Ampel auf Schwarz

Berlin und der Bundesrat Warum die mögliche Entscheidung der Berliner SPD für eine Koalition mit der CDU weitreichende Auswirkungen auf die Spielräume der von ihr geführten Bundesregierung hat.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In Berlin steht in den kommenden Tagen die Entscheidung über die Koalition an, die nach den Wiederholungswahlen vom 12.2. für die verbleibende Legislaturperiode bis 2026 den Senat tragen soll. Über die landespolitischen Richtungsentscheidungen und personellen Folgen wurde und wird viel gesprochen, weniger dagegen über die bundespolitischen Folgen, die sich aus den verschiedenen im Raum stehenden Optionen ergeben. Aktuell gibt es ausgehend von den abgeschlossenen Sondierungen folgende Möglichkeiten: eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition (RGR), eine Koalition aus CDU und SPD (Schwarz-Rot) sowie eine Koalition aus CDU und Grünen (Schwarz-Grün). Ausgehend von den aktuellen Meldungen steht die Option im Raum, dass die SPD eine Koalition mit der CDU anstrebt, oder dass CDU und Grüne eine gemeinsame Regierung anstreben. Die Platzierung der Nachricht, dass die SPD eine Koalition mit der CDU anstrebt, mitten hinein in laufende Sondierungen zwischen CDU und Grünen, dürfte aber die Vertrauensbasis zwischen SPD und Grünen in Berlin derart nachhaltig zerstören, dass eine Rückkehr der CDU an die Regierungsmacht und ins Rote Rathaus als sehr wahrscheinlich gelten muss. Die bundespolitischen Konsequenzen leiten sich vor allem aus den Folgen einer schwarz-roten oder schwarz-grünen Regierung für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ab.

Zuletzt hatten die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat gravierende Auswirkungen, als die Ampel-Bundesregierung wegen der Blockademehrheit der Unionsparteien die Bürgergeld-Reform zu Lasten der Leistungsempfänger verschlechtern mussten, um sie durch den Bundesrat zu bringen, darüber habe ich an anderer Stelle gebloggt.

Um zu verstehen, welche bundespolitischen Folgen jede Bildung einer Landesregierung hat, muss ein (verkürzter) Blick auf das Gesetzgebungsverfahren, die Rolle des Bundesrats und die die in ihm zum Ausdruck kommende Machtarithmetik geworfen werden. Alle vom Bundestag beschlossenen Gesetzesvorlagen müssen dem Bundesrat zur Beratung vorgelegt werden. Das Grundgesetz unterscheidet hinsichtlich der Kompetenzen des Bundesrats zwischen Einspruchsgesetzen und Zustimmungsgesetzen. Ein Einspruchsgesetz kommt zustande, kann also unverändert in Kraft treten, wenn der Bundesrat nicht innerhalb der vorgegebenen Frist mit einem Mehrheitsbeschluss Einspruch einlegt und den Vermittlungsausschuss anruft. Ein Zustimmungsgesetz kommt dann zustande, wenn der Bundesrat dem Gesetz mit einer Mehrheit zustimmt. Wenn diese Mehrheit nicht zustande kommt, wird der Vermittlungsausschuss angerufen, in dem Bundestag und Bundesrat über eine konsensfähige Fassung verhandeln müssen, die dann erneut Bundestag und Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden müssen.

Die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen wird deutlich, wenn man einen Blick auf die Zusammensetzung des Bundesrats wirft. Der Bundesrat ist als "Parlament der Länderregierungen" (Selbstdarstellung) aus 69 Sitzen zusammengesetzt, die (mit Unschärfen) nach der Größe auf die Bundesländer verteilt sind. Die Besetzung der Sitze und das Stimmverhalten bestimmen die jeweils amtierenden Landesregierungen. Enthaltungen zählen bei Abstimmungen wie Nein-Stimmen. Die Koalitionsverträge in den Bundesländern enthalten immer einen Passus, der bestimmt, dass im Bundesrat bei Uneinigkeit der Koalitionsparteien mit Enthaltung votiert wird. Ein Einspruchsgesetz im Bundesrat zu verändern, ist deshalb deutlich schwieriger, weil eine Mehrheit dem Einspruch, also dem Wunsch nach Änderung zustimmen muss. Bei einem Zustimmungsgesetz ist die Lage deshalb anders, weil eine Mehrheit des Bundesrats dem Gesetz selbst zustimmen muss. Um ein Einspruchsgesetz zu verändern, bedarf es also einer Gestaltungsmehrheit, um ein Zustimmungsgesetz braucht es nur eine Blockademehrheit, die sogar von einer Partei dann zustande gebracht werden kann, wenn sie in ausreichend Ländern (35 Stimmen) als Juniorpartnerin an der Landesregierung beteiligt ist, um diese mit ihrer Ablehnung in eine Enthaltung im Bundesrat zu zwingen.

