Maria Callas war vom Essen besessen. Sie liebte Pasta, Risotto, voluminöse Steaks. Auf kleine Zettel schrieb sie ihre Lieblingsrezepte und steckte sie ihrer Haushälterin zu. Mehr als 100 Kilogramm wog die Sopranistin, als ihre Karriere an Fahrt aufnahm. Die Opernsängerin war aber auch besessen von Audrey Hepburn, Sophia Loren und Gina Lollobrigida. Sie wollte selbst aussehen wie diese anmutigen Ikonen der Kinogeschichte: die Taille dünn, die Silhouette schlank. Mit immer radikaleren Diäten brachte sie seit dem Beginn der 1950er Jahre ihren Körper in Form. Das Hungern wurde zum Normalzustand. Vor ihren Auftritten aß sie ein paar Löffel zerstampfte rohe Leber, auf die sie etwas Öl tröpfelte, um zu Kräften zu kommen.
Eine Legende erzählt, dass sie sich, auf Anraten eines Schweizer Arztes, sogar einen Bandwurm einverleibte, um abzunehmen. Mit einem Glas Champagner habe sie den Parasiten heruntergespült. „Mich hat diese Geschichte fasziniert“, sagt Ersan Mondtag. „Eine Frau fügt sich einen lebenden Organismus in den Körper ein, mit dem sie einen Vertrag schließt: Alles, was in mich kommt, darfst du verschlingen. Dafür hilfst du mir, schlank zu werden.“
Der Mythos von Maria Callas’ Bandwurm ist nun Ausgangspunkt einer Inszenierung, die der Regisseur und Bühnenbildner Mondtag erschaffen wird – nicht für ein Theater, sondern für ein Museum. I am a problem wird die Ausstellung heißen, Ende September eröffnet sie im MMK 2, einem Ableger des Frankfurter Museums für Moderne Kunst in einem Bankenturm. Ihr Schöpfer ist einer der gefragtesten Theaterregisseure und Performance-Künstler unserer Zeit: Mit seinen opulenten, bildgewaltigen und oft verstörenden Inszenierungen ist Ersan Mondtag, Jahrgang 1987, innerhalb kurzer Zeit zum Liebling der Feuilletons aufgestiegen. Radikal, mutig, kompromisslos lauten die Attribute, mit denen sein Theater beschrieben wird. Tatsächlich ist Mondtag keiner, der sich von den Sehgewohnheiten des Stadttheaters diktieren lässt, wie seine Stücke aussehen.
Verliebt in pompöse Bilder
Seine Inszenierungen laufen im Hamburger Thalia-Theater, am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, an den Münchner Kammerspielen. Demnächst wird er auch im Berliner Ensemble inszenieren. Dessen neuer Intendant Oliver Reese, der zuvor das Frankfurter Schauspiel leitete, gilt als Mondtags Entdecker. Bereits zweimal wurde der junge Regisseur zum Berliner Theatertreffen eingeladen: mit seinem Kasseler Stück Tyrannis von 2015, einer Angstfantasie, die einen an David Lynch denken lässt, und im Jahr darauf mit seiner in einer schrill-bunten antiken Welt spielenden Inszenierung von Olga Bachs Die Vernichtung aus Bern. Mondtag mag der Shootingstar des deutschen Theaterbetriebs sein, trotzdem ist er froh, diesem mit seinem Ausstellungsprojekt nun zu entkommen. „Theater zu machen, ist eine Form von Masochismus“, sagt er.
Mondtag steht vor dem Eingang des Museums, ein Schlaks in engen Jeans, mit bunt glitzerndem Hemd, Basecap und Nickelbrille. Am Morgen ist er aus Berlin gekommen, um sich mit Kurator Peter Gorschlüter zu besprechen, am Abend will er weiter nach Salzburg, zu einer Premiere bei den Festspielen. Wir laufen in Richtung Bahnhofsviertel. Er redet gleich drauflos, stellt Fragen, sucht ein Café aus, bestellt Rosé, die Sonne knallt in die Straßenschlucht. Mondtag spricht schnell, im Stakkato, breitet die Arme aus, beansprucht Raum. Eigentlich heißt er mit Nachnamen Aygün. „Ay“ bedeutet im Türkischen „Mond“, „Gün“ der „Tag“ – so entstand das Kunstwort „Mondtag“. Er nennt sich selbst ein „Gastarbeiterkind aus Kreuzberg“.
Das Theater entdeckte er in der Schulzeit. Von der siebten bis zur zehnten Klasse besuchte er in Berlin eine Projektschule, neben dem klassischen Unterricht wählen die Schüler dort einen Schwerpunkt. 16 Stunden Theater-AG hatte er pro Woche. Später wurde er Mitglied im Jugendclub des Grips-Theaters. Das Grips wurde in den 1960ern von dem Regisseur und Autor Volker Ludwig gegründet, damals noch unter dem Namen Theater für Kinder im Reichskabarett. Ludwig wollte einen sozialkritischen Gegenentwurf zum seichten Kinder- und Jugendtheater der damaligen Zeit erproben – und wurde dafür nicht nur von der Berliner CDU als „kommunistischer Kinderverderber“ beschimpft. „Das Grips ist bis heute ein wichtiger Baustein meiner Theaterarbeit“, sagt Mondtag. „Auch wenn ich für mein Theater eine ganz andere Form gefunden habe, bin ich ein Kind der Grips-Schule geblieben.“
So formalistisch, so in pompöse Bilder verliebt seine Inszenierungen tatsächlich sind, ein politischer Kern, ein gesellschaftlich relevantes Thema steckt doch immer in ihnen. Etwa in seiner Auseinandersetzung mit Goethes Iphigenie-Stoff, den er für das Schauspiel Frankfurt inszeniert hat. Der antike Mythos beschreibt Tauris, wo das Stück spielt, als einen Ort, an dem jeder eintreffende Fremde von einer Gruppe Priesterinnen geopfert wird. Mondtag nutzt diese Vorlage, um die paranoide Angst vor dem Fremden, vor den Geflüchteten, zu sezieren. In düster-roter Kulisse lässt er seine Darsteller im Chor einen Text sprechen, der den antiken Stoff mit Pegida-Zitaten, mit Textpassagen von Akif Pirinçci oder Peter Sloterdijk mischt. Am Ende steht eine brutale Hasspredigt, eine gesprochene Vernichtungsfantasie. „Töte sie, töte sie, töte sie“, fordern die Darsteller von Iphigenie. Mondtag gelingt es so, die Gewalt in der Sprache der publizierenden Flüchtlingsfeinde offenzulegen. „Ich bin kein linker Theatermacher“, sagt er. „Aber ich bin ein politisch links denkender Mensch, der Theater macht – und das färbt natürlich auf meine Art der Theaterarbeit ab.“
Im Zentrum seiner Museumsausstellung wird die Beschäftigung mit dem Körper stehen, mit der Bearbeitung, mit der Deformation – auch das ist ein wiederkehrendes Thema und Motiv in Mondtags Arbeit. Den Aufbau plant er so, dass man sich als Besucher in Maria Callas’ Magen wähnen soll. Aus gelben und schwarzen Lkw-Planen will er „einen begehbaren Bandwurm“ bauen. Die Werke von Künstlern wie Kader Attia, Vanessa Beecroft, Teresa Margolles, Juergen Teller oder Rosemarie Trockel werden dabei zu Figuren – die Mondtag auch sprechen lässt. Der Dramaturg Thomaspeter Goergen, der mit dem Regisseur schon bei Tyrannis zusammenarbeitete, wird für diese Kunstwerk-Figuren Texte schreiben, Schauspieler aus dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters sprechen sie ein.
Kopf ohne Grenzen
Auch seine Szenografie für das Museum begreift der Regisseur als politische Arbeit. „Die Selbstoptimierung, das Formen meines Körpers durch verschiedene Apps, ist ja nicht nur ein privater Vorgang“, sagt er. Mondtag beschreibt einige Zeichnungen von On Kawara, die in der Ausstellung zu sehen sein werden und die verstümmelte Leichen nach dem Atombomben-Angriff auf Hiroshima zeigen. „Der perfekte Mensch ist eine Ideologie. Und wir führen einen Krieg, um diesen perfekten Menschen herzustellen, einen Krieg gegen unseren Körper“, sagt er.
Was reizt ihn an der Kunstwelt? „Man hat im Museum viel mehr Freiheiten als im Theater, man wird als Künstler mehr wertgeschätzt, man wird global wahrgenommen“, sagt Mondtag, dessen Karriere an der Berliner Volksbühne als Assistent von Vegard Vinge begann und der im Anschluss ein Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule in München schmiss. Als er im Herbst 2013 am Frankfurter Schauspiel seine erste große Inszenierung umsetzte, das Stück 2. Sinfonie – Rausch, da hat ihn der Theaterbetrieb in die Verzweiflung getrieben. „Man kämpft gegen einen Stab aus 400 Leuten an, man kämpft gegen den Betrieb, gegen Machtspiele, gegen Intrigen und Eitelkeiten“, sagt er. Am Ende müsse man als Regisseur für eine Inszenierung geradestehen, die nicht mehr die eigene ist, weil die Vielzahl an Kompromissen die Ursprungsidee zerstört hat.
Nach der Premiere von 2. Sinfonie hat Mondtag sich verkrochen, er stellte für zwei Wochen sein Telefon aus, dachte übers Aufgeben nach. Doch er blieb dran, mit dem Frankfurter Intendanten hatte er schließlich einen Vertrag über drei Stücke abgeschlossen. Und er begriff: Willst du deine Ideen wirklich umsetzen, dann musst du „Strategien entwickeln, wie du mit diesem Scheißbetrieb umgehst“.
Mondtag will in Zukunft häufiger außerhalb des Theaters arbeiten, er träumt von einer „Korrespondenz der Künste“. Er will „begehbare Filme für Museen“ entwickeln und ein Musical auf die Bühne bringen. Er wird Tyrannis, das Stück, das ihm zum Durchbruch verhalf, als Kinofilm neu umsetzen. In Freiburg inszeniert er sein Opern-Debüt. Angst vor dem Scheitern kennt er nicht: „Im Kunstbetrieb kann man gar nicht scheitern, wir sind ja nicht im Krieg, wir bauen ja nicht einmal ein Gebäude.“ Angst vor der Überforderung auch nicht: „Ich kann gut delegieren.“
„Ich glaube, ich bin sehr schnell in allem, was ich tue“, sagt Ersan Mondtag. „Ich habe keine Grenzen im Kopf. Alles, was ich mir vorstellen kann, mache ich einfach.“ Ihn fasziniere die Arbeitsweise von Rainer Werner Fassbinder, der Filme und Theaterinszenierungen wie am Fließband schuf, ohne Atempause, immer bis zur Erschöpfung, ohne sich und seinen Körper je zu schonen. „Der Unterschied zwischen Fassbinder und mir ist, dass ich keine Drogen mehr nehme und neuerdings auch Sport treibe“, sagt Mondtag. Vom Druck der Selbstoptimierung ist auch er nicht ganz frei.
Info
I am a problem Inszeniert von Ersan Mondtag MMK 2, Frankfurt am Main, ab 23. September
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