Diesmal stammen die Bilder aufgebrachter Jugendlicher, die Steine gegen schwer bewaffnete Ordnungskräfte werfen, nicht aus Palästina, sondern aus dem Maghreb. In Tunesien kam es zu mehreren öffentlichen Selbstverbrennungen – der größten Verzweiflungstat, zu der Menschen fähig sind. Familienväter sehen sich außerstande, für ihre Kinder zu sorgen. Es handelt sich nicht um individuelle Notlagen. Trotz weitreichender Vollmachten der Polizei, die bis zum Schusswaffen-Gebrauch reichen, ließen sich nicht einmal die Angestellten des öffentlichen Dienstes und die Staatsgewerkschaften davon abbringen, auf die Straße zu gehen. Obwohl die Polizei schon über 50 Demonstranten getötet hat, halten die Proteste an – in Thala und Kasserine herrscht Belagerungszustand.
Die meisten Tunesien-Urlauber wissen nicht, dass sie sich in einer oft auch folternden Einparteien-Diktatur sonnen. Warum wird das Land von lautstarkem Tadel der Menschenrechtsorganisationen verschont? Weil die dortige Tourismusindustrie allzu eng mit europäischen Reiseunternehmen verflochten ist? Immerhin hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon das autoritäre Regime von Präsident Ben-Ali zur Einhaltung der Menschenrechte und zu transparenter Informationspolitik aufgerufen. Tunesien gehört zu den 20 Staaten weltweit, in denen die Pressefreiheit mehr oder weniger geächtet ist.
Seit einer Woche kommen ähnliche Bilder aus Algerien, wo seit Jahresbeginn die Preise für Nahrungsmittel bis zu 30 Prozent stiegen und gleichfalls chronische Arbeitslosigkeit herrscht. Jugendliche plündern Geschäfte, dringen in Banken und Postämter ein. Weil die Ordnungskräfte gegen die Steinewerfer nicht mit Feuerwaffen, sondern mit Steinkatapulten, Tränengas und Wasserwerfern vorgehen, sieht die Bilanz hier anders aus: drei Tote und 826 Verletzte, davon 763 Polizisten.
Zwar gibt es auch im pluralistischen Algerien keine politische Partei, über die sich die Protestierenden artikulieren könnten – doch nahm die Regierung den Preisschub schnell zurück. Und nicht nur die Presse, sogar das Fernsehen sorgen dafür, dass der Aufruhr nicht delegitimiert, sondern öffentlich diskutiert wird.
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