Atomstrom und verdauende Kühe

Ökoblog Warum Adriane Seliger Umweltminister Gabriel beim Schulterklopfen helfen möchte und trotzdem ökologisches Magengrummeln hat


Halten wir also einen kleinen, seltenen Moment inne und loben die Regierung.

Deutschland hat im vergangenen Jahr seinen Ausstoß an Klimagasen um 1,2 Prozent reduziert und liegt damit um 23,3 Prozent unter dem Wert von 1990. Zu dem großen Aber komme ich gleich noch. Doch wir wollen hier ja nicht in stumpfe Nörgelei verfallen. 23,3 Prozent, das ist schon bemerkenswert.

Denn im Kyoto-Protokoll hatte die Bundesregierung 1997 nur 21 Prozent versprochen und zwar für das Zieljahre 2008 bis 2012. Und nun liegt Deutschland nach 2007 (22,4 Prozent) schon zum zweiten Mal darunter. 2007 musste man sich noch vor Augen halten, dass ein milder Winter half. Aber 2008 waren die kühlen Monate vergleichsweise kalt. Tatsächlich ist sogar der Bedarf an Heizwärme und auch an Primärenergie um rund ein Prozent gestiegen. Auch die Wirtschaft wuchs trotz Krise noch, und zwar um 1,3 Prozent.

Ist das nun die viel beschworene Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Kohlendioxid-Ausstoß? Naja, zumindest ein bisschen. Tatsächlich machen die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen und das Umweltbundesamt eine Verschiebung bei der Energieversorgung für die leicht gesunkenen Werte verantwortlich: weg von der Kohle, hin zu emissionsärmeren Energien wie Gas und Erneuerbaren. Allein sieben Prozent weniger Steinkohle und 3,5 Prozent weniger Braunkohle wurden vergangenes Jahr in Kraftwerken verfeuert. Dafür stieg der Anteil von Ökostrom und Ökowärme um 7,3 Prozent. Immerhin 7,4 Prozent des Primärenergiebedarfs decken sie nun

Dass sich Umweltminister Sigmar Gabriel für die deutsche Klimapolitik und den Ausbau der Ökoenergien mächtig selber auf die Schulter klopft, versteht sich von allein. Aber bitte schön, so soll es sein, ich klopfe mit. Nur ganz ohne ökologisches Magengrummeln geht es dann eben doch nicht. Was nämlich Gabriel und das UBA schamhaft verschwiegen: Auch die Ausweitung der Produktion in den deutschen Atommeilern trug zur Bilanz bei. Die Atomstrommenge wuchs ebenfalls um 5,9 Prozent – lauter Strom, der nicht aus Kohle produziert wurde.

Dahinter steckt vor allem, dass die hessischen Blöcke Biblis A und B nach längerer Pause um den
Jahreswechsel 2008 wieder ans Netz gingen. Gut acht Milliarden Kilowattstunden mehr als 2007 pressten die Atomstromer in die Netze. „Die Zahlen belegen einmal mehr den herausragenden Beitrag der CO2-freien Stromerzeugung aus Kernenergie zur Versorgungssicherheit und den Klimaschutzanstrengungen Deutschlands“, lobte sich sogleich das Deutsche Atomforum selber. Was natürlich ziemlicher Quatsch ist, angefangen vom „CO2-frei“ bis zum „herausragenden Beitrag“. Aber ignorieren hilft eben auch nicht. Denn Atomstrom löst zwar nicht das Klimaproblem – aber er schönt die deutsche Statistik.

Wenn die Reaktoren vom Netz gehen sollen, dann muss der Umbau hin zu weniger klimaschädlichen Energiearten deutlich schneller gehen als bisher. Die Ökostrombranche verspricht zwar inzwischen das Blaue vom Himmel – der Anteil am Strommarkt soll von heute rund 15 in den nächsten elf Jahren auf 47 Prozent wachsen. Ich persönlich wünsche dafür alles Gute. Aber leise Zweifel sind wohl angebracht.

So oder so muss es nun rascher abwärts gehen, wenn wir die minus 40 Prozent beim Klimagas-Ausstoß schaffen wollen, die sich die Regierung bis 2020 vorgenommen hat. Und dabei müssen wir uns auch ernsthaft die Gase vorknöpfen, die derzeit noch im Schatten des großen Klimakillers Kohlendioxid segeln, aber eben auch erhebliche Bedeutung für den Klimawandel haben. Zum Beispiel Methan. Nach Darstellung des UBA hat zwar die neue Pflicht, Müll vor der Kippe zu behandeln, den Methan-Ausstoß von Deponien um fünf Prozent gedrückt. Gleichzeitig wuchs der Ausstoß aus der Landwirtschaft aber in gleichem Maß. Noch so ein Tabu. Solange niemand in der Politik wagt, ernsthaft über pupsende Kühe und über unseren Fleischkonsum zu reden, dürfte sich hier wenig tun.

Was ich persönlich besonders kurios finde, ist allerdings, dass einige Anstrengungen im Klimaschutz nun ausgerechnet zum Anstieg von Treibhausgasen führen, in dem Fall beim eher obskuren Klimagas Schwefelhexafluorid. Das Zeug wurde in alten Lärmschutzfenstern als Dämmung zwischen die beiden Scheiben gepresst. Jetzt werden die Fenster gegen die supermodernen Ökodämmmodelle ausgetauscht. Und offenbar wird bei der Entsorgung so oft gepfuscht, dass im vergangenen Jahr tatsächlich 2,8 Prozent mehr von dem Gas entwichen ist als 2007. Deshalb wollen wir hier mit dem Loben wieder aufhören.

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