Konservative CDU-Anhänger, die von Angela Merkels Kurs enttäuscht sind und nach ihrem Abgang auf einen Rechtsruck hoffen, dürften sich mit Wehmut an Manfred Kanther erinnern. Der führte von 1993 bis 1998 unter Kanzler Helmut Kohl das Innenministerium. Der Jurist und „Alte Herr“ der schlagenden Verbindung Corps Guestphalia et Suevoborussia galt als Herrenreiter vom rechten Unionsflügel. Er setzte sich vehement dafür ein, die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten auszuweiten sowie das Asylrecht einzuschränken.
Daher konnte es nicht weiter überraschen, dass es Kanther war, der mit dem Erlass vom 26. November 1993 ein allgemeines Betätigungsverbot gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK verhängte, die bis heute vom Verfassungsschutz als „schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation“ in der Bundesrepublik geführt wird. Das Verbot fiel in eine Zeit der Eskalation des kurdisch-türkischen Konflikts, nachdem eine kurzzeitige Waffenruhe im Sommer 1993 gescheitert war – es schien eine freundliche Geste gegenüber der Regierung in der Türkei zu sein, die in Berlin aus geostrategischen Gründen als exponierter Partner galt.
Doch war Kanthers Verdikt auch eine Reaktion darauf, dass sich der Konflikt zwischen Türken und Kurden nach Deutschland zu verlagern begann. Schon vor der PKK-Gründung durch die Gruppe um Abdullah Öcalan im November 1978 kamen viele türkische Kurden als Gastarbeiter nach Essen, Köln, Rüsselsheim, Stuttgart oder Westberlin, um der Armut in Südostanatolien zu entfliehen. Eine zweite Welle folgte nach dem Militärputsch vom September 1980, der Tausende von Aktivisten und Intellektuellen, darunter viele Kurden, ins Exil zwang – nicht zuletzt nach Deutschland, wo die bestehenden kurdischen Kulturvereine weiter wuchsen und politischer wurden. „Mit der Migration kamen die kurdische Frage und damit der kurdische Konflikt“, meint Kerem Schamberger, Autor des Buches Die Kurden. Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion (der Freitag 44/2018). Schon bald organisierten PKK-Kader in Deutschland Demonstrationen, sammelten Geld für die in der Türkei Zurückgebliebenen und feierten Jahr für Jahr am 21. März das traditionelle Newroz-Fest. Sehr zum Missfallen des türkischen Staates, der sich hilfesuchend an die deutschen Strafverfolgungsbehörden wandte.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre begannen tatsächlich massive Ermittlungen gegen wirkliche und vermeintliche PKK-Mitglieder, was schließlich zum viereinhalb Jahre dauernden sogenannten Düsseldorfer Prozess führte. Begonnen hatte der im Oktober 1989 in einem für 8,5 Millionen Mark errichteten Hochsicherheitstrakt. Das Verfahren sollte der größte und teuerste Terrorismusprozess in der bundesrepublikanischen Geschichte werden. Im Vorfeld legte Generalbundesanwalt Kurt Rebmann Wert darauf, die PKK zum „Hauptfeind der inneren Sicherheit“ zu erklären. Als der Prozess nach mehrjährigen Verhandlungen im März 1993 zu Ende ging, waren von den 20 Angeklagten nur noch vier übrig, von denen zwei zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt wurden.
„In diesem Prozess zeigte sich das Bemühen der deutschen Behörden, die kurdische Befreiungsbewegung hierzulande ein für alle Mal zu eliminieren“, meint Monika Morres, Sprecherin des kurdischen Rechtshilfefonds Azadi. „Doch der große Erfolg, den sich die deutsche Justiz erhofft hatte, blieb aus.“ Und das nicht nur wegen der eher dürftigen Resultate, sondern auch, weil die Methoden der Generalbundesanwaltschaft und der erkennbare Einfluss des türkischen Geheimdienstes auf die deutschen Behörden den politischen Charakter des Tribunals offenbarten. So erstaunte es nicht weiter, dass Innenminister Kanther gut ein halbes Jahr nach Prozess-Ende ein umfassendes Verbot gegen die PKK und andere kurdische Organisationen verhängte. Sich häufende Verfahren wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz und wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß dem nach dem 11. September 2001 im Strafgesetzbuch verankerten Paragrafen 129b waren die Folge. „Manchmal war es mehr, manchmal weniger, aber die Verfolgung kurdischer Aktivisten in Deutschland hat seitdem kein Ende mehr gefunden“, sagt Monika Morres.
