Ein Tausendstel Hoffnung

Gilad Shalit Was man vom Gefangenenaustausch zwischen Hamas und Israel auch halten mag – er zeigt, dass beide Seiten zu Zugeständnissen und einer Einigung in der Lage sind

Ein langwieriger, komplexer Gefangenenaustausch steht kurz vor seinem Abschluss. Die 64-monatige Gefangenschaft des israelischen Soldaten Gilad Shalit geht voraussichtlich in dieser Woche zu Ende. Im Gegenzug werden 1.027 palästinensische Gefangene freikommen. Monatelange Geheimverhandlungen, die von den Geheimdiensten Ägyptens und Deutschlands ermöglicht wurden, haben schließlich Früchte getragen. Wenn die Freudenfeiern der Familien auf beiden Seiten vorbei sind, wird die Debatte weitergehen, warum die Übereinkunft gerade jetzt möglich wurde und ob nicht eine oder beide Seiten zu viele Konzessionen gemacht hat. Einige werden ganz grundsätzlich den Umstand begrüßen, dass die beiden Erzfeinde überhaupt zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sind.

Preis zu hoch

In der kurzen Geschichte der israelischen Unabhängigkeit ist die Heimbringung von Kriegsgefangenen zu einem sakrosankten Vorgang geworden, den nur wenige öffentlich in Frage stellen. Es handelt sich um eine ungeschriebene Vereinbarung zwischen der Regierung, den Soldaten und deren Familien. Diejenigen Israelis, die dem Austausch kritisch gegenüber stehen, werden darauf hinweisen, dass der Preis für die Heimbringung eines Soldaten einmal mehr zu hoch gewesen sei – nicht nur, was die Zahl der freigelassenen Gefangenen angeht. Auch im Blick auf deren Vergehen. Viele der palästinensischen Gefangenen, die israelische Gefängnisse verlassen, haben die Tötung oder Ermordung von bis zu 600 Israelis geplant oder ausgeführt. Es wird befürchtet, dass sie erneut Anschläge gegen Israel verüben, und dass der Austausch Motivation zu weiteren Entführungen sein könnte, um so noch mehr Palästinenser freizupressen und das Ansehen der Hamas in einer Zeit zu stärken, in der sie an Zuspruch aus der Bevölkerung einbüßt.

Es ist gerade die relative Schwäche von Hamas und wahrscheinlich auch der Regierung Netanjahu, die den Austausch ermöglicht hat. Meinungsumfragen fallen derzeit zuungunsten der Hamas aus, während die Fatah und Präsident Abbas mit ihrem Projekt, die staatliche Anerkennung Palästinas vor den Vereinten Nationen zu beantragen, an Ansehen gewinnen. Um so mehr will die Hamas wieder in den Mittelpunkt der palästinensischen Politik rücken.

Wenig wahrscheinlich

Die israelische Regierung hat innenpolitisch einen schweren Sommer hinter sich. Der palästinensische Antrag vor den UN hat ihr gezeigt, auf wie wenige Freunde Israel in der internationalen Gemeinschaft noch zählen kann, weil mit den Palästinensern noch immer kein Abkommen über einen endgültigen Status ausgehandelt wurde und die Besatzung im Westjordanland andauert.

Dies brachte beide Seiten dazu, Zugeständnisse zu machen, die sie vor gar nicht allzu langer Zeit noch abgelehnt hätten. Die Hamas musste akzeptieren, dass einige der prominentesten Namen auf ihrer Liste – wie Abdullah Barghouti, Ibrahim Hamed, Abbas Sayed und Marwan Barghouti – nicht freigelassen werden. Dennoch muss Israel Gefangene ziehen lassen, die „Blut an den Händen“ haben.

Gilad Shalit und viele Palästinenser werden sehr bald den ersten Tag in Freiheit genießen. Die öffentliche Debatte aber über die Vor- und Nachteile des gefundenen Agreements werden in beiden Gesellschaften weiter gehen. Es sollte jedoch nicht unserer Aufmerksamkeit entgehen, dass Israel und die Hamas, wenn auch indirekt, durchaus in der Lage sind, miteinander zu reden, wenn sie denken, dies liege in ihrem Interesse. Sie sind sogar in der Lage, sich zu einigen.
Könnte diese Erfahrung ein erster Schritt hin zu einer Anerkennung von Hamas als Verhandlungspartner für einen künftigen Friedensvertrag mit Israel sein? Wenn ja, wäre dies sicherlich eine erfreuliche Konsequenz dieses Gefangenenaustausches, wodurch die Aussicht auf Frieden ein wenig wahrscheinlicher würde.


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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Yossi Mekelberg | The Guardian

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