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Die Psychologie des Populismus

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Politik : Die Stunde des Präsidenten

Tschechiens Premier Topolanek ist gestürzt und die Zukunft des Lissabon-Vertrages wieder offen. Denn es ist durchaus möglich, dass der Senat in Prag nun Nein sagt.

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Europaparlamentarier wie der Sozialdemokrat Martin Schulz müssten zufrieden sein. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft ist nach dem Sturz von Premier Topolanek kaum mehr als ein Schatten ihrer selbst. Noch am Wochenende hatte Schulz Lust auf das saftige Urteil: Man habe es mit der schlechtesten EU-Führung aller Zeiten zu tun. Wie das die fragile Regierung in Prag aufgebaut und mit innenpolitischen Rückhalt versehen hat, kann man sich vorstellen. Schulz blieb bei seinen großen Tönen einen Verweis auf die epochalen Fortschritte schuldig, die es während der vorherigen EU-Präsidentschaft des Franzosen Sarkozy gegeben hat.

Premier Topolanek wird nun von Leuten des Kalibers Schulz zum gescheiterten und Tschechiens Präsident Václav Klaus zum feindlichen Europäer erklärt. Eine aufschlussreiche Sortierung: Die Meinung zum Lissabonner Vertrag entscheidet demnach über Zu- oder Aberkennung europäischen Bewusstseins. Die EU scheint postdemokratischer Zuchtmeisterei verfallen, die Dissidenten nach Herzenslust exkommuniziert. Zu Zeiten der Sowjetunion nannte man das Breschnew-Doktrin. Satelliten kreisen ums Zentrum und meiden die unerlaubte Entfernung. Ein übertriebener Vergleich?

Anfang Dezember 2008 gab es auf der Prager Burg ein Treffen von Europaparlamentariern mit Václav Klaus, bei dem der grüne Abgeordnete Cohn-Bendit den Präsidenten Tschechiens wie einen Domestiken abkanzelte. Hier ein Auszug aus dem Protokoll dieser Begegnung, wie es die Welt am 9. Dezember abdruckte. Originalton Cohn-Bendit: „Ich habe Ihnen eine Fahne mitgebracht, die Sie angeblich überall hier auf der Prager Burg haben. Es ist die Fahne der EU, ich werde sie hier vor Ihnen hinstellen ... Zum Vertrag von Lissabon. Ihre Ansichten darüber interessieren mich nicht. Ich will wissen, was Sie tun werden, wenn er vom tschechischen Abgeordnetenhaus und vom Senat angenommen wird. Werden Sie den demokratischen Willen der Volksvertreter respektieren? Sie werden ihn unterschreiben müssen ...“ Sind EU-Parlamentarier berufen, die Prager Burg zu beflaggen. Müssten sie stattdessen nicht etwas gegen ihre Pedell-Manieren tun? Wer glaubte, dass die bei diesem Gespräch ebenfalls anwesenden Europapolitiker Martin Schulz (SPD) oder Hans-Gert Pöttering (CDU) Cohn-Bendit in die Schranken wiesen, sah sich getäuscht.

Im Umgang mit Tschechien sind die sonst bei jeder Gelegenheit beschworenen europäischen Werte Demokratie und Meinungsfreiheit für einige offenbar Ramschware. Als 2004 acht Staaten aus Osteuropa (darunter Tschechien) der EU beitraten, haben sie ihre Souveränität nicht nach Brüssel, Strasbourg oder Berlin ausgelagert. Auch ist der europäische Gedanke kein Dogma und die EU ein Bund von Staaten, kein Bundesstaat, keine Föderation. Die im Westen, vor allem in Deutschland, gern gepflegte Utopie von der europäischen Supranationalität gerät logischer und richtiger Weise an Grenzen, wenn sie als kerneuropäischer Führungsanspruch verstanden wird. Dass eine Weltwirtschaftskrise wie die jetzige ohnehin Interessen und Staaten auseinander treibt – auch in einem Verbund wie der EU– liegt auf der Hand.
Der Lissabonner Vertrag ist kein Wert an sich. Abgesehen von veränderten Abstimmungsregeln im Europäischen Rat, die kleine Staaten eher über- als bevorteilen, wird darin das neoliberale Dogma einer freien Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb genauso hofiert wie im ad acta gelegten EU-Verfassungsvertrag. Und der ist nicht an Tschechien, sondern an Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Ist da Cohn-Bendit auch in die Parteizentrale der französischen Sozialisten in der Pariser Rue de Solférino marschiert, um vor ihnen die Europa-Fahne aufzupflanzen? Oder vollbringt man derartige Großtaten nur als grüner Missionswerker im mutmaßlich degenerierten Osten?
Václav Klaus hatte als Premierminister 1996 den Antrag auf die Aufnahme seines Landes in die EU mit der Begründung gestellt, es gäbe dazu keine Alternative. Und er hat 2003 den Beitrittsvertrag unterschrieben, in dem auch etwas von gleichen Rechten aller Mitgliedsstaaten steht.

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