste Rollen auch spielen kann: Brambachs Uwe Fischer ist Herr in einem Hause, in dem vieles im Argen liegt. Frau Moni (Jule Böwe mit beeindruckender Maske) ist Alkoholikerin, arbeitet als – sagt man dem, wie es im Schweizerdeutschen heißt, eigentlich noch – Dispatcherin bei den lokalen Verkehrsbetrieben und ist von der dritten Abmahnung bedroht. Sohn Tobi (Philipp Gerstner) ist erst 17, aber ebenfalls schon in gesundheitsgefährdenden Promillebereichen aktiv.

Damit wäre das – einzige – Thema von gesellschaftspolitischer Relevanz schon benannt: Es ist der Alkoholismus, der den trockenen Keppler zu sozialpsychologischem Engagement motiviert. Allerdings, und das ist charakteristisch für die Folge, beschränkt sich der Umgang mit dem Thema auf den familiären Fall.

Wie überhaupt der Leipziger Tatort sich von dem, wofür der Tatort gehasst und geliebt, vor allem doch aber gebraucht wird, merkwürdig fernhält: Die Gesellschaft, die dort präsentiert wird, wirkt zumeist relativ steril und lebensfremd, zugezogenes Bürgertum, unhinterfragter Wohlstand, der sich in charmant gealterten Vorstandhäusern (hier: Fischers Domizil, zuletzt das von Familie Holst) selbst bei eher einkommensschwachen Gruppen zeigt. Die seltsame Entrücktheit von Wirklichkeit zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es in Leipzig immer nur Wohlstandsmigranten aus dem Westen zu geben scheint, Dialekt spricht diesmal immerhin andeutungsweise die junge und fesche Straßenbahnlenkerin Mandy (Susanne Bormann) sowie in gefälliger Ausprägung der Wirt vom Seestern, wo am Ende dann alles geschah. Gedealt wird mit der Wende, insofern Peter Kurth als Ossi firmieren und den Zusammenhalt beschwören muss.

Anschaulich wird der Leipziger Privatismus auch in dem Liebesverhalten seiner Protagonisten, das diesmal etwas Fahrt aufnimmt: "Sono" Keppler (Martin Wuttke) verlustiert sich mit italienischen Herbergsbewohnerinnen, und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) flirtet den Arzt mit den unglaublichsten Augen an, der passender- oder unpassenderweise zur Problemlage der Folge, Dr. Holsten heißt ("Holsten knallt am dollsten"). Das immerhin ist mal zart inszeniert.

Man kriegt das Burgtheater nicht raus

Die Pfunde, mit denen in Schön ist anders gewuchert wird, finden sich auf der Besetzungsliste: neben Brambach, Bormann, Böwe und Kurth steht da auch die große Harfouch, die fehlbesetzt ist als Chocolatristinnen-Gattin des Mordopfers, weil Corinna Harfouch naturgemäß nie verlassen werden darf – und erst recht nicht von midlifecrisenden Männern, die ohne ihre Freiheit nicht leben können. Die Männerunstetigkeit verleitet die Simone-Thomalla-Figur zu Bemerkungen ("Die Herren suchen sich immer was Jüngeres"), die mit dem Simone-Thomalla-Image in echt (nach der Trennung vom älteren Macho Assauer in Love mit einem Jüngeren) korrespondieren.

Highlight der Folge sind aber, wie gewohnt, die Auftritte von Martin "Keppler" Wuttke. Bei dem lassen sich ähnlich wie bei unserem Freund Ulrich Tukur gewisse Standardsituation der Performance konstatieren: das dringliche Angrinsstarren eines Verdächtigen, den Saalfeld befragt; die arrogante Beiläufigkeit, ein Straßenbahnmodell versonnen zu betrachten und darüber eine Hammerfrage beziehungsweise -verdächtigung rauszulassen; der weltgrüblerisch-kalte Diss von Menzel (Maxim Mehmet), der sich kaum mehr in ein Zimmer mit Keppler traut; und nicht zuletzt, wenn einen ein übersprungshandelnder Verdächtiger gegen die Heizung schmeißt, einfach dort liegen zu bleiben statt aufzustehen. We call it Vollblutschauspieler. Man kriegt das Burgtheater aus Wuttke einfach nicht mehr raus. Aber es ist ja auch lustig.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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