Die Strauss-ELEKTRA am Staatstheater Cottbus

Premierenkritik Aufsehenerregende und aufhorchende Operninszenierung

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Sensationell: Gesine Forberger als Elektra am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross


Das Staatstheater Cottbus ist ein Mehrspartenbetrieb und [nach bisherigen Vor-Ort-Erfahrungen von uns] auch stark musiktheaterkonkurrenztauglich im Hinblick auf die ein paar Kilometer weiter weg befindlichen drei Opernhäuser in Berlin - ja, hier (in Cottbus) sieht und hört (!) man überaus potente und doch gleichsam "unverbrauchtere" Persönlichkeiten, die uns immer wieder Anlass zur Behauptung geben, dass die deutsche Opernhauptstadt wohl nicht ausschließlich als hehrer Weltnabel des schönsten Kunstgenres auf unserm Erdenglobus okkupiererisch begreifbar sein sollte; nein, auch in Cottbus griff und greift so'n aufhorchender Satz wie: Hast du Töne!!

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Jetzt gabs mit der Strauss-Elektra den Saisonschlusskracher, und Gesine Forberger [uns als Gutrune in der Götterdämmerung vor über einem Jahr noch in Erinnerung; da war dann auch Andreas Jäpel, der nunmehr den Orest fulimant zu geben weiß, als Gunther zu erleben] singt bedrohlich-raumfüllend die Titelrolle! Sie wirkt wie ein Hausbesetzertyp - tritt auf und sorgt sofort, noch eh' sie einen ersten Ton aus sich verschüttet, für geballten Stunk. Sie lässt die (in der stimmigen Regie von Martin Schüler) agamemnonblutaufwischenden und bloß als Sanitäranlagen-Sterilisationsmägde Herdümpelnden (Gundula Martins großartiger Raum ist jenes Herrscherbad, in dem der für den Stückplot hauptvoraussetzende Mord der Königin am König einstmals stattfand) deutlich wissen, wer Diejenige im Haus wäre, vor der in Acht zu nehmen eins der ersten Überlebensstrategien Aller ist: Elektra.

"Nur" Chrysomethis, ihre mit Sex- und Mutterwünschen quasi bis zur Halsschlagader bebende Leibschwester (die erstaunlichste Entdeckung dieser Aufführung ist wohl: Maraike Schröter - ihre hellsicheln-durchdringende und gleichsam nicht zu sehr vibrierende Sopranstimme erzeugte bei dem Schreiber dieser Zeilen einen hocherotisierend-heiklen Schauer; Gänsehaut!), kommt dieser Kampfhündin, also "rein humanistisch", etwas näher als die Anderen. Obgleich sie ja die Elendere, Feigere, Unkonsequentere von Beiden ist. Allein die Szene, wie sie (axtbewaffnet; s. Foto unten) eine Art von Aufstand in sich probt und postwendend (axtfallenlassend) wieder aufgibt, fühlt sich so vom Sehen und vom Hören her gewaltig-überzeugend an...

Die Produktion im Ganzen hat dann auch stark kammermusikalische wie kammerspielartige Austarierung: Das vorzüglich einstudierte Philharmonische Orchester ist hinter das sängerische Personal - hinter dem Herrscherbad - positioniert; es hätte anzahlmäßig sowieso nicht in den Graben reingepasst. Von der Akustik her gewiss so was wie ein Geniestreich, denn: Vokalprotagonistisch muss nicht gegen dieses Bollwerk (das von Strauss gebot'ne Maximal-Soll: 111 Musiker; auf Cottbus' Notenpulten lag dann eine sog. "reduzierte Fassung") angesungen werden, was im Umkehrschluss Präsenz und Textverständlichkeit der Ausführenden stark erhöht. So stark freilich, dass stellenweise "Überlautes" an Gesängen zu vernehmen ist. Dennoch ist diese hörerische Neuerfahrung - Sänger sehr weit vorn/Orchester sehr weit hinten - von enormem Doppelreiz.

Als Klytämnestra kämpft sich Karen van der Walt eine bedenklich schmale Treppenstiege von der rechts befindlichen Proszeniumsloge runter auf den überdeckelten Orchestergraben - ja, bis so weit vorn (!!) reicht Martins Bühne. Ihre Stimmlage hat eine einschüchternde Tiefe - gegen die in allen möglichen Registern hin und her rasende Forberger wirkt Das schier chancenlos. Die Dominierende ist jeweils-stets die Andere.

Auch Jens Klaus Wilde (als Aegisth) gibt seinem kurzen Auftritt schauspielerndes Großgewicht; seine als "Memme" angelegte Randfigur wird durch ihn sozusagen aufgehöht und kriegt erhärtenden Charakter.

Evan Christ vermag es, der sehr ungestümen und sehr überleidenschaftlichen Jungkomponisten-Partitur eine fast abklärende Ruhe unter Einbringung gestalterischer "Durchatmungseffekte" zu verleihen. Und auch das - neben der einleuchtenden Inszenierung, wie gesagt - schafft eine irgendwie quellwasserklare Grundsichtung der Dinge; insgesamt.

Einhellige Begeisterung.


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Nicht minder sensationell: Maraike Schröter als Chrysothemis (mit Hackebeil) sowie das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus (im Hintergrund) - Elektra (links: Gesine Forberger) | Foto (C) Marlies Kross

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 12.07.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg07.met.vgwort.de/na/0d9a6ff8cec54f36b432cc72dccd9dae

ELEKTRA (Staatstheater Cottbus, 11.07.2015)
Musikalische Leitung: Evan Christ
Regie: Martin Schüler
Bühne und Kostüme: Gundula Martin
Choreinstudierung: Christian Möbius
Dramaturgie: Dr. Carola Böhnisch
Besetzung:
Elektra ... Gesine Forberger
Klytämnestra ... Karen van der Walt
Chrysothemis ... Maraike Schröter
Aegisth ... Jens Klaus Wilde
Orest ... Andreas Jäpel
Pfleger des Orest ... Ingo Witzke
Vertraute/4. Magd ... Debra Stanley
Junger Diener ... Hardy Brachmann
Alter Diener ... Jörn E. Werner
Aufseherin/Schleppenträgerin ... Carola Fischer
1. Magd ... Lucie Ceralová
2. Magd ... Julie Szelinsky
3. Magd ... Marissia Papalexiou
5. Magd ... Anika Paulick
Damen und Herren der Opernchores
Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus
Premiere war am 11. Juli 2015
Weitere Termine: 4. 10. / 5. 11. / 19. 12. 2015 / 23. 1. 2016

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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