Aus der gegenwärtigen Zusammensetzung des Bundesrats ergibt sich damit folgende Machtarithmetik. Die Ampel-Parteien können auf insgesamt 16 jedenfalls in der Logik der regierenden Parteifarben sichere Ja-Stimmen bauen, die sich aus den 4 Landesregierungen von Hamburg (SPD/Grüne, 3), Niedersachsen (SPD/Grüne, 6), Saarland (SPD, 3) und Rheinland-Pfalz (Ampel, 4) speisen. Die beiden weiteren für den Bundesrat theoretisch relevanten Parteien sind CDU/CSU und DIE LINKE. Die CDU/CSU kann wegen der oben beschriebenen Logik nicht weniger als 39 Stimmen für eine Blockade versammeln, die sich aus den 8 Landesregierungen von Bayern (CSU/Freie Wähler, 6), Baden-Württemberg (Grüne/CDU, 6), Hessen (CDU/Grüne, 5), Nordrhein-Westfalen (CDU/Grüne, 6), Schleswig-Holstein (CDU/Grüne, 4), Brandenburg (SPD/CDU/Grüne, 4), Sachsen-Anhalt (CDU/SPD/Grüne, 4) und Sachsen (CDU/SPD/Grüne, 4) zusammen setzen. Damit hat die CDU/CSU allein, sofern sie ihre jeweils mitregierenden Landesparteien auf eine Linie verpflichtet, die Möglichkeit, mehr als 35 Enthaltungen im Bundesrat zu mobilisieren, die für eine Blockade nötig sind. Die Grünen können theoretisch mit ihren derzeit 12 Regierungsbeteiligungen auf Landesebene sogar 53 Blockadestimmen mobilisieren. Die SPD kommt mit 10 Regierungsbeteiligungen auf maximal 37 Blockadestimmen. Die FDP kommt mit nur noch 2 Regierungsbeteiligungen im Bundesrat auf maximal 8 Stimmen, die sie in eine Enthaltung zwingen kann. DIE LINKE schließlich kann im Bundesrat derzeit bis zu 14 Stimmen für eine Enthaltung mobilisieren, die sich aus 4 Regierungsbeteiligungen ergeben.

Es war diese Machtarithmetik, die die Ampel dazu gezwungen hat, bei der Bürgergeld-Reform in erster Linie mit der CDU/CSU zu verhandeln und ihr Zugeständnisse zu Lasten der Leistungsempfänger/innen zu machen. Damit wird deutlich, dass jede Entscheidung über eine Regierungsbildung auf Landesebene über den Bundesrat Auswirkungen auf das bundespolitischen Machtgefüge hat. Die Machtarithmetik im Bundesrat ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. SPD und Grüne regieren derzeit in 7 Bundesländern mit der CDU, und es hätte mehr als einmal Alternativen gegeben. Es waren die baden-württembergischen Grünen, die 2021 bewusst entschieden haben, keine Ampel-Landesregierung mit SPD und FDP zu bilden, sondern weiter mit der CDU zu regieren. Es waren die nordrhein-westfälischen Grünen, die 2022 sehr bewusst entschieden haben, keine Ampel-Landesregierung unter Führung der SPD zu bilden, sondern eine schwarz-grüne unter Führung der CDU. Hätten sie sich nur in einem Fall anders entschieden, könnte die CDU/CSU heute nur 33 Stimmen, und damit keine Blockade-Enthaltungsmehrheit im Bundesrat mobilisieren.

Sollte es allerdings tatsächlich eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Landesregierung in Berlin geben, hätte dies gravierende Auswirkungen auf den weiteren Gestaltungsspielraum der Ampel-Bundesregierung für den Rest der Legislatur. Zunächst würde das Blockadepotenzial der Unionsparteien von 39 auf 43 ansteigen, weil die CDU dann im Konfliktfall auch die 4 Berliner Stimmen in eine Enthaltung zwingen kann.

Ein Blick auf den Wahlkalender zeigt aber die ganze Reichweite der Entscheidung in Berlin. Bis zur nächsten Bundestagswahl finden noch 7 Landtagswahlen statt (Bremen, Bayern, Hessen, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Hamburg). In Bremen, Thüringen und Hamburg ist die CDU bisher gar nicht an der Landesregierung beteiligt. In Bayern und Sachsen ist angesichts der Stärke von CSU bzw. CDU ein Wechsel zu einer Regierung ohne die Union äußerst unwahrscheinlich. Signifikante Änderungen der Stimmverhältnisse im Bundesrat könnten sich also nur aus den Landtagswahlen in Hessen (Herbst 2023) und Brandenburg (Herbst 2024) ergeben. Selbst wenn in Hessen nach der Landtagswahl eine Landesregierung ohne CDU gebildet würde, hätten die Unionsparteien in diesem Szenario immer noch 37 Blockadestimmen, und damit sicher eine Blockademehrheit bis zum Herbst 2024. Nur wenn erst in Hessen (6 Stimmen) 2023 und dann auch in Brandenburg (4 Stimmen) 2024 eine Landesregierung ohne CDU gebildet würde, könnte das Blockadepotenzial der CDU unter die magische Schwelle von 35 sinken, ein unsicheres und nach Lage der Dinge auch unwahrscheinliches Szenario. Sollte sich also die SPD in Berlin für eine Koalition mit der CDU entscheiden, hieße das auch, dass voraussichtlich bis zum Ende der Legislaturperiode des Bundestags alle wichtigen Gesetzesvorhaben der Ampel von den Unionsparteien blockiert werden können, sei es die eine sozialpolitische Reform wie die Kindergrundsicherung, die Pflegereform oder die absehbar in einen polarisierenden Kulturkampf führende Legalisierung von Cannabis, die allesamt im Bundesrat eine Zustimmungsmehrheit finden müssten. In Berlin wird also derzeit nicht nur darüber entschieden, wer bis 2026 regiert, sondern auch darüber, welche Gestaltungsspielräume die von der SPD geführte Bundesregierung bis 2025 hat, bzw. real nicht mehr haben wird, wenn die CDU in Berlin in Regierungsverantwortung kommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alexander Fischer

Alexander Fischer. Mensch. Historiker. Vater.

Alexander Fischer