Für Lukas Theune, Anwalt aus Berlin, der nach § 129b Beschuldigte verteidigt, steht mit dieser Rechtsprechung der Rechtsstaat auf dem Spiel. „Die Verfahren nach § 129b StGB sind deswegen absurd, weil meine Mandanten selber gar keine Straftaten begangen haben. Das wird ihnen auch gar nicht vorgeworfen, sondern in der Anklageschrift steht, sie hätten Demonstrationen, ein Newroz-Fest oder ein Kulturfestival organisiert. Das sind alles Sachen, die wir als Demokratie und Rechtsstaat ja eigentlich wollen.“ Da die Entscheidung, wer nach § 129b eigentlich genau verfolgt werden soll, vom Justizministerium getroffen wird, sieht der Jurist das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt.
Für die Verfolgungspraxis in Deutschland erscheint es irrelevant, dass sich die PKK inzwischen demokratisiert hat oder die auf Öcalan zurückgehenden Vorstellungen eines Demokratischen Konföderalismus nicht mehr auf den eigenen Staat, sondern auf eine autonome Selbstverwaltung in den türkischen und syrischen Kurdengebieten setzen. Selbst der Verfassungsschutz gibt mittlerweile zu, dass für die kurdische Bewegung „in Europa weitgehend störungsfrei verlaufende Veranstaltungen im Vordergrund stehen“. Dennoch bleibe Gewalt eine Option der PKK-Ideologie. Seit geraumer Zeit wird nun bekundete Solidarität mit der kurdischen Bewegung vermehrt kriminalisiert. Nach den vom Bundesinnenministerium im März 2017 wie im Januar 2018 erlassenen Anweisungen sind auch Symbole der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten in Nordsyrien, der YPG und YPJ, verboten. Anderswo finden diese Milizen wegen ihres Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) Sympathie und Anerkennung. Nicht erlaubt ist es zudem, das Abbild des seit 1999 in der Türkei inhaftierten Abdullah Öcalan zu zeigen, wenn dies in einem PKK-Kontext geschieht. Was das genau heißt, wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Die bayrische Justiz etwa hat sich für die harte Linie entschieden, davon betroffen ist Kerem Schamberger (der Freitag 45/2016): „Mir wird immer wieder vorgeworfen, Fahnen der YPG und YPJ auf Demos gezeigt, auf Facebook und Twitter geteilt zu haben“, erzählt der 31-Jährige. „Das Argument der Justiz ist dabei, dass ich – wenn ich diese Fahnen zeige – eigentlich die PKK meine. Ein absurdes juristisches Konstrukt.“
Dass es auch anders geht, hat Belgien gezeigt. Dort entschied ein Gericht im vergangenen Jahr, dass es sich bei dem Konflikt zwischen der PKK und der Türkei um eine interne Auseinandersetzung handle, auf die das humanitäre Völkerrecht Anwendung finde. Demnach sei die PKK eine Partei in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (was nach internationalem Recht gewisse Rechte und Pflichten begründet) und könne eben nicht als Terrororganisation eingestuft werden. Und auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat jüngst entschieden, dass die PKK zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der Terrorliste der Europäischen Union geführt worden sei. Da jenes Register in diesem Jahr neu aufgesetzt wurde, firmiert die Arbeiterpartei Kurdistans für die EU weiterhin als „terroristische Organisation“. Angesichts dieser Entwicklungen sollte die deutsche Regierung sich dennoch fragen, ob ihre Haltung gegenüber der PKK und der kurdischen Bewegung überhaupt noch zeitgemäß ist.
Manfred Kanther blieb übrigens nach seiner Zeit als Innenminister noch bis Januar 2000 im Bundestag, bevor er – als die CDU-Spendenaffäre ruchbar wurde – zugeben musste, Gelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Sieben Jahre später wurde er dafür zu einer Geldstrafe von insgesamt 54.000 Euro verurteilt.
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