Massaker und Macheten

Onesphore R. Erstmals ist ein Ruander vor einem deutschen Gericht wegen Völkermordes angeklagt. Der Betreffende soll 1994 im Norden Ruandas an Massakern beteiligt gewesen sein

Er war die Nummer 435 auf der Interpol-Liste der meist gesuchten Täter weltweit und steht nun vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Dem 54-jährigen Ruander Onesphore R. wird vorgeworfen, die Schuld am Tod von 3.730 Menschen zu tragen. Mal gab er den Befehl zum Töten, mal mordete er mit eigener Hand, sagt die Anklage. Sie lautet auf Genozid, Unterstützung von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und organisierte Kriminalität. Seit Anfang der Woche läuft die Hauptverhandlung vor dem 5. Strafsenat unter Vorsitz von Thomas Sagebier.

R. wurde am 26. Juli 2010 aufgrund eines Haftbefehls aus Ruanda und dank einer Fahndung durch Interpol festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. BKA-Beamte waren zuvor nach Ruanda geflogen und hatten mit dem Stab von Generalstaatsanwalt Martin Ngoga sowohl mutmaßliche Tatorte besucht als auch Zeugen gesprochen. Nach dem Eindruck der ruandischen Behörden gab es eine solch intensive Kooperation mit deutschen Ermittlern noch nie.

Ein "integriertes Leben"

Die Zeugen und der Staat Ruanda beschuldigen R., an mindestens drei Massakern beteiligt gewesen zu sein – zum ersten Mal am 11. April 1994 an der Kirche von Kiziguro, in der Nähe des Akagera Nationalparks, als über 1.200 Menschen starben. Zwei Tage später soll er in der Gemeinde Kaborondo das Abschlachten von 1.700 Menschen beaufsichtigt haben, die wieder in einer Kirche Zuflucht gesucht hatten. Und dann, am 15. April – da habe R. das Massengrab für 1.170 Ruander in Kibungo zu verantworten. In allen Fällen sollen die Menschen beim Versuch, aus ihren Kirchen-Refugien zu fliehen, mit Pfeilen, Macheten oder durch Schusswaffen umgebracht worden sein.

Über das Leben dieses Onesphore R.s ist wenig bekannt. Er soll in Deutschland studiert haben. Sicher ist nur – 2002, acht Jahre nach dem Genozid, dem über 800.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, beantragt er als politisch Verfolgter in Deutschland Asyl. Er darf bleiben und baut sich mit seiner Ehefrau und drei Kindern ein „integriertes Leben“ auf, wird Mitglied einer Kirchengemeinde und lebt ansonsten zurückgezogen. Die älteste Tochter macht im Sommer 2010 ihr Abitur.

In Ruanda war der zu Völkermordzeiten 38-jährige R. Bürgermeister der Gemeinde Muvumbu im Norden und als solcher Mitglied der regierenden MRND (Nationalbewegung für Demokratie und Entwicklung). Die war bis 1994 nicht nur die Staatspartei des Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimana, sondern auch eine Brutstätte für Hass und für einen gegen die Minderheit der Tutsi gerichteten Vernichtungswillen. Diese Volksgruppe wurde seit Ende der fünfziger Jahre verfolgt und war seither immer wieder Opfer von Lynch-Attacken. Habyarimana gelang es zwar, Anfang der neunziger Jahre das Land zu beruhigen, doch war es damit vorbei, als Ruanda 1993/94 einer Wirtschaftskrise verfiel. Extremistische Milizen gewannen die Oberhand, um nach dem bis heute ungeklärten Flugzeugabschuss, bei dem Habyarimana am 6. April 1994 starb, zum Massenmord an den Tutsi auszuholen. Die Täter kamen aus der Armee, der Präsidentengarde und der Administration. Aus der MRND selbst ging die Miliz Impuzamugambi hervor, deren Jugendgruppe Interahamwe wegen ihres besonders mitleidlosen Vorgehens gefürchtet war.

R. galt zwar nur als Provinzpolitiker, doch rekrutierte gerade die untere Ebene der Staatspartei eine besonders willfährige Klientel, die sich skrupellos an der lokalen Tutsi-Community verging, wenn das Lob und Fortkommen versprach. Viele Zeugen vor den traditionellen Gacaca-Gerichten, mit deren Hilfe in Ruanda einer schier ungeheuren Masse von Tätern der Prozess gemacht wurde, berichteten immer wieder von der mörderischen Hingabe, mit der die Tutsi-Nachbarn getötet wurden. Je tiefer in der MRND-Hierarchie, desto bemühter waren viele Bürgermeister und Kreisvorsitzende, vermeintliche Aufstiegschancen zu nutzen, die sich ihnen durch die Mordaktionen boten.

Die Anklage in Frankfurt geht jedenfalls davon aus, dass R. seine Amtsautorität für die Mordaktionen ausgenutzt hat. Sie wirft ihm unter anderem vor, bereits Anfang April 1994 Gewehre an Milizionäre ausgegeben und ihnen erklärt zu haben, mit diesen Waffen sollten sie Tutsi töten.

Appell an die EU-Staaten

R. ist für die deutsche Justiz kein unbeschriebenes Blatt. Bereits zweimal wurde er verhaftet und wieder auf freien Fuß gesetzt, zunächst Mitte 2008 wegen des ein Jahr zuvor von Interpol ausgestellten Haftbefehls – ein zweites Mal zum Jahreswechsel 2008/09. Weil aber die Beweislage als unzureichend bewertet wurde, kam er im Mai 2009 wieder auf freien Fuß. Eine Auslieferung nach Ruanda verweigerten die deutschen Behörden, weil die Gacaca-Gerichte nicht den juristischen Standards entsprechen.

Dass R. ein drittes Mal verhaftet und nun erstmals angeklagt wurde, dürfte nicht nur etwas mit dem Ermittlungsstand zu tun haben. Der internationale Druck auf Europa wächst, Afrikas Völkermörder zu verfolgen. Den Hauptverantwortlichen des Genozids wird zwar vor dem UN-Tribunal für Ruanda im tansanischen Arusha der Prozess gemacht, doch werden dessen Kammern Ende 2011 aufgelöst, obwohl noch 20 Fälle anhängig sind. Gerichtspräsident Dennis Byron hat deshalb an die Justizorgane etlicher EU-Staaten appelliert, dort untergetauchte Ruander, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, festzunehmen und vor Gericht zu stellen. Nach Auskunft der Frankfurter Staatsanwaltschaft wurde den ruandischen Behörden angeboten, R. nach Arusha zu bringen – die winkten ab.

Andrea Jeska ist freie Autorin und Reisekorrespondentin für Ost- und Südafrika

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