Die Heimatkrieger sind unter uns

Dolchstoßlegende Wer den Krieg in Afghanistan ablehnt und den sofortigen Rückzug der Bundeswehr fordert, wird zum nützlichen Idioten der Taliban, so ein medialer Unterton seit Tagen

Am Sonntag wurde dem Zuschauer bei der ARD-Sendung Anne Will eine Beobachtung förmlich aufgedrängt. Gregor Gysi und der Publizist Roger Willemsen waren als Gäste geladen, um als Gegner des Afghanistan-Kriegs vorgeführt zu werden, indem sie als nützliche Idioten oder Handlanger der Taliban hingestellt wurden. Die Absicht war so unverkennbar wie unverschämt und unterlief noch einmal eindrucksvoll die an sich schon bescheidenen Standards dieses Talk-Formats.

Nein, nicht die Bomben von Kunduz und die über 140 Verbrannten würden die Aufständischen zu Operationen anstiften und dazu führen, dass die Bundeswehr als Feind begriffen werde. Vielmehr sei es die von Gysi und seiner Partei angezettelte Kriegsverweigerung, die ihnen die Hand führe, klagten Entwicklungshilfeminister Niebel und die grüne Ex-Staatssekretärin Müller. Dies ermuntere die Gotteskrieger, deutsche Soldaten im Raum Kunduz verstärkt anzugreifen und damit die Stimmung in Deutschland von außen anzuheizen.

Mit anderen Worten: Wer seit acht Jahren fordert, die Soldaten zurückzuholen, ist in Wirklichkeit dafür zuständig, dass sie Schaden nehmen. Diese Logik ist so blamabel, dass es sich verbietet, ihr Aufmerksamkeit zu schenken, wäre da nicht jener denunziatorisch insistierende Subtext, der den Kriegsgegner zum unsicheren Kantonisten stempelt, ohne es mit letzter Konsequenz auszusprechen. Um so mehr ist absehbar, wie die neueste Dolchstoß-Legende ausfällt, und was davon bereits gärt. Wieder einmal wird der Andersdenkende als Verräter vorgeladen. Er besitzt die Unverfrorenheit, der schwer kämpfenden Truppe draußen im Feld in den Rücken zu fallen. Was hat er noch zu suchen unter den veranwortungsbewussten Politikern, die er es sich „nicht so leicht“ machen wie der Gysi und der Lafontaine mit ihrem Vulgärpazifismus? Um diesem gesunden Volksempfinden Ausdruck zu geben, fehlte es nicht an emphatisch klatschender Komparserie bei Anne Will. Sie war immer schon recht dünn, die Glasur der Zivilisation und der mutmaßlich Zivilisierten, wenn es um mehr ging als das allgemeine Wahlrecht.

Nicht nur in Afghanistan herrschen Krieg und kriegsähnliche Zustände, auch in den Medien scheinen sie längst angekommen. Die Heimatkrieger sind unter uns. Sie toben sich aus wie beim Kindergeburtstag. Wir kehren langsam zur Natur zurück, würde Kurt Tucholsky sagen. Die Heimatkrieger sollten – auch wenn es nutzlos sein dürfte – daran erinnert werden, welche Vorbilder zur Verfügung stehen. Nach dem Ersten Weltkrieg und der deutschen Kapitulation im November 1918 waren es die „Pazifisten und Defätisten an der Heimatfront“, die „Vaterlandsverräter“ und „Zivilisationsliteraten“, denen es zu verdanken war, das ein im Felde „unbesiegtes Herr“ eben doch geschlagen noch Hause zurückkehren musste. Die Erkennungsmarken von zwei Millionen deutscher Soldaten im Marschgepäck, die seit dem August 1914 verblutet waren. Wer sie losgeschickt hatte, interessierte nicht mehr. Die Verräter zu jagen, füllte ganz aus. Am 15. Januar 1919 schon waren die ersten zur Strecke gebracht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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