Entweihung der amerikanischen Flagge. Deswegen wurden Jon Hendricks, Jean Toche und Faith Ringgold 1970 festgenommen und verurteilt, zu je 100 Dollar Strafe oder 30 Tagen Haft. The People’s Flag Show hatten die drei ihre Ausstellung getauft, die sie in der New Yorker Judson Memorial Church auf die Beine stellten. Mehr als 200 Künstler und Künstlerinnen, darunter so bekannte wie Jasper Johns, Carl Andre oder die Tanz-Choreografin Yvonne Rainer, haben in der Kirche Werke gezeigt, die sich kritisch mit der Fahne der Vereinigten Staaten auseinandersetzten, die die Unterdrückung im Land oder die Kriege, die es führte, anprangerten. Während einer Performance wurde ebendiese Flagge dort verbrannt – was die Verhaftung und Verurteilung der Organisatoren zur Folge hatte. Auf den Richterspruch reagierten die „Judson Three“ zornig: Man habe sie zwar verurteilt, doch die tatsächlichen Schuldigen seien die Nation und deren Gerichte, gaben sie zu Protokoll.
Was diese Episode verdeutlicht: Für die afroamerikanische Künstlerin Faith Ringgold, Jahrgang 1930, gehörten Kunst und Aktivismus schon immer zusammen. Und die Flagge ihres Heimatlandes, das sie mal wütend, mal hintersinnig in ihren Kunstwerken kritisiert, ist bei ihr ein wiederkehrendes Motiv. The Flag Is Bleeding #2, ein Wandteppich aus dem Jahr 1997, zeigt vor dem Hintergrund der Flagge eine schwarze Mutter, die ihre beiden nackten Kinder umklammert. Blut scheint in dicken Schlieren aus den roten Streifen der Flagge zu sickern, die Sterne, die für die einzelnen Bundesstaaten der USA stehen, verdecken das Gesicht der Frau. Man spürt die Gewalt, die das Land immer wieder und bis heute erschüttert. Man sieht aber auch Hoffnung, die Zuneigung der Mutter, ihre schützenden Arme, Zärtlichkeit. In der Londoner Serpentine Gallery hängt dieses kraftvolle Bild nun am Ende einer Retrospektive mit gut 50 Arbeiten von Faith Ringgold. Nach wenigen Galerie- und Gruppenausstellungen ist sie, vom Schweizer Hans Ulrich Obrist kuratiert, die erste umfassende Überblicksschau zum Werk der amerikanischen Künstlerin in Europa. Mit 88 Jahren wird Ringgold, fern ihrer Heimat, plötzlich zum Shooting Star.
Aus dem, was sie erlebt hat, Kunst machen: So hat Ringgold einmal ihr Schaffen beschrieben. Keine Stillleben, keine Landschaften wolle sie malen, nicht „die europäischen Meister kopieren“, sondern aus ihrem Leben erzählen. Von der Aufbruchsstimmung im Harlem der 1930er Jahre, vom „New Negro Movement“, das von Jazzmusikern wie Duke Ellington und Langston Hughes oder dem Schriftsteller James Baldwin geprägt war, von den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung und dem feministischen Aufbegehren, vom Leben in der Familie, mit ihren zwei Töchtern, vom kleinen Alltag und der großen Politik – und davon, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.
Hausdach als Strandersatz
Ihre künstlerischen Mittel hat sie dabei häufig gewechselt. Am Anfang ihrer Karriere schuf sie ausdrucksstarke, vom Kubismus inspirierte Gemälde, nah dran an der Agit-Prop-Ästhetik der Black Panther. Bekannt wurde sie später durch ihre „story quilts“, großformatige Wandteppiche, auf denen sie ausufernde, oft autobiografische Bildergeschichten erzählte. Ringgold entwarf aber auch Masken und Plastiken, inszenierte Performances, schrieb Geschichten und veröffentlichte eine ganze Handvoll Kinderbücher. In ihrer Kunst scheute sie weder das Naive noch die Folklore. Bis heute hat sie Tag für Tag in ihrem Atelier in Englewood in New Jersey, wo sie seit den 90er Jahren mit ihrem zweiten Ehemann lebt, zu tun. Aktuell arbeitet sie an einer Serie über das Altern – ihr eigenes und das der amerikanischen Gesellschaft.
