DIE SOLDATEN von Bernd Alois Zimmermann

Premierenkritik Komische Oper Berlin zeigt ihre Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die "Bestie Mensch" umgibt uns, spätestens seit der Erfindung des unsere Neugier an der Welt und an den (Welt-)Menschen befriedigenden WWW, zu jeder Zeit sowie an jedem Ort. All diese den doch eigentlich mehr oder weniger gesunden Menschenverstand befremdenden "Abartigkeiten" unsrer Spezies nehmen wir gelassen und gebührlich Abstand haltend via Web bzw. (altmodischer noch:) über das Fernsehen zur Kenntnis; schalten es - sobald es uns zu viel mit dem Bestialisch-Menschlichen sein würde - einfach aus. So ist das nun mal heutzutage. Die Gewalt hat ein mitunter schon monströses Angesicht. Das kriegerische Treiben, wann und wo auch immer, und sein gänzliches Außerkontrollegeraten begreifen wir [auch aus dem o.g. rein technischen Grund] bildlich und also vorstellbar. Wir haben dahingehend, außer Live vielleicht, keinen begehrlich-großen Nachholebedarf...

Neulich sah ich ein Stück mit Jugendlichen, die sich um den Krieg im Menschen so Gedanken machten und ihn - ganz konkret am Beispiel Syriens - in erschütternd-ungeschützter Weise auf die Bühne wuchteten. Da stockte mir der Atem; und ich war nach ein paar Stunden des Besinnens schnell dann wieder froh und glücklich, dass ich auf 'ner seligen Insel wohnen, arbeiten und leben darf...

*

Die Soldaten hatten im September des vorigen Jahres bereits am Opernhaus Zürich Premiere - jetzt sind sie (in Kooperation der beiden Häuser) auch in der Komischen Oper Berlin zu sehen und zu hören.

"Die einzige Oper des visionären Tonkünstlers Bernd Alois Zimmermann ist eine Ikone des zeitgenössischen Musiktheaters, die alle Grenzen des Genres zu sprengen scheint. Die Soldaten galt aufgrund ihrer spieltechnischen Anforderungen lange Zeit als nicht aufführbar. [...] Verortet im zeitlosen 'gestern, heute und morgen' erzählt Zimmermann die Geschichte von Marie – einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen, die zum Spielball ihrer chauvinistischen Umgebung wird. Liiert ist Marie mit dem Tuchhändler Stolzius, doch als der wohlhabende Offizier Baron Desportes um sie buhlt, erhört sie dessen Werben in der Hoffnung auf sozialen Aufstieg. Desportes lässt Marie schließlich fallen und gibt sie damit zum Abschuss frei: Als 'Hure' wird sie von Soldaten vergewaltigt und endet als gebrochene Frau am Abgrund." (Quelle: komische-oper-berlin.de)

Gabriel Feltz (musikalische Leitung) und Calixto Bieito (Inszenierung) haben der Musik und ihrem Stück einen Gesamtraum (Bühne von Rebecca Ringst) verordnet, der im Ganzen "aufgeht" also funktioniert. Auf einer aufpodesteten und großflächigen Plattform sind die in Militärkluft steckenden Musikerinnen und Musiker des Orchesters der Komischen Oper Berlin positioniert - schon das sieht ungeheuer-stark aus, und es klingt, also von soweit oben, ungewöhnlich "warm" und transparent.

Die Haus-Bühnenhydraulik hebt und senkt die zusätzlich-benötigten Aktions- und Stehflächen für das beteiligte Mitwirkungspersonal; auch die Proszeniumslogen sind mit bis kurz unterm Dach endenden Klettergerüsten und Tret-Plattformen um- und überbaut. Zwei überdimensionale Videoleinwände (worauf abgespielte Bilder oder Videos Sarah Derendingers zu sehen sind) zeigen z.B. Großgesichtsaufnahmen von der weiblichen Hauptfigur im Stück, mal als kleines Mädchen, mal als "tatsächliche" Frau:

Susanne Elmark ist Marie in den Soldaten, und ihr sängerisches als wie spielerisches Insgesamtvermögen muss als fast schon unbezahlbar eingeschätzt werden!

Tom Erik Lie, der jenen liebeskranken und letzthin verschmähten Bräutigam Maries mimt, scheint für diese Rolle idealbesetzt; man kauft ihm (s)eine ausweglose "Weichheit", die er später in Gewalt auf seine Art um-springen lässt, vollkommen ab.

