Wahlrecht für "alle" - Vom Objekt deutscher Politik zum Subjekt der Gesellschaft Teil 1

Drittstaatlerwahlrecht; Essay Am 26. April ist Internationaler Tag des Wahlrechts für alle. Seit 2021 wird mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen darauf aufmerksam gemacht, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung kein Wahlrecht besitzt.

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EU-Bürger:innen haben in Deutschland das Recht, sich an Kommunalwahlen (und an Wahlen zum Europäischen Parlament) zu beteiligen. Nicht-EU-Bürger:innen dürfen hingegen nicht an den regulären Wahlen teilnehmen. Sie können lediglich bei den Wahlen zu den Integrations-/ Migrationsbeiräten mitbestimmen. Ob das so bleiben sollte, darum wird in Deutschland bereits seit Ende der 1970er Jahre sowie aktuell wieder gerungen. Am heutigen Tag finden vom Netzwerk Voting Rights for ALL Residents (VRAR) organiserte Aktionen in Berlin-Steglitz, sowie in Brüssel, Bologna und Paris statt.

In keinem anderen Land der Welt wurde und wird für und wider das (Kommunal-)Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass bereits so lange, so kontrovers und so ergebnislos gestritten. [1] Dabei forderte dies Heinz Kühn (SPD), damaliger Bundesbeauftragter für Ausländerangelegenheiten, bereits 1978 im Rahmen eines Memorandums. [2] In fast allen Bundesländern Deutschlands fanden seitdem Debatten um eine entsprechende Wahlrechtsreform statt. [3] In den 1980er Jahren war die außerparlamentarische Debatte zum Thema in den evangelischen, katholischen, Arbeiter-Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften sehr stark. Die parlamentarischen Debatten begannen in den späten 1980ern, nachdem skandinavische Länder und die Niederlande das Wahlrecht für Zugewanderte auf kommunaler Ebene eingeführt hatten.
Ende der 1980er Jahre mündeten diese in vier Bundesländern (Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, West-Berlin) in konkrete Gesetzesinitiativen, in Nordrhein-Westfalen gab es ebenfalls Erwägungen diesbezüglich. Jene in Hamburg und Schleswig-Holstein wurden 1989 verabschiedet und wären 1990 in Kraft getreten, hätte die CDU nicht vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und dieses die Gesetze für nichtig erklärt. Das Gericht legte den Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2 und 28 Grundgesetz völkisch aus und beschränkte damit die Gruppe der Wahlberechtigten auf deutsche Staatsbürger:innen.
Dies geschah zu einer Zeit als die Europäische Kommission bereits an einer Richtlinie zum kommunalen Wahlrecht für EU-Bürger:innen arbeitete. Durch den Vertrag von Mastricht und nach einer Ergänzung des Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes trat diese 1993 in Kraft und wurde in Deutschland erstmals auf die Kommunalwahlen 1998 angewendet.

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Bis zu den Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 veröffentlicht die Autorin jede Woche Freitag einen weiteren Teil des Essays, der sich ausführlich mit folgenden Fragen befasst:

  • Wie wurde die Forderung nach einem Wahlrecht für nicht-deutsche Staatsangehörige in der Vergangenheit in Deutschland politisch verhandelt? Welche Fort- und Rückschritte gab es? Wie stehen die Parteien Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke, FDP und SPD aktuell dazu? Wie lauten die konkreten Forderungen der verschiedenen Akteur:innen? Welche Modelle werden angestrebt?

  • Welche Aktionsformen wurden und werden von der Zivigesellschaft eingesetzt um eine Debatte über das Wahlrecht für alle anzuregen?

  • Welche Argumente werden für und wider das „Wahlrecht für alle“ angeführt?

  • Welche Effekte sind durch das „Wahlrecht für alle“ zu erwarten?

  • Wie ist die Debatte in Deutschland vor dem Hintergrund der Gesetzgebung in anderen Ländern europa- und weltweit einzuordnen?

  • Welche Möglichkeiten haben nicht-deutsche Staatsangehörige in Deutschland bisher sich auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene politisch zu engagieren?

Quellen

[1] Bundeszentrale für politische Bildung/ Pedroza, Luicy (2022). Die anhaltenden Debatten über das Ausländerwahlrecht in Deutschland

https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/514333/die-anhaltenden-debatten-ueber-das-auslaenderwahlrecht-in-deutschland/

[2] Bundesbeauftragter für Ausländerangelegenheiten (1978). Memorandum zum Stand und zur Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland.

[3] Pedroza, Luicy (2022). Staatsbürgerschaft neu definiert. Wie die Ausweitung des Wahlrechts auf Einwanderer weltweit debattiert wird. Springer VS: Wiesbaden.

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