Tar Beach heißt einer der besonders anrührenden Quilts, die Ringgold erschaffen hat. Auch dieser beinahe zwei auf zwei Meter messende Teppich aus dem Jahr 1988 ist in der Londoner Retrospektive ausgestellt. Darauf zu sehen: eine Dachterrasse in einer Sommernacht. Das Werk ist eine Kindheitserinnerung der Künstlerin. Denn im heißen Sommer wurde das geteerte Dach der Familienwohnung in Harlem allzu häufig zum Strandersatz. Die Sterne leuchten auf diesem Teppich, die Wäsche hängt auf der Leine, die Erwachsenen sitzen am Tisch und spielen Karten, neben ihnen Weinflaschen, ein Krug, eine aufgeschnittene Wassermelone. Auf einer Decke liegen zwei Kinder und blicken in den Nachthimmel. Dort entdeckt man dann auch noch ein drittes Kind: ein Mädchen, die Arme ausgebreitet, über einer Brücke schwebend. Es war dieser Quilt mit dem Mädchen, das fliegen konnte, der zur Vorlage für Ringgolds erstes Kinderbuch wurde.
Wer Grenzen nicht akzeptiert, schafft Unmögliches: Das ist die Botschaft des Werkes – und eigentlich sowieso das Lebensmotto von Faith Ringgold. Als sie 1950 am City College of New York ein Kunststudium beginnen wollte, hieß es, dass die Ausbildung ausschließlich Männern vorbehalten sei. Ringgold und ihre Familie machten so lange Druck, bis ihr schließlich wenigstens erlaubt wurde, Kunsterziehung zu studieren. Nach einigen Jahren im Schuldienst wagte sie den Schritt zur freischaffenden Künstlerin.
Dass der Quilt zu ihrem Markenzeichen wurde, hat auch mit der Vergangenheit ihrer Familie zu tun: Die Ururgroßmutter von Ringgolds Mutter musste noch ein Leben als Sklavin führen. Das Pflegen von Traditionen war den Versklavten verboten, nur das Anfertigen der Steppdecken gestatteten die Herren. Dass die von ihnen Unterdrückten aus eigenem Antrieb wärmende Decken herstellten, erschien ihnen praktisch. So konnte der Brauch überleben und wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Als Faith Ringgold 1980 ihr erstes Quilt-Kunstwerk schuf, war es ihre Mutter, die Modemacherin Willy Posey, die ihr dabei half. Als kein Verlag ihre Autobiografie drucken wollte, begann sie damit, die Teppiche mit den Geschichten, die sie so dringend erzählen wollte, auszuschmücken.
Die Zuversicht bestimmt Ringgolds Kunst. Der natürlich auch immer etwas naive Glauben daran, dass die Welt eine bessere werden wird. In den 70er Jahren hat sie eine Kundgebung vor dem New Yorker Whitney Museum organisiert. Eine Ausstellung, in der wieder mal nur Kunst von Männern zu sehen war, hatte sie und ihre Mitstreiterin aufgebracht. Auf den alten Fotografien sieht man die Schilder der Demonstrantinnen und ihre Forderung: 50 Prozent weibliche Kunst soll das Museum in seine Sammlung aufnehmen. Davon ist das legendäre Ausstellungshaus noch immer weit entfernt. Vier Kunstwerke von Ringgold, die dort für Gleichberechtigung demonstrierte, hat das Whitney mittlerweile aber doch erworben. Und auch das Museum of Modern Art (MoMA) und das Guggenheim Museum haben längst Arbeiten von Ringgold angekauft. Immerhin.
Info
Faith Ringgold Serpentine Gallery, London, bis 8. September
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