Martin Koch muss, als Baron Desportes, viel herumlaufen und (sinnlos) aus der Zigarette, die er laufend raucht, den Dampf über uns Publikum ausbreiten; das ist eine Zumutung für Nichtraucher! und eine Scheißidee zumal und obendrein!!

Die hier an diesem Hause unter Harry Kupfer sagenhaft Triumphe gefeiert habende Noëmi Nadelmann krönt ihr Zurückgekehrtsein mit spitz-eklatanten Tönen, die sie reichhaltig zu singen hat, und 'nem Alexis-Outfit aus dem legendären Denver-Clan. Dass es in den Soldaten überhaupt dann nicht an Komik mangelt(e), bewies auch jene Szene, wo die Nadelmann den gräflichen Stück-Sohn (gesungen und gespielt von Adrian Strooper) kurzerhand mal kräftig übers Knie legte, um ihm den Arsch gebührlich zu versohlen; irgendso was Freudianisches wollte uns da Bieito vielleicht mitteilen, nun gut.

Befürchtet musste werden, dass der Regisseur - wie eigentlich dann bei ihm üblich - blut- und spermamäßig über seine allbekannten Stränge schlägt. Aber es hielt sich Alles ziemlich anständig in Grenzen. Außer ein paar lautstark von dem Mannenheer (fast niedlich anzuschauenden) "verübten" also stilisierten Vergewaltigungen oder etwas über die Marie gegoss'ner Himbeersoße war da nix - gottlob!! die Zimmermann-Musik klingt stellenweise schon brutal genug.

Schier ausufernde und sich überschlagende Begeisterung nach der Premierenvorstellung.


http://www.livekritik.de/kultura-extra/templates/getbildtext2.php?text_id=7910
Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Monika Rittershaus

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 16.06.2014 auf KULTURA-EXTRA] http://vg07.met.vgwort.de/na/cbec71abbf364fecbfad24362e0d3bc5

DIE SOLDATEN (Komische Oper Berlin, 15.06.2014)
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühnenbild: Rebecca Ringst
Kostüme: Ingo Krügler
Dramaturgie: Beate Breidenbach und Pavel B. Jiracek
Lichtdesign: Franck Evin
Video: Sarah Derendinger
Choreographie: Beate Vollack
Besetzung:
Wesener, ein Galanteriehändler in Lille ... Jens Larsen
Marie, seine Tochter ... Susanne Elmark
Charlotte, seine Tochter ... Karolina Gumos
Weseners alte Mutter ... Xenia Vyaznikova
Stolzius, Tuchhändler in Armentières ... Tom Erik Lie
Stolzius' Mutter ... Christiane Oertel
Obrist, Graf von Spannheim ... Reinhard Mayr
Desportes, ein Edelmann ... Martin Koch
Pirzel, ein Hauptmann ... Hans Schöpflin
Eisenhardt, ein Feldprediger ... Joachim Goltz
Haudy ... Tomohiro Takada
Mary ... Günter Papendell
1. junger Offizier ... Edwin Vega
2. junger Offizier ... Alexander Kravets
3. junger Offizier ... Máté Gál
Die Gräfin de la Roche ... Noëmi Nadelmann
Der junge Graf, ihr Sohn ... Adrian Strooper
Andalusierin / Madame Roux ... Beate Vollack
Drei Hauptleute ... Bogdan Taloş, Benjamin Mathis und Konrad Hofmann
Betrunkener Offizier ... Elias Reichert
Bedienter der Gräfin ... Wolfram Schneider-Lastin
Ein junger Fähnrich ... Benjamin Mathis
Soldatenchor ... Jonas Olejniczak, Simon Ortmeyer, Guillaume Vairet, Christopher Lane, Robert Elibay-Hartog, Thomas Hartkopf, Christian Packbier, Simon Mehlich, Christoph Wiatre, Fabian Musick, Jonas Flemmerer, Emil Roijer, Phillippe Hillebrand, Nenad Ivkovic, Fabian Jud, Olaf Taube, Elias Reichert und Marcus Elsäßer
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere am Opernhaus Zürich war am 22. September 2013
Berliner Premiere: 15. 6. 2014
Weitere Termine: 20., 25. 6. / 1., 9. 7. 2014
Eine Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden