Der neue RING in Bayreuth

Bayreuther Festspiele Valentin Schwarz erfrischte Geister und Gemüter auf dem Grünen Hügel

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Manchmal ist es gut das Pferd von hinten aufzuzäumen:

Dass ich mir also die Götterdämmerung (als "Wagner im Kino"-Übertragung) als erstes zugemüte führte, war für mich insofern hilfreich, dass ich gleich von Anfang an im [letzte Woche live besuchten] "Rest"-Ring resp. Rheingold wusste, was es eigentlich dann mit diesem systemsprengerischen Balg im gelben T-Shirt (allerliebst performt vom kleinen Erik Scheele!) auf sich hatte, welches in Gemeinschaft von acht gleichaltrigen Schwestern, die - nach einer der unzählig reizbaren wie reizvollen Ring-Binnenerzählungen von Regisseur Valentin Schwarz- als Nibelungenkids von Alberich & Mime auf das Kindgerechteste gehalten wurden, sein geschwisterhassendes Unwesen trieb, kurzum: Es ging und geht um Hagen, den bei Wagner leibhaftigen Sohn des die vier Ring-Stücke auslösenden Chefzwergs (Olafur Sigurdarson). Das war und ist der Initialzünder, Valentins eigentlicher Interpretationsansatz für "seinen" Ring, Stichwort: Familienaufstellung.

In Götterdämmerung trug der gereifte Hagen auch so einen gelben Shirt, sein Kindliches war freilich längst dahin, ja und sein angeblicher Vater war dort auch kaum wiederzuerkennen; dessen Face glich einer Kraterlandschaft, oder hatte er die Affenpocken? Beide gierten nach dem Töchterchen von Siegfried & Brünnhilde, die es so bei Wagner zwar nicht gibt, aber egal, hier schreiben wir in erster Linie über Valentin.

Nein, nix mit Gold und Fluch und Ring und so - die Nachgeborenen erweisen sich als die Objekte elterlicher sprich erwachsener Begierde, und um ihre Habhaftwerdungen im Sinne ihrer wiederum dann Nachgeborenen, sprich Zukunft, geht es. Das ist wahrliches Regie-Neuland und ziert die Werkstatt Bayreuth, und zudem und sowieso ist es perfekt gedacht!

Ja und für alle die, die diese Inszenierung daher ablehnten oder gar hassten, noch der gut gemeinte Hinweis, dass Sie sich sehr gern - zu Ihrer friedfertigen Vorbereitung - die vier Valentin'schenRing-Erzählungen, welche Jens Harzer, Martina Gedeck, Sylvester Groth und Dagmar Manzel auf dem festspielinternen Podcast kurz und deutlich sprechen, reinziehen. Es ist so wie bei einer Urlaubsreise in entfernte Länder; und da haben Sie ja auch vermutlich einen Reiseführer mit dabei. Nur zu, nur zu!!

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Die Kids aus Rheingold waren dann auch wieder in der Walküre (Beginn des 2. Akts) zu sehen. Dort, im erstbezognen Eigenheim der Wotan-Family, gewahrte man den Sarg von Freia, welche sich (am Schluss des Vorabends) das Leben nahm; ja und ich deutete das so, dass zwischen ihr und Fasolt (Jens-Erik Aasbø), der sie, und obgleich er sie mit seinem Bruder Fafner, der ihn später totschlug, raubte, scheinbar richtig liebte, gegenseitige Gefühle existiert haben müssten; sie war also in ihn ähnlich stark verliebt wie er in sie und hielte es womöglich ohne ihn nicht weiter aus, daher ihr Suizid. Nun, alle von der Wotan-Family, auch die inzwischen in die Wotan-Family wie durch ein Wunder aufgenommnen Kids nebst Froh und Donner und den acht Walküren (die ja erst im 3. Akt ihr durch Apocalypse Now so weltberühmt gewordenes "Hojotoho"-Geschrei herauszukämpfen hätten) nebst dem Hunding, Frickas Handlanger und Urvertrautem und dem treuen Brünnhilde-Intimus Grane (Igor Schwab), trauerten aufrichtig wie angewidert um die Tote.

Eingebetteter Medieninhalt

Klaus Florian Vogt & Lise Davidsen stellten zuvor (im 1. Akt) ihre für sie hauptprägende Kindheitsgeschichte, wo sie noch in Zweisamkeit und also ungetrennt ihr unschuldiges Zwillingsdasein - höchstwahrscheinlich auch in einem der diversen Wotan-Immobilien mit so Doppel-Zwillingszimmerchen (dasselbe übrigens, was in der Götterdämmerung dann als Brünnhildefelsen dient) - verlebten, dar. Nein, keiner würde jetzt erwartet haben wollen, dass die zwei geschwisterlichen Inzest treiben würden, und weswegen dann Sieglinde auch bereits schon schwanger war, als sich der Vorhang nach dem Vorspiel der Walküre öffnete. Im 3. Akt striff Wotan der Hochschwangeren den Slip herunter, und obwohl doch irgendwie längst klar war, dass nicht etwa Siegmund, sondern Wotan, ihr leibhaftiger Erzeuger, später dann der leibhaftige Vater Siegfrieds werden würde... Und auch das schien mir, außer der ziemlich anstößigen Szene mit dem Slip, in dieser Interpretation plausibel.

Ganz zum Schluss - statt Feuerzauber - hielt Tomasz Konieczny seinen Abschiedsmonolog vor einer riesigen Garagentür, wobei sich Fricka (routiniert und trotzdem tantenhaft wegen ihres recht altdivenen Sounds verkörpert von der altgedienten Christa Meyer) anbiedernd ihm näherte, um mit dem Gatten auf den Sieg über sich selber anzustoßen - aber Wotan antwortete ihr auf seine Weise, als er ihr den Ehering ins Weinglas warf; auch das von der Idee her: außerordentlich.

Iréne Theorin (Brünnhilde) war gesanglich eine Katastrophe, und das nicht nur wegen ihres unerträglichen Dauer-Vibratos; schauspielern konnte sie allerdings ganz gut. Die absoluten Marksteine in derWalküre-Aufführung jedoch: Vogt, Davidsen und Georg Zeppenfeld (als Hunding)!!!

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Siegfried [vorgestern vor Ort erlebt] erwies sich als der schlüssigste, leichtfüßigste und nachvollziehbarste Teil in Valentins Inszenierung, und es machte einfach Spaß, all den Geschehnissen, die sich dort abgespielt hatten, in heiterster Verblüffung zuzuschauen.

Mime (Arnold Bezuyen) richtete für den liederlichen, trunksüchtigen Ziehsohn einen Kindergeburtstag aus, bei dem der Befeierte außer jede Menge Puppen auch noch "Nothung" als Stilett, das in der Mime-Krücke steckte, zum Geschenk bekam. Doch weil man ja die Liebe, auch die Vater- oder Sohnesliebe, nie erzwingen kann, kam folgerichtig diese Mime-Party überhaupt nicht gut bei Siegfried an... Andreas Schagerschmetterte die Schmiedeweisen ungebremst mit spielerischer Leidenschaft und stimmlicher Brachialität, sodass er später dann (im 3. Akt) kaum noch Reserven aufzubringen in der Lage war, um das nicht minder anstrengende Liebesduett mit der von ihm Erweckten unlädiert zu überstehen; doch das machte seinen Auftritt insgesamt nicht unsympathischer.

Die Aufbettung des Fafner (Wilhelm Schwinghammer) als sterbenskranker Baulöwe, der von der ihn und seine Notdurft fürsorglich versorgenden privaten Krankenschwester namens Waldvogel (Alexandra Steiner) und dem jungen Hagen (Branko Buchberger), der seinerseits schon wieder - wie, wissen wir freilich nicht - als ungeliebtes Pflegekind woanders landete und jetzt, da es womöglich Fafner testamentarisch so bestimmte, auf das Nibelungenerbe (Goldhort) hofft, umgeben war, schien mir dann der genialste Inszenierungsstreich des Valentin gewesen zu sein.

Und Okka von der Damerau war, wie bereits im Rheingold, als inzwischen ins soziale Abseits abgestürzte Allwisserin Erda zu erleben.

Aber dann war sie mit einem Male da:

Daniela Köhler (als Brünnhilde)!!!!!

Siegfried musste sie, bevor er mit ihr ins Gespräch gekommen war, erst einmal entmumifizieren... Und dann war er von ihr insgesamt, von ihrer Schönheit, ihrer Ausstrahlung und ihrer Stimme, nicht viel weniger gebannt als ich und alle übrigen im Festspielhaus. Ja und was dann zwischen den beiden, und vor allem stimmlich, abging, war schon erderschütternd. Köhler sollte auch die andern beiden Groß-Partien in den nächstenRing-Serien in Bayreuth übernehmen, und dann wäre Theorin von ihren zwei Brünnhilden und den vielen Buhs endlich erlöst.

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Cornelius Meister wuchs von Stück zu Stück in diesen kurzfristig von ihm übernommenen Ring hinein. Er ging ihn zügig, transparent und stellenweise überrauschig an. Das Festspielorchester stellte sich im Handumdrehen auf ihn ein und folgte sehr bereitwillig und hochgenüsslich seinen Intentionen.

Das Bühnenbild Andrea Cozzis wirkte vordergründig funktional, Teil- oder Kleinbühnen wurden rein/ raus geschoben oder runter/ hoch gefahren, viele Räume wiederholten sich. Es sah mitnichten "schön" aus, auch hatte es (nicht einmal im Ansatz) diese bühnenkünstlerische Klasse eines Aleksandar Denic, der im Castorf-Ring so platzverdrängend ausufernd und opulent verfuhr, wie es vor ihm wahrscheinlich keiner auf der hochgeschossnen Großbühne in Bayreuth je in Angriff nahm.

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Vom 25. bis 30. August wird es noch einen dritten Ring-Zyklus im diesjährigen Festspielprogramm geben.

Geht dahin und lasst euch einfach unterhalten.

Wagners Ring für Unverbohrte trotz ihres Arthroseleidens.

Bei dem nächsten würde es dann sicherlich mal wieder etwas ernster als bei seinen beiden Vorgängern.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 15.08.2022.]

DER RING DES NIBELUNGEBN (Festspielhaus | 10., 11., 13.08.2022)
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Regie: Valentin Schwarz
Bühne: Andrea Cozzi
Kostüme: Andy Besuch
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Licht: Reinhard Traub
Video: Luis August Krawen

Besetzungen:

Das Rheingold (10.08.2022)
Wotan ... Egils Silins
Donner ... Raimund Nolte
Froh ... Attilio Glaser
Loge ... Daniel Kirch
Fricka ... Christa Mayer
Freia ... Elisabeth Teige
Erda ... Okka von der Damerau
Alberich ... Olafur Sigurdarson
Mime ... Arnold Bezuyen
Fasolt ... Jens-Erik Aasbø
Fafner ... Wilhelm Schwinghammer
Woglinde ... Lea-ann Dunbar
Wellgunde ... Stephanie Houtzeel
Floßhilde ... Katie Stevenson
Festspielorchester
Premiere bei den Bayreuther Festspielen war am 31. Juli 2022.
Weiterer Termin: 25.08.2022

Die Walküre (11.08.2022)
Siegmund ... Klaus Florian Vogt
Hunding ... Georg Zeppenfeld
Wotan ... Tomasz Konieczny
Sieglinde ... Lise Davidsen
Brünnhilde ... Iréne Theorin
Fricka ... Christa Mayer
Gerhilde ...Kelly God
Ortlinde ...Brit-Tone Müllertz
Waltraute ... Stéphanie Müther
Schwertleite ... Christa Mayer
Helmwige ... Daniela Köhler
Siegrune ... Stephanie Houtzeel
Grimgerde ... Marie Henriette Reinhold
Rossweisse ... Katie Stevenson
Festspielorchester
Premiere bei den Bayreuther Festspielen war am 1. August 2022.
Weiterer Termin: 26.08.2022

Siegfried (13.08.2022)
Siegfried ... Andreas Schager
Mime ... Arnold Bezuyen
Der Wanderer ... Tomasz Konieczny
Alberich ... Olafur Sigurdarson
Fafner ... Wilhelm Schwinghammer
Erda ... Okka von der Damerau
Brünnhilde ... Daniela Köhler
Waldvogel ... Alexandra Steiner
Premiere bei den Bayreuther Festspielen war am 3. August 2022.
Weiterer Termin: 28.08.2022

Götterdämmerung als "Wagner im Kino" (05.08.2022)
Siegfried ... Clay Hilley (statt Stephen Gould)
Gunther ... Michael Kupfer-Radecky
Alberich ... Olafur Sigurdarson
Hagen ... Albert Dohmen
Brünnhilde ... Iréne Theorin
Gutrune ... Elisabeth Teige
Waltraute ... Christa Mayer
1. Norn ... Okka von der Damerau
2. Norn ... Stéphanie Müther
3. Norn ... Kelly God
Woglinde ... Lea-ann Dunbar
Wellgunde ... Stephanie Houtzeel
Floßhilde ... Katie Stevenson
Premiere bei den Bayreuther Festspielen war am 5. August 2022.
Weiterer Termin: 30.08.2022
WAGNER IM KINO-Übertragung im Kino International, Berlin am 05.08.2022

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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