DER SCHUSS 2.6.1967 an der Neuköllner Oper

Uraufführung Die Ermordung Benno Ohnesorg's als Musiktheater von Arash Safaian (Musik) und Bernhard Glocksin (Text)

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Gestern vor fünfzig Jahren (2. 6. 1967) gab es diesen "legendären" Schuss des Polizisten Karl-Heintz Kurras auf den 26jährigen Studenten Benno Ohnesorg.

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Was war konkret passiert:

Der Schah von Persien stieg bei einem Staatsbesuch in Deutschland auch in Westberlin kurz ab, wo ihm und seiner Gattin in der Deutschen Oper Mozarts Zauberflöte festaktig geboten worden war. Zur gleichen Zeit fand vor dem Hause in der Bismarckstraße eine Gegendemo von Studenten statt. Die wurde von militanten Schah-Anhängern unterwandert, woraufhin es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen gab. Die Polizei schritt ein und prügelte drauf los. Bei der Gelegenheit kam es zu der besagten Hinrichtung; Kurras tötete Ohnesorg "mit einem Pistolenschuss in den Hinterkopf aus kurzer Distanz. (...) Nachdem 2009 seine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit bekannt wurde, wurde nochmals gegen ihn ermittelt. Erwiesen ist seit 2011, dass er auf Ohnesorg ohne Auftrag, unbedrängt und wahrscheinlich gezielt geschossen hatte. Er wurde dennoch nicht erneut angeklagt." (Quelle: Wikipedia)

Justament zum 50jährigen Jubiläum des geschilderten Ereignisses entschuldigte sich gestern der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt für den damaligen Polizeieinsatz - statt die Studenten vor den Dachlatten und Stahlruten der Schah-Anhänger zu schützen, wären sie nach dem Motto "Knüppel frei" auf die Studenten losgegangen; das Thema Benno Ohnesorg war von dem Statement des Justizsenators allerdings dann ausgenommen.

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Das Musiktheater Der Schuss 2.6.1967 (mit der Musik von Arash Safaian und dem Text von Bernhard Glocksin) wollte/will nun freilich etwas mehr als den besagten Anlass zum Entstehen der Westberliner Studentenbewegung und, fast parallel, dem keimpflanzigen Aufkommen der RAF glorifizieren. Es soll - wie es sich für einiger Maßen gut funktionierende Opern selbstredend gehört - auch etwas zwischenmenscheln, wofür flugs die beiden installierten ProtagonistInnen-Pärchen Chris & Ben (Josephine Lange und Martin Gerke) sowie Hanne & Heinz (Ursula Renneke und Alexander Tschernek) stehen. Diesbezüglich erfahren wir dann auch gleich zu Beginn, dass Benno Ohnesorg seine von ihm schwanger gewordene Freundin Christa, und nicht nur von dieser biologischen Kalamität getrieben, heiratete und sie beide zu der Gegen-Demo fast rein zufällig geraten waren; er wollte aus Überzeugung etwas bleiben, während sie zuhause auf ihn warten würde oder so. Ähnlich "normal" hinsichtlich seines familiär-privaten Zustands muss es dann auch bei den beiden Kurras zugegangen sein; sie wird uns als der Prototyp der deutschen Hausfrau, also frei von jeder (höheren) Idee und aus der Perspektive der dem Mann Essen & Trinken in den Hobbykeller bringenden Familiendienerin, vermittelt, ja und er halt als dienstschrubbender Normal-Bulle o.s.ä.

Das Alles [s.o.] trug und trägt natürlich nicht über 90 Minuten Spieldauer hinweg - also was weiter oder zusätzlich noch tun, um Alles noch ein bisschen ausufern und/oder ausfasern zu lassen?

Gudrun Ensslin (gespielt, gesungen von Pauline Jacob) wird mit ihrem Söhnchen Alex (Kamil Ahmad) dramaturgisch eingeführt - sie gibt das Kind dann, und rein metaphorisch gemeint, bei Christa Ohnesorg in die Verwahrung; also sollte die sich um den Kleinen ab sofort dann kümmern, weil ja Gudrun für derartige Profanitäten in den nächsten zwei, drei Jahren weder Zeit noch Sinn hätte, denn: "Am 2. April 1968 legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein in zwei Kaufhäusern an der Frankfurter Zeil Feuer. Vor dem Frankfurter Landgericht wurden die Angeklagten zu je drei Jahren Haft verurteilt, am 13. Juni 1969 jedoch aus der Haft entlassen. Beim Versuch Waffen zu beschaffen, wurde Andreas Baader verhaftet und am 14. Mai 1970 durch Gewalt befreit. Das war die Geburtsstunde der RAF (Rote Armee Fraktion)."(Quelle: Neuköllner Oper)

Und dann gibt es auch noch diverse Außerdem-Rollen, namentlich die des Intendanten (der DOB), die von Gholam - gemeint war/ist der iranische Schriftsteller Gholam-Hossein Saedi - und die von der Spaßguerilla; das insgesamt dann, also von der Warte des es auseinanderdröselnden Zusehers und Zuhörers, einiger Maßen nachvollzogen gewollt zu haben, bereitete nicht allzu große Lust.

Fantastisch musiziert wird in dem textlastigen Stück ganz selbstverständlich auch: Antonis Anissegos und Matthias Engler (an Klavier, Keyboards und Schlagwerk) leiten aus dem abwechselnd dann unsichtbar und sichtbar gemachten Hintergrund der Bühne Lena Schmids die weiteren fünf Band-Mitglieder [Namen s.u.].

Inszenierer Fabian Gerhardt konnte auf die maniristisch auf uns einströmenden Video-Schnipsel Vincent Stefans ablenkend zurückgreifen.

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Verkürzende Geschichtsstunde oder verreduziertes Menschheitsdrama?? Nichts von Beidem blieb dann wirklich länger als bis nach der U-Bahn-Fahrt von der Karl-Marx-Straße bis in die Nähe Müggelsee großartig hängen.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 03.06.2017.]

DER SCHUSS 2.6.1967 (Neuköllner Oper, 02.06.2017)
Inszenierung und Textbearbeitung: Fabian Gerhardt
Musikalische Leitung: Ensemble Adapter / Matthias Engler
Dramaturgie: Lennart Naujoks
Ausstattung: Lena Schmid
Video: Vincent Stefan
Mit: Martin Gerke, Pauline Jacob, Josephine Lange, Ursula Renneke, Alexander Tschernek sowie Kamil Ahmad und Jonas Heinrich und den MusikerInnen Kristjana Helgadóttir (Flöten), Ingólfur Vilhjálmsson (Klarinetten), Gunhildur Einarsdóttir/Harfe), Seth Josel (E-Gitarre) und Caleb Salgado (Kontrabass)
Uraufführung war am 2. Juni 2017.
Weitere Termine: 03., 04., 08., 09.06.2017

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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