DER BAU von Jochen Alexander Freydank

Filmkritik Kafkas Dachs-Geschichte apokalyptisch aufbereitet

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Die unvollendete, knapp 40seitige und erst posthum (4 Jahre nach dem Tod von Kafka) erschienene Dachs-Geschichte Der Bau ist deprimierend und skurril zugleich. Deprimierend, weil sie auf eine schier paranoide Unausweichlichkeit zusteuert, die freilich wegen ihrer prosaischen Unvollendetheit zu keiner echten Auflösung führen konnte - skurril, weil sie Kafka als Dachs-Tier deutend zeigt...

"Das Tier wird beherrscht von der Vorstellung, sich gegen einen wie auch immer gearteten Feind durch eine Optimierung des Baues schützen zu können. [...] Allerdings gibt es zwei Bereiche des Baues, die ihm Sorgen machen: Der 'Burgplatz' und der Eingang. Auf dem 'Burgplatz' ist die Hauptmenge der Vorräte gelagert. Deren Verteilung scheint ihm aber ungünstig. Es sollten mehrere Burgplätze zur Verteilung der Vorräte vorhanden sein, aber das Tier sieht sich von der erforderlichen Bauarbeit überfordert." (Quelle: Wikipedia) Und dann gibt es noch dieses dauernde Geräusch...

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Der 2009 durch seinen Kurzfilm Spielzeugland zum OSCAR-Preisträger gewordene Filmemacher Jochen Alexander Freydank (* 1967) hat sage und schreibe 10 Jahre gebraucht, um seine "Übersetzung" der Kafka'schen Novelle fertig zu bekommen - das Resultat ist sehenswert.

Er siedelt die metapherschwere Tierfabel in eine seelenlose Ort- und Landschaft unsrer aktuellen Zivilisationsgesellschaft an:

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Ohne fleißige Arbeit kein gehobener Lebensstandard - Der Bau (C) Neue Visionen

Axel Prahl (= Dachs = Kafka = Franz) ist schon von Anfang an mehr denn auf seine Videokamera (zur Selbstbespiegelung des ihm davoneilenden Lebens) als auf seine Familie (= Mutter/Frau, 2 Kinder) fixiert. Wir erfahren so auch nichts vom familiären Glück und wie es dazu kam, aber auch nicht viel mehr von ihm höchstselbst - es sei denn, dass es uns genügen könnte, seine O-Zitate aus dem Kafka-Text Der Bau im unzerreißlichen Zusammenhang mit ihm (mehr denn als Arbeitnehmer in 'nem Großbüro; ähnlich dem autobiografischen Verhängnis Kafka's, der Zeit seines Lebens als Versicherungsbeamter seine Tage fristen wollte/sollte/musste) deckungsgleich zu sehen.

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Die glückliche Familie in ihrer neuen Eigentumswohnung - Der Bau (C) Neue Visionen

Die von Prahl und Frau und Kinder neu bezog'ne Eigentumswohnung in einem scheinbar noch nicht ganz zu Ende "verinnerlichten" und mit rotglänzenden Außenfliesen als einzigem Farblichtpunkt des prinzipiell grau-düster-neblig durchgehalt'nen Sets (Ausstattung von Tom Hornig) im ganz in der Nähe einer Banken- und Büroskyline dahindümpelnden Depri­-Stadtteil aufgestellten Wohnungs-Bau hat außer ihnen sowie einem Nachbarn (Roeland Wiesnekker), einem Hausmeister (Josef Hader), einem Handwerker (Devid Striesow) und zwei das Projekt bewachenden Security-Leuten (Robert Stadlober und Fritz Roth) keine weiteren Insassen. Die Wohnung ist verwinkelt und geräumig - Prahl lässt jeden Morgen, dass er's nicht verschläft, drei Wecker nacheinander klingeln.

Dann ziehen Frau/Kinder plötzlich aus...

Dann wird Prahl leise und bestimmt entlassen...

Dann folgt der soziale Abstieg...

Dann "verbrüdert" er sich mit den A-Sozialen, die im Laufe der 120 Spielminuten mehr und mehr Besitz von dem Objekt (und später auch dem Depri-Stadtteil und der Banken- und Büroskyline) ergreifen...

Dann tötet er - im paranoiden Selbstverfolgungswahn - seinen Nachbarn und den Penner (Erwin Leder), der ihm "warnend" prophezeite, wohin Alles führen würde usw. usf.

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Trotz dass dem Freydank Alles ziemlich aus dem Ruder läuft und letztlich von dem Kafka-Bau (außer den permanent aufmonologisierten O-Zitaten) nicht viel mehr als bloß der Titel übrig bleibt - sind Bildexzesse, die es so im Arsenal deutscher Autorenfilmer lange nicht mehr oder gar noch nie zu sehen gab, zu registrieren.

Man beachte Freydanks apokalyptisches Finale!

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Apokalyptisch: Der Bau (C) Neue Visionen

Allenthalben diese dauernde Musikberieselung mit Tönen aus der Komponistenfeder Rainer Oleaks ging einem deutlich auf den Kranz; sie brachte und erzielte reinweg nix!!

Den Film sollten v.a. Suizidgefährdete am besten meiden.

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 09.07.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg07.met.vgwort.de/na/784157534150498f98113e3735bdbdc3

DER BAU (D 2014)
Produktion, Drehbuch und Regie: Jochen Alexander Freydank
Kamera: Egon Werdin
Schnitt: Philipp Schmitt
Austattung: Tom Hornig
Kostüme: Heike Fadembrecht
Musik: Rainer Oleak
Besetzung:
Franz ... Axel Prahl
Franz' Frau ... Kristina Klebe
Hausmeister ... Josef Hader
Handwerker ... Devid Striesow
1. Wachmann ... Robert Stadlober
2. Wachmann ... Fritz Roth
Nachbar ... Roeland Wiesnekker
Penner ... Erwin Leder
Filmstart war am 9. Juli 2015

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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