Ein stabiler Rahmen für die imaginäre Bibliothek

Sachlich richtig Literaturprofessor Erhard Schütz befasst sich diesmal mit Arno Schmidt, dem Wetter und einer Literaturgeschichte

Das ist wahrlich ein Wackerstein – Josef Huerkamp über Arno Schmidts Steinernes Herz, über den literarischen wie kulturgeschichtlichen Klassiker bundesrepublikanischer West-Ost-Befindlichkeiten aus dem Jahre 1954: 925 Seiten! Und die sind randvoll mit Information. Zurecht nennt der Autor, ein Schmidt-Passionär härtesten Kalibers, sein Kommentarwerk eine Enzyklopädie. Nahezu jede einzelne Zeile ist kommentiert und adnotiert. Einstweilen nur Stichproben legen nahe: Es scheint Schmidts Werk hier an nichts zu mangeln! Aber auch ganz für sich genommen ist das ein Wunderbuch, ein surreales Wissenskaleidoskop. Sozusagen eine „Zyklopenmauer von Schnittenpaketen“ ­(siehe dort). Melden Sie es Ihrer nächstgelegenen Bibliothek!

Noch ein Großkaliber: Dieses Buch steht von den üblichen literaturwissenschaftlichen Satzwucherwerken so weit entfernt wie diese Kolumne hier von dessen Thema, dem Essay: Es ist eine wahrlich meisterliche Leistung, von intellektueller Prägnanz und glänzend geschrieben. Georg Stanitzek nutzt die Potenziale der Essayistik für eine hochwissenschaftliche Arbeit und erweitert zugleich – nicht einmal subversiv – den Horizont des Essays. Nun gehört Michael Rutschky („Plaudertasche“) ebenso dazu wie Enzensberger („Hebebühne“), Max Goldt, Stuckrad-Barre, Kathrin Röggla, Alexander Kluge und Helmut Höge dito. Alle die Virtuosen der Klugliteratur bekommen nun einen Platz in der Literaturgeschichte, von dem man sie so schnell, jedenfalls mit Argumenten, nicht wieder wird vertreiben können. Und die Leserinnen und Leser lesen auf 359 gediegen gestalteten Seiten zugleich noch eine raffinierte Denkkulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Neben Liebe und Tod dürfte das Wetter zu den wichtigsten Ereignissen der Literatur gehören. Wie im sonstigen Leben. Wolf Haas, seit seinem Buch übers Wetter vor 15 Jahren offenbar Experte desselben, meint in seinem Vorwort zurecht, dass heute das Wetter – ob Schurke oder Opfer dahingestellt – Held auf der Vorderbühne sei und nicht mehr wie einst hintergrundsmythischer Diener zur ­bürgerlichen Heldenzeugung. Einst, das meint den weiland „poetischen“ oder „bürgerlichen“ Realismus. Inzwischen auch einst, ­nämlich vor 40 Jahren, hatte der Schriftsteller F. C. Delius, damals noch nicht Büchnerpreisträger, sondern Doktorand von Walter Höllerer, am Motiv des Wetters in den realistischen Romane gezeigt, wie ­wenig realistisch, sondern stereotyp programmgesteuert sie waren. Dieser in ihrer trockenen Beweisführung noch immer bestens ­lesbaren, noch immer klugen ­Arbeit ist nun das Glück einer Wiederauflage geschehen. Das Glück, zeigt sich beim Wiederlesen, ist bei den Tüchtigen. Allewetter!

Bleiben wir bei der Literatur, bei ihrer während die Bundesrepublik bis heute akkumulierten Geschichte. Die ist inzwischen ziemlich lang und vollgestopft. Unter tausend Großseiten wird man wohl nicht drüber schreiben können. Ganze 128 kleine hat die Reihe dem Poeten und Literaturwissenschaftler Dirk von Petersdorff vorgegeben. Herausgekommen ist naturgemäß kein Nachschlagewerk, aber ein schlagendes Werklein, das nicht nur Bachelor-Studenten den Phrasenkompass einzunorden in der Lage ist, sondern auch dem professionellen und leidenschaftlichen Leser einen stabilen Rahmen bietet, seine imaginäre Bibliothek zu sortieren. Dazu dient dem Werk ein einfacher Kniff: Alle die vorgestelltenAutoren wollen gesellschaftlich wirken, das mag man gut finden oder nicht, aber man kann aus­machen, was sie im Auge haben und mit welchen Mitteln sie es zeigen wollen. Dass unendlich mehr fehlt als drin ist, ist kein Problem, denn die Kriterien werden offengelegt – und auf die kann man alle beziehen, die einem darüber hinaus einfallen. Man kann’s aber auch einfach zur ersten Orientierung lesen und wird daran nicht irre werden.

---

Die große Kartei. Enzyklopädie zu Arno Schmidts Roman „Das steinerne Herz“Josef Huerkamp edition t u. k 2011, 927 S., 86 €

Essay – BRDGeorg Stanitzek Vorwerk 8 2011, 359 S., 24 €

Der Held und sein WetterF. C. Delius Wallstein 2011, 221 S., 24,90 €

Literaturgeschichte der Bundes­republik Deutschland: Von 1945 bis zur GegenwartDirk von Petersdorff C. H. Beck Wissen 2011, 128 S., 8,95 